Aufführungsbesprechung Prag, Ständetheater: 18. – 24. Oktober 1814

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Theater.

Prag. – Den 18. Oct. als am Jahrestag der großen Völkerschlacht bey Leipzig: Herrmann der Cherusker, oder: Die Waldschlacht der Teutschen, historisches Schauspiel in 5 Acten. – Gewiß kann es, um diesen festlichen Tag zu begehen, keinen passendern Vorwurf geben, als jene glänzende Begebenheit teutscher Vorzeit, wo, wie in unsern Tagen, getrennte Fürsten sich freundlich und brüderlich die Hand bothen, um den Druck fremder Ketten abzuschütteln; nur ist zu bedauern, daß dieser Stoff in die Hände eines Kunstjüngers gefallen ist, der die Behandlung desselben durchaus verfehlt hat, den hohen Zauber der nordischen Mythologie nicht gehörig benutzt hat, und die Thaten und Begebenheiten matt neben einander hinstellt, ohne eine Spur poetischer Begeisterung; auch geschieht es ihm häufig, daß die unverkenntliche Gegenwart in den Spiegel der Vergangenheit schaut. Unsere Leser werden uns ein Detail des so allgemein bekannten Themas gern erlassen, und wir begnügen uns, noch anzumerken, daß die Sprache gemein, die Charaktere ohne Keckheit skizzirt sind, und alle alterthümliche Haltung und Würde entbehren. Segest ist ein ganz alttäglicher Komödienbösewicht, und geht zuletzt verloren. Vor Allem aber zeichnet sich das Liebesgespräch Herrmanns und Thusneldens aus, wie aus einem modernen Familiengemählde copirt. Herr Bayer als Herrmann und Mad. Schröder als Thusnelde legten manchen kräftigen Zug aus ihrem eigenen Gemüthe in die leeren Worte; auch Mad. Liebich (Bercennis), Herr Reinecke (Varus), Herr Seewald (Siegmar) und Herr Wilhelmi (Segest) thaten alles, um diesem Werke eine günstige Aufnahme zu verschaffen; aber ihre Bemühung war fruchtlos. Einzelne Stellen und Äußerungen, deren Relation mit unserer großen Zeit treffend war, erregten augenblicklichen Enthusiasmus; aber die Stimme des Publicums in Bezug auf die Dichtung war und blieb ungünstig.

Den 19.: Der Wasserträger, oder: Die Tage der Gefahr, Oper in 3 A. von Cherubini. Mad. Eberwein, Sängerinn des herzog. Hoftheaters in Weimar, gab die Constanze zur ersten Gastrolle; und obschon viele behaupten wollen, sie habe selbe besser als Mad. Werner gesungen, so erhielt sie doch bey weitem weniger Beyfall. Es war auf jeden Fall für eine Frau, die als Schauspielerinn wenig zu leisten vermag, keine glückliche Wahl, zum ersten Mahl vor das Publicum zu treten in einer Rolle, die durch Gesang durchaus nicht imponiren kann, und bloß durch ein lebhaftes und anmuthiges Spiel Interesse gewinnen muß.

