Aufführungsbesprechung Mannheim: „Der Spieler“ von August Wilhelm Iffland am 3. Januar 1812 in Mannheim

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Mannheim. (Theaterbericht) Freitag, den 3. Jan.: Der Spieler*, Schauspiel in fünf Aufzügen, von Iffland.

Ref. hat noch nicht sehr lange über die Größe des Ifflandschen Spiels einige Ideen und Bemerkungen in diesem Blatte* niedergelegt; das heutige Stück veranlaßt ihn, auch ein paar Worte über diesen genialen Mann als dramatischen Dichter zu sagen. – Jeder Schauspieler, welcher mehr thut als seine Role memoriren, und nach angenommener Weise deklamiren, kann freilich den poetischen Sinn nicht entbehren, und er ist im Allgemeinen die erste höchste Bedingung eines jeden ächten Künstlers; allein selten wird sich dieser Sinn bey einem Schauspieler in dem Grade produktiv äußern, daß er zugleich in sich zum Dichter einen Beruf fühlte, und so die ganze dramatische Kunst in seinem Leben umfaßte. Welches Urtheil man daher auch über Iffland als Dichter fällen mag, immer bleibt es eine höchst merkwürdige Erscheinung, daß ein Künstler, von den Fatiguen lebendiger Darstellungen, Erholung am Schreibepult sucht. – War es für einen Dichter wie Shakespear unmöglich, es zu einem bedeutenden Grade in der darstellenden Kunst zu bringen, so mag es für einen Schauspieler, selbst wie Iffland, noch weit schwieriger seyn sich zu einem Dichter aufzuschwingen; denn der Dichter steht höher, allumfassender da, als der darstellende Künstler, und dieser ist die Ergänzung jenes, nicht umgekehrt; der Dichter kann allein und für sich bestehen, nicht der Schauspieler. Ref. ist weit entfernt, bey dieser Vergleichung und Unterordnung beider Künste in Beziehung auf ihre poetische Verwandtschaft, die andere plastische*) Seite zu verkennen, welche einen eigenthümlichen Zweig der darstellenden Kunst ausmacht und dieser allein angehört, ohne daß der Dichter hierin irgend etwas mit dem Schauspieler gemein hätte; allein eben wegen des durchaus Ungleichartigen hört in dieser Beziehung aller Vergleich zwischen ihnen auf, denn es fehlt jedes tertium comparationis; daher auch Ref. die Bemerkung eines Kunstrichters in der Zeit. für die eleg. W. „der Schauspieler habe den Nachtheil und die große Schwierigkeit, daß er zugleich Künstler und Kunstwerk seyn müsse, und daß sein eigner Körper ihn alle Augenblicke als Chicaneur in Ausübung der Kunst störe, dahingegen der Dichter ruhig zu Hause an seinem Kunstwerk arbeiten könne, ohne von seiner irdischen Hülle Notiz zu nehmen“* – nicht recht zu passen und mehr auf den Vergleich zwischen mimischer Kunst und Bildhauerey bezogen werden zu müssen scheint. In der höhern (poetischen) Objectivität der Darstellung, welche darin besteht, das Kunstwerk von der eignen innern Individualität abgelös’t, frey, und ganz in sich selbst klar und beseelt hinzustellen, daß Niemand den Künstler gewahr wird, der über demselben mit Schöpfer-Bewußtseyn schwebt, trifft das Gebiet des Dichters mit dem des Schauspielers wieder zusammen, nur mit dem Unterschiede, daß dieser eine engere Grenze hat, und blos seine Persönlichkeit gegen einen einzelnen Charakter umzutauschen braucht, während jener einer ganzen Welt von Charakteren auf einmal eigenthümliches Leben, und dann noch der Gesammtheit Aller die verbindende Seele des Ganzen einzuhauchen hat. Diese Bemerkungen führen mich unmittelbar auf Iffland zurück. Es ist nicht zu läugnen, daß dieser Dichter viele Erfordernisse zu einem dramatischen Schriftsteller in sich vereinige; scharfen Beobachtungsgeist, Menschenkenntniß, Phantasie, Berechnung theatralischer Effekte, gewandten, rasch eingreifenden Dialog ec. Allein die höchste Eigenschaft eines Dichters, aus allen Theilen ein vollkommnes Ganzes, eine in sich geschlossene Welt zu bilden, möchten wir in seinen Werken großentheils vermissen; er dominirt nicht über sein Kunstwerk mit Bewußtseyn, und, selbst in seinen Schöpfungen befangen, knüpft er zwar die Theile untereinander zusammen, führt sie aber nur mühsam zu einem höhern Centralpunkt; daher denn auch das ganze Arsenal von Personen und äußern Motiven, die vielen Abwechselungen von Szenen welche er immer in seinen Stücken gebraucht, um den Knoten zu schürzen und zu lösen, und welche, abgesehen von allem Uebrigen, die Einheit der Darstellung so schwierig, ja oft unmöglich machen. Auch mag in diesem Unvermögen der Grund liegen, warum er sich nie an die eigentlich reine Gattung, an die Tragödie gewagt hat, sondern zur Bearbeitung nur Familien-Szenen und sogenannte rührende Dramen gewählt hat; denn freilich findet sich leichter für die kleinen Räder des häuslichen Lebens und die entsprechenden Charaktere ein Mittelpunkt, als für die großen einer Weltbegebenheit und für weithin wirkende Kraftmenschen. – Mit der Wahl dieser Aftergattungen war denn auch der Zweck seiner Dichtungen bestimmt: Moralität **); und gerade weil sie den reinen Genuß des Schönen nicht gewähren konnten, welches für sich selbst Zweck ist, gebrauchte er die Kunst als Vorspann der Tugend. Indessen hat Iffland wenigstens diesen immer höchst edlen Zweck reiner verfolgt und besser erreicht als sein poetischer Zwillingsbruder, H. v. Kotzebue; er hat seine Moral kräftiger und unverdorbener ausgesprochen: und steht er auch als Schriftsteller diesem an Erfindungsgabe, Witz und Sprache nach, so hat er auch den Theil nicht an der gefährlichen Verweichlichung der Herzen, welche H. v. Kotzebue zur Last fällt, und gegen welche die Worte Schlegels in der „Ehrenpforte für H. v. Kotzebue“ mit so viel Wahrheit gerichtet sind:

Du brichst mit schlaffem schmeichelndem GeklügelDurch strenger Zucht und Sitt’ und Wahrheit Riegel,Und Weib und Mädchen kuppelst du mit Ehren,Dann kommst du mit der Zuthat milder Thaten,Mit Lebensretterey und edlem Triebe:So, glaubst du, kann der Teufel dich nicht holen ec*.

Diesen Zweck hat denn auch das heutige Stück, der Spieler, und es mag schon oft treffliche Wirkung gethan haben. Obgleich es sehr an den obenerwähnten Mängeln der Composition leidet, so hat es auf der andern [Seite] doch unverkennbare Verdienste, und muß unstreitig zu den besten Produktionen dieses Dichters gezählt werden; die Charaktere, wie sie im Leben sind, rein und mit psychologischem Beobachtungsgeist aufgefaßt und mit Wahrheit wiedergegeben, anhaltendes Interesse trotz der so sehr gedehnten Führung, Situationen voll theatralischer Wirkung und oft eine warme Herzenssprache: dies sind die glänzenden Seiten dieses Schauspiels. Die Fehler im Einzelnen sind häufig gerügt worden; nur eines will Ref. noch bemerken, da es ihm besonders aufgefallen, und die Bemerkung, seines Wissens, noch nicht gemacht worden ist. Es thut dem Zuschauer wehe und empört beinahe das Gefühl, daß, nachdem der leichtsinnige Baron von Wallenfeld sogar seine Ehre dem Hauptmann Posert für Geld verkauft, die Gattin des erstern noch einmal mit ihm zusammenkommt, ehe er seine Schande vollführt, und als croupier mit Posert an die Bank eilt; diese Szene* wirft ein zu gehässiges Licht auf den Baron, da er sich selbst durch das Erscheinen seiner Frau, der er wenige Augenblicke vorher die heiligsten Schwüre der Besserung gegeben, von seinem neuen Vorhaben nicht abhalten läßt. War nicht sein Leichtsinn und seine Charakterlosigkeit durch die frühern Szenen hinlänglich geschildert, um dieses letzten Zuges nicht mehr zu bedürfen, welcher schon über beide hinaus-geht und das Herz angreift? In dem Augenblicke, wo er sich aus Schwäche dem Laster übergibt, sollte ihm der gute Engel nicht mehr begegnen, welcher ihn das ganze Stück hindurch vom Abgrunde zurückzuhalten sucht, und durch dessen Theilnahme an ihm, selbst die Theilnahme des Zuschauers an seinem Schicksale erhöht wird. – Endlich ist die Episode mit dem Patent* der Hauptmannschaft und Majorschaft des alten Lieutenant von Stern eben so überflüssig als wenig unterhaltend. – Doch es ist Zeit zu schließen. – Die heutige Darstellung kann man im Ganzen gelungen nennen, wiewohl ein vollständiges Ineinandergreifen durch das Stück selbst unmöglich gemacht wurde. Hr. Eßlair gab den weichen wankelmüthigen und höchst leidenschaftlich gespannten Baron vortrefflich, wiewohl eine solche Role so sehr mit seiner ganzen Individualität zu streiten scheint; ganz besonders gelang ihm die Szene, wo er halb im Champagner-Rausche von der Bank zurückkommt*, und durch Lärmen und Toben sein mahnendes Gewissen zu überschreien sucht. Hr. Thürnagel hatte im Gegensatze das gänzlich abgespannte, erloschene, in Nichts versinkende Wesen des Posert richtig aufgefaßt; nur, möchte man sagen, artete es zuweilen in eine vollständige Trägheit, die Kunst gar zu sehr in Natur, bey ihm aus. Hr. Prandt* karrikirte den Geheimen Rath zu unangenehm, dahingegen Hr. Heck*, als General, den Beweis lieferte, wie sehr ihm solche Rolen einfachen Biedersinns zu Gemüthe sind.

