Aufführungsbesprechung Prag, Ständetheater: “Die unterbrochene Whistpartie, oder der Strohmann” von Karl Schall, 10. November 1814

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Theater.

Prag. – Den 10. November. Zum Besten der Mad. Brunetti: Der Strohmann. Lustspiel in 2 Acten von Schall, und der Mechanikus. – Dieß neue Product des geistreichen Herrn Verfassers hat beynahe dieselben Vorzüge wie sein erstes hier gegebenes Stück: Trau, schau, wem? Folgendes ist sein Inhalt. Eine verwitwete Gräfinn (Mad. Brunetti), deren Finanzen durch eine ziemlich lockere Lebensart derangirt worden sind, wünscht selbe durch eine reiche Heirath wieder einigermaßen herzustellen, und ihre Speculation fällt auf einen Vetter vom Lande, Hrn. v. Bern (Hr. Polawsky), einem hübschen, jungen Mann von natürlichen Geistesgaben, aber ohne gesellschaftliche Bildung. Als sie seine Ankunft erfuhr, entfernte sie eine liebenswürdige Nichte, Emilie (Dlle. Böhler), und einen alten Onkel und Vormund jener, Baron Skarabäus (Herr Liebich), weil sie von der Jugend und Schönheit der einen, so wie von der Schwatzhaftigkeit des andern, Gefahren für ihre Plane befürchtet. Sie übernimmt für die Zeit der Anwesenheit ihres Gastes die Rolle der anspruchslosen und bescheidenen Hausfrau, was ihr in der That nicht leicht darzustellen ist: da jedoch Herr von Bern sehr lange zögert, ihr seinen Antrag zu machen, so fängt sie an zu besorgen, Emiliens Reitze – die er zwar kaum zwey Mahl gesehen – möchten ihn gleichwohl schon gefesselt haben. Emilie, welche in dem Hause eines Majors vor der Stadt wohnen muß, kommt zu ihrer Tante, um ihr zu klagen, daß ein abscheulicher alter Herr v. Schnüffler um sie angehalten; die Gräfinn setzt ihr hart zu, seinen Antrag anzunehmen – ihr Gespräch unterbricht Herr v. Bern, den ein Geschäft zur Abreise zwingt, und der endlich nach Emiliens Entfernung, und nachdem die Gräfinn ihr erzählt hat, daß jene Braut sey, dieser einen förmlichen Heirathsantrag macht, ihr aber nebst andern derben Naivetäten ganz trocken heraus sagt: er thue dieß nur, weil sein Onkel, der sie enterbt, und ihn zum Erben eingesetzt habe, ihm kurz vor seinem Ende noch aufgetragen habe, sie zu heirathen. Während er Reiseanstalten macht, und ihr Zeit zur Überlegung gewährt, kommen unvermuthete Gäste an; der Baron Skarabäus (den die Gräfinn noch nicht zurück erwartet, und wieder fortschickt, ehe Bern zurück kommt) und ein Paar Herzensfreunde der Gräfinn: ein Kammerherr von Zunder, Spieler von Profession (Herr Wilhelmi), und eine coquette Frau von Trümmer (Mad. Junghans); beyde kommen miteinander aus dem Bade, wo sie schlechte Geschäfte gemacht haben, und wollten der Gräfinn nicht vom Halse gehen, die sie endlich, als Bern zurück kommt, nolens volens in ein anstoßendes Cabinet schließen muß, wo sie seine ehrlichen und herzlichen Versicherungen anhören, und zugleich das alte Sprichwort: „Der Lauscher an der Wand &c.“ bestätigen; denn der treuherzige Landjunker stellt, als er ihre Nahmen hört, ein eben nicht geschmeicheltes Bild vor ihnen auf. Als er fort will, findet sich’s, daß sein Überrock in demselben Cabinete liegt, aber – der Schlüssel ist verloren, und die Gräfinn weiß ihn zu bewegen, ohne Überrock abzureisen. Nach seiner Entfernung befreyt sie ihre Freunde aus der Gefangenschaft, die sich in Invectiven über Bern ergießen und ihm Rache schwören. Die Gräfinn (nachdem sie dem guten Skarabäus aufgetragen hat, seiner Mündel den Text zu lesen, und durch sein Ansehen als Vormund sie zur Heirath mit S. zu zwingen) denkt nur daran, sich für die lange Weile und Entbehrungen der vergangenen Tage schadlos zu halten. Es wird beschlossen, die Maskerade zu besuchen; die Gräfinn will die Wahrheit vorstellen, mit einem Auge vor der Brust und eine Sonne an der Stirne. Der Kammerherr als Arlequin soll sie führen, und Frau v. Trümmer maskirt sich als Vestalinn. Baron Skarabäus versucht es, dem erhaltenen Befehle gemäß, seine Mündel zur Heirath mit dem verhaßten Brautwerber zu bereden; aber sein gutes Herz behält die ¦ Oberhand, und bald hat ihn Emiliens rührende Herzlichkeit ganz erweicht. Als Emilie ihren Vormund verlassen, und die Gräfinn sich zur Frau v. Trümmer begeben hat, um sich in die Wahrheit zu verwandeln, kommt Herr v. Bern, der ein wichtiges Document in seinem Überrock gelassen, und deßhalb zurückkehrt. Als Baron Skarabäus erfährt, mit wem er spreche, empfängt er ihn mit der herzlichsten Freude, ergießt sich in Lobeserhebungen der Gräfinn, und enthüllt ihm in aller Unschuld ihren ganzen Charakter und Lebensweise. Herr v. Bern schaudert über den Abgrund, an dem er unvorsichtig gestanden, und als er vollends hört, daß Emilie den ihr bestimmten Gemahl nicht wolle, so ist sein Entschluß sogleich gefaßt, und er versteckt sich in dasselbe Cabinet. Die Masken kommen aus dem Logis der Frau v. Trümmer (in demselben Hause) herüber, um die Zeit bis zum Balle durch eine Parthie Whist mit dem Strohmann auszufüllen, und man kündigt dem guten Baron an, er müsse einen Domino des verstorbenen Grafen anziehen, und Frau v. Trümmer auf die Redoute führen. So ungern er dieß thut, so wagt er doch nicht zu widersprechen, und läßt nach einigem Widerstreben sich sogar mit Mantel, Hut und Larve ausputzen. So oft er Mißfallen bezeugt, droht Frau v. Trümmer, sich an seiner Insectensammlung zu vergreifen, und dictirt ihm endlich die Strafe, während des ersten Robbers auf dem Platze des Strohmanns sitzen zu bleiben. In dem Augenblicke erschallt Musik; Alles eilt, sie in der Nähe zu hören, auch der Baron will fort, aber die erneute Drohung fesselt ihn an seinen Platz. Herr v. Bern eilt heraus, nimmt Mantel, Maske und Hut, setzt sich an den Tisch, und schickt den Baron an Emilien, ihr Herz und Hand anzubiethen. Die Zurückkehrenden wundern sich über die geduldige Maske, erschöpfen sich in den beißendsten Spöttereyen über Bern, welche seine Braut duldet, auch wohl applaudirt; doch will sie den guten alten Mann endlich befreyen; man sagt ihm, er solle die Larve abnehmen – er rührt sich nicht; man glaubt ihn eingeschlafen, und ruft ihm aus vollen Halse in die Ohren: Baron Skarabäus! Er rührt sich noch immer nicht; aber der wahre Baron kommt auf den wiederholten Ruf herbeygelaufen. Entsetzen ergreift die Maskirten; Bern wirft seine Vermummung von sich, sagt allen derb die Wahrheit, und – heirathet Emilien.