Den 24.: Hamlet, Prinz von Dänemark, Trauerspiel in 5 A. von Shakespeare. Es ist jedes Mahl ein hoher Genuß für die Freunde dramatischer Kunst, wenn einmahl der geharnischte Geist dieses Genius des brittischen Eilandes über unsere Bretter schreitet; daß wir es Herrn Reizenberger – der den Hamlet zur ersten Gastrolle wählte – sehr danken müssen, uns die Freude verschafft zu haben, diese herrliche Gedankentragödie wieder zu sehen, die man nicht oft genug sehen kann, weil sich in ihr stets neue Schönheiten entfalten, und die so tief gedacht und dargestellt ist, daß keiner ihrer aufmerksamen Beschauer in seiner Ansicht des Zusammenhanges und der Bedeutung aller Theile mit seinem Vorgänger übereinstimmt. Schon in der Exposition ergreift die grausenvolle Erscheinung des alten Königs das Gemüth und ¦ die Einbildungskraft gleich stark, und verdoppelte Wirkung macht das Trauerspiel im Trauerspiel, wo das abscheuliche Verbrechen sich gleichsam abspiegelt, und den König zur Strafe vorbereitet. Hamlets falscher und Opheliens wirklicher Wahnsinn, dazwischen die humoristischen Scenen mit Oldenholm und den Hofleuten voll tiefer Bedeutsamkeit, alles dieß füllt die Scene mit Leben und Regsamkeit, und fesselt ununterbrochen die Aufmerksamkeit. – „Hamlet,“ sagt ein geistvoller Kritiker unserer Zeit, „ist ein Prinz von königlichen Sitten, mit dem feinsten Sinn für Schicklichkeit begabt, edlen Ehrgeitzes empfänglich und der Begeisterung für fremde Vollkommenheit, die ihm fehlt.“ – So schien auch Herr Reizenberger diesen Charakter aufgefaßt zu haben; aber den Wahnsinn, der bey Hamlet nur eine fein angelegte Rolle ist – mittelst welcher er die Leute, die ihn auszuspähen kommen, gerade dadurch von seiner Geisteszerrüttung überzeugt, daß er ihnen die Wahrheit sagt, und sie mit dem beißendsten Spott verfolgt – schien er zu ernstlich zu nehmen, und in vielen Stellen benahm er sich als jugendlicher Held, die schlaffe Weichheit Hamlets vergessend, und die Schwäche seines Willens, die sich in so vielfach gefaßten und immer unausgeführten Vorsätzen ausspricht. Zu wenig markirte er die Schadenfreude, die der Gram um den Vater in sein Gemüth gelegt hat, und die sich bey Opheliens Liebesgram und Oldenholms Tod so scharf äußert; und man kann sagen, Herr R. habe wohl Hamlets Tugenden fleißig studirt und aufgefaßt, aber darüber seine Untugenden und Schwächen vergessen. Hamlet hat keinen festen Glauben; schwankend geht er von religiöser Zuversicht zu zweifelndem Grübeln über; er spricht mit dem Geiste seines königlichen Vaters, und wird nach seinem Verschwinden wieder mehrmals irre. – Er ist dahin gekommen, zu sagen: „Nichts an sich sey gut oder böse, nur das Denken mache es dazu.“ Trotz der Stimme von Jenseits schwankt er noch unschlüssig, sucht und findet den irdischen Beweis des Verbrechens, und gleichwohl, trotz der wiederhohlten Mahnungen, zaudert er noch immer, bis endlich das Schicksal selbst den Moment der theuern Rache herbeyführt.

Wenn es nun gleich Herrn Reizenberger nicht gelang, allen Forderungen dieses schwierigsten aller dramatischen Charaktere – welchen wohl wenige Künstler in ihrem ganzen Umfange erfüllen werden – zu entsprechen, so bewies er doch viel Studium seiner Kunst, und ward mit Beyfall aufgenommen.

Mad. Schröder stellte die liebekranke Ophelia so durchaus makellos dar, wie es von ihrer vollendeten Meisterschaft zu erwarten stand. – Auch Herr Reinecke gibt den Oldenholm mit bewundernswerther Einsicht und Wahrheit. – Unter den übrigen Rollen war Herr Wilhelmi als König von Dänemark der lobenswertheste. – Sehr tadelhaft ist es unsers Bedünkens, daß das Intermezzo meist von Schauspielern der untersten Kathegorie, oder wenigstens von solchen, die für diese tiefe Ironie nicht passen, dargestellt wird. Shakespear hat es durchaus in einem überladenen Pathos abgefaßt, das aber so viel wahre Größe und rührende Bilder enthält, daß es nur einem Schauspieler von großem Talent und Studium möglich wird, die Absichten des Dichters zu erfüllen, und selbst in diesem hochtrabenden Ton noch Rührung zu bezwecken. Leider waren die Rollen auch hier, wie auf den meisten Bühnen, so vertheilt, daß der tiefe Sinn des Zwischenspiels kaum halb gefaßt werden konnte.

Editorial

Creation

Responsibilities

Übertragung
Charlene Jakob

Tradition

  • Text Source: Der Sammler. Ein Unterhaltungsblatt, Jg. 6, Nr. 185 (19. November 1814), pp. 740

Text Constitution

  • “liebekranke”sic!

Commentary

  • Shakespearrecte “Shakespeare”.

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