Carl Maria von Weber an Caroline von Weber in Hamburg
Kiel, Donnerstag, 21. und Freitag, 22. September 1820 (Nr. 8)

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An

Frau Caroline von Weber

Hochwohlgebohren.

Dermalen

zu

Hamburg

Valentin Kamp 162.

beim Friseur, Herrn

Langschwart.

Mein herzliebes Weib!

da sizze ich noch ganz stille auf dem Lande, und weiß noch nicht wann ich wegkomen werde, da das Dampfschiff noch nicht von Koppenhagen angelangt ist*. der Wind der mir so günstig hin sein wird, ist ihm eben aufhaltend her.      Nun man muß Geduld haben, da es jeden Augenblik erwartet wird. Jede Verzögerung ist mir nur gar so schmerzlich, denn je später dort, je später zurük. der heutige Vormittag ist in Bezahlen, Geld Zählen, Einpakken und Abschiednehmen hingegangen, nach dem Eßen habe ich meinen Unmuth zu verschlafen gesucht, und nun plaudre ich mit der guten Mukkin.

Meine guten Hausleute bedauren mich und freuen sich zugleich, mich noch ein paar Stunden länger zu haben. Es sind gar liebe Leute, bei denen ich gar wohl aufgehoben und gepflegt bin. das erkenne ich gewiß mit herzlichem Danke, aber ich will fort, fort, und wieder zur Mukkin, sie zu nemmen*.      dein Brief Gestern Abend hatte mich recht trübe gestimmt und ich hatte Noth, nicht diese Stimmung zu sehr Herr über mich werden zu laßen. das Concert war recht schön voll. die Begleitung aber sehr schlecht, da habe ich mich beim Rondo schwer geärgert*.      In dieser Hinsicht wird von nun an meine Reise wohl ihre schöne Seite bekommen, denn die Städte die ich nun treffe sind mit lauter guten Orchestern versehen. gespielt habe ich übrigens gut. und nach Abzug der Unkosten die sehr beträchtlich sind, habe ich 87 Thaler übrig*. ist das nicht ehrenwerth für so einen Ort?      Nach dem Concert waren wir noch bei Wiedemanns. wo noch musizirt wurde. O Verzweiflung!!! ich wurde zwar nicht in Anspruch genommen, desto mehr ließen aber die Delinquenten ihre Kräfte los, und Terzette und Duette aus allen Opern und Sprachen wurden verarbeitet, so daß ich 1000 mal gerne in mein Bett gegangen wäre. inzwischen ich muste Kaz aushalten.      In der Eile wo ich Gestern den Brief an dich zu machte, weil es die höchste Zeit ins Concert war, habe ich die hierbei folgende Anweisung vergeßen.

Was hast du dir denn für einen warmen Rott gemacht? erzähle mir wie er aussieht.      Auf deine Wetterbeobachtung verlaße dich nur nicht, denn wir haben hier das schönste Wetter. besonders heute war es ganz herrlich.      Fritz hat dir ja gewiß alles ausführlich erzählt von Eutin. Er ist wohl ganz voll davon.      Es ist mir ein rechter Trost daß du anfängst die Leutchen die sich um dich bemühen, ein wenig lieb zu gewinnen. also besonders Reichard und Rombergs? mir scheint aber doch du gehst gar wenig aus. Es ist mir sehr recht daß du das Eßen wo anders holen läßt, und du brauchst dich an nichts zu kehren. Ich dachte mir es gleich daß es mit dem so sehr wohlfeil und trefflich nichts wäre, du kennst darin meine auf Erfahrung begründeten Grundsäzze. apropos | Madam Geizhals, freßt Sie denn auch Austern? wenn ich nicht wenigstens für 20 Mark Austern auf deiner Rechnung finde, sezts Haue. bitte bitte laß dir es schmekken, und sei fett wenn ich komme, verstehst du? Nun beantworte mir ordentlich meine Fragen. wie schläfst du? wie sieht Wißi aus? trinkst du Geilnauer* gehörig? was macht der Buttel? hast du keine Medaillenschmerzen? fühlst du das Eßel?* schmekt das Eßen gut? Ma mi!!! ??? Ma di sehr.

Was Mosje Moriz betrifft, so scheint er die allbeliebte Familien Erziehung genoßen zu haben, und ich bitte dich sehr, dich nicht mit ihm zu ärgern.      Mit den Mädchen bin ich noch zu nichts entschloßen es ist ein gar zu großer Schritt*.

Ja, der Herr Pathe haben sich freilich nicht angegriffen*. – – Du bewunderst meine Schnelligkeit? das thun alle Leute. Es ist aber natürlich, mich treibt die Liebe, und da theilt man sich jede Stunde ein, und scheut keine Strapazze.      Heute kann ich aus deinem Briefe Gottlob nicht so viel Trübsinn heraus lesen als wie Gestern, da kamst Du mir gar unendlich traurig vor. Gelte du bist brav? Liebe gute Herzens Lina?