Dieses recht überraschende Lustspiel ist durch eine recht fließende Diction geschmückt, und wenn es gleich auch nicht leer von Zweydeutigkeiten ist, so sind doch diese keineswegs so handfest, als jene des vielbelobten Rehbocks. Die Vorstellung war sehr glücklich. Mad. Brunetti gab die Gräfinn mit so viel Feinheit, daß bey der leichtsinnigen Coquette doch stets die Dame hervor leuchtete. Vorzüglich gelang ihr der zweyte Act, wo sie im frohen Gefühl eines gelungenen Planes, sich ganz sorglos den Freuden der Weltlust hingibt, und nicht eher aus dem Taumel erwacht, bis mit Berns Demaskirung ihr Glück, gleich einer Seifenblase, zerrinnt. Der Mad. Junghans fehlte es durchaus an Anstand, und sie erinnerte mitunter an manche Stücke des Leopoldstädter Theaters. Dlle. Böhler stellte die weibliche Zartheit und Innigkeit ihrer Rolle recht brav dar; nur war ihre Kleidung, und zumahl ihre Coeffure, doch gar zu armselig. Herr Liebich hatte den alten, gutherzigen Mann, der ganz in seinen Insecten lebt, durchaus keinen eigenen Willen hat, und sich von Jedem zu Allem brauchen läßt, so ganz vollendet aufgefaßt und dargestellt, wie wir es von ihm gewohnt sind, und ließ durchaus nichts zu wünschen übrig. Weniger an seinem Platze war Herr Polawsky, der zwar seine Rolle sehr fleißig studirt hatte, und mit vieler Einsicht darstellte; aber die Natürlichkeit derselben ist für ihn zu wenig natürlich, als daß man nicht hätte wünschen sollen, diese Rolle wäre Herrn Löwe zu Theil geworden. Die Rolle des Herrn Wilhelmi war und blieb unbedeutend.

Editorial

Creation

Responsibilities

Übertragung
Charlene Jakob

Tradition

  • Text Source: Der Sammler. Ein Unterhaltungsblatt, Jg. 6, Nr. 198 (11. Dezember 1814), pp. 792

    Commentary

    • Planerecte “Pläne”.
    • ihrrecte “ihm”.

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