Im Ganzen hat Ref. in dieser Vorstellung, wie in mehreren andern, seine Behauptung, in dem Sendschreiben an den Verfasser der Kritik im Morgenblatte*, (S. Zeitung für die elegante Welt Nro. 209.) aufs neue bestätigt gefunden, daß unsere Bühne, wie groß auch ihre Mängel seyen, dennoch den Vergleich mit den meisten Theatern Deutschlands noch auszuhalten im Stande ist: und hätte nur Relativität das Urtheil des Ref. bestimmt, so würden seine bisherigen Kritiken oft weniger streng gewesen seyn. –

the unknown Man.

[Originale Fußnoten]

  • *) Es versteht sich von selbst, daß hier das Wort „plastisch“ nicht im Gegensatze von „romantisch“, sondern in seiner ursprünglichen engern Bedeutung genommen ist: sonst gibt es freilich auch eine plastische Poesie.
  • **) Die Streitfrage, ob der dramatische Dichter Moralität als den höchsten Zweck seiner Dichtungen anzusehen habe, ist längst verneinend entschieden; ohnedies – das ächte Schöne wirkt immer Gutes, aber nicht umgekehrt ist alles Gute auch schön.

Apparat

Generalvermerk

Zuschreibung: Sigle; Text außerdem enthalten im Nachlaß Duschs (GLA Karlsruhe, N. v. Dusch 8)

Entstehung

Überlieferung

  • Textzeuge: Badisches Magazin, Jg. 2, Nr. 7 (9. Januar 1812), S. 26–28

    Einzelstellenerläuterung

    • „Der Spieler“EA Mannheim: 17. März 1796.
    • „Ideen und Bemerkungen in diesem Blatte“Vgl. 1811-V-68.
    • „Bemerkung eines Kunstrichters … Notiz zu nehmen““Die Bemerkung aus der Zeitung für die elegante Welt konnte nicht ermittelt werden.
    • „Worte Schlegels in … nicht holen ec“Vgl. August Wilhelm Schlegel, Ehrenpforte und Triumphbogen für den Theater-Präsidenten von Kotzebue bey seiner gehofften Rückkehr ins Vaterland, in: Sämmtliche Werke, hg. von Eduard Böcking, Bd. 2, Leipzig 1846, S. 271 (Neuntes Sonett, Vers 5–11).
    • „diese Szene“Szene III/7.
    • „die Episode mit dem Patent“Szene IV/3.
    • „die Szene, wo … der Bank zurückkommt“Szene IV/7.
    • „Hr. Prandt“Karl Prandt trat als Wallenfeld auf.
    • „Hr. Heck“Georg Heck, Rolle: Graf von Bildau.
    • „Verfasser der Kritik im Morgenblatte“Korrespondenz-Nachrichten. Mannheim, im Mai, in: Morgenblatt für gebildete Stände, Jg. 5, Nr. 142 (14. Juni 1811), S. 567–568; Nr. 145 (18. Juni 1811), S. 580; Nr. 146 (19. Juni 1811), S. 584 und Nr. 147 (20. Juni 1811), S. 588, Verfasser war vermutlich Karl Friedrich August Christoph Freiherr von Wächter; vgl. Kom. 1811-V-34 und 1811-V-72.

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