Wegen Vizthum weiß ich nicht was ich thun soll, so lange ich nicht von ihm selbst einen Brief habe der mir die Sache bestätiget kann ich nicht wohl an ihn schreiben, denn du weißt wie oft bei uns schon etwas ganz für gewiß angenommen wurde, was es doch nicht war.

Hier bekomme ich nun keinen Brief mehr von der Mukkin. also Geduld bis Kopenhagen. Nun will ich für heute Schließen. Grüße mir Fritz, Rombergs und Mlle: Reichard, Sillem herzlichst.      Gott segne dich + + + und behalte lieb deinen dich über alles liebenden alten Carl.

Das Dampfboot ist noch nicht da. ich möchte schon vor Ungeduld vergehen. die Tage sind mir so kostbar, und ich weiß so nicht wie ich mit der Zeit die ich noch übrig habe alles bestreiten soll. besonders ds das Reisen selbst jezt viele Zeit wegnehmen wird. freilich hängt da viel vom Wetter ab, ob der October schön und die Wege noch trokken sind. du kannst nicht glauben was mir das peinlich ist, so unthätig still sizzen zu müßen. ich brauche zwar eigentlich noch kein so großes Geschrey zu erheben, denn ich werde bis jezt nur um einen Tag verspätet, aber lieber Gott was ist ein Tag lang, den man später zu seiner lieben Mukkin komen soll.      Gestern Abend beim Syndikus Jahn wollte es gar nicht recht mit mir | fort, ich spielte wohl, aber so zerstreut, daß ich alle Noth hatte keinen Bott zu machen. da wurde denn recht viel von dir gesprochen, und deine Gesundheit getrunken. überhaupt überall nehmen die Leute Theil an dem armen einsamen Schneefuß in Hamburg, und bedauern ihn, und wollen ihn bei sich haben, um ihn pflegen zu können. ich sagte aber daß du auch gute Menschen um dich hättest.

Da habe ich Gestern in der Zeitung etwas gelesen* was mich recht überrascht hat, stelle dir vor man schreibt vom 14t aus Oldenburg, daß nach 2 tägiger Krankheit die Erbprinzeßin gestorben ist. Das wird ein Jammer sein. du weißt wie man noch immer auf einen Prinzen von ihr hoffte. Schade um die junge schöne Frau.      Bach wird schön in Schwulitäten drum sein.

Die AbendZeitung und andre hab ich durchblättert, aber nichts von Bedeutung drin gefunden.      ich werde nun heute noch alle Zeit die ich habe zum Briefschreiben anwenden, jezt aber schließen da die Hamburger Post geht. Lebe wohl und zufrieden mein geliebtes Leben, glaube daß ich gesund bin, und bis auf meine Ungeduld auch heiter, laße mich daßelbe glauben. sei brav. grüße den Liza*, und gieb ihm das Ohr für mich zu bußen.

Gott segne dich nochmals mein altes treues Herz. Millionen Bußen. [Kußsymbol] /: warum schikst du denn mir nie Bußen? :/
Ewig dein dich zärtlichst liebender Carl.

Apparat

Zusammenfassung

sitzt in Kiel fest und wartet auf das Dampfboot; über sein Kieler Konzert; im 2. Teil Mitteilung der bevorstehenden Abreise nach Kopenhagen

Incipit

Da sizze ich noch ganz stille auf dem Lande

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Signatur: Mus. ep. C. M. v. Weber 139

    Quellenbeschreibung

    • 1 DBl. (4 b. S. einschl. Adr.)
    • Siegelspur und -loch
    • Rötelmarkierungen von Max Maria von Weber

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • MMW II, S. 256–258 (unvollständig)

Textkonstitution

  • „… mi!!! ??? Ma di sehr“letztes Wort sechsfach unterstrichen

Einzelstellenerläuterung

  • „… nicht von Koppenhagen angelangt ist“Das dänische Dampfschiff Caledonia von Kiel nach Kopenhagen.
  • „… zur Mukkin, sie zu nemmen“Übertragung Max Maria von Weber u. Mathilde: umarmen.
  • „… mich beim Rondo schwer geärgert“Auf dem Programm des Konzerts am 20. September standen ein Klavierkonzert Webers (vermutlich Nr. 1) sowie das Rondo brillante; der Hinweis auf die mangelhafte Begleitung legt nahe, dass Weber den Schlusssatz des Konzerts meint.
  • „… habe ich 87 Thaler übrig“Zur Abrechnung vgl. die Tagebuchnotizen vom 20. September 1820.
  • „… Wißi aus? trinkst du Geilnauer“Damals sehr geschätztes eisenhaltiges Mineralwasser aus der Gemeinde Geilnau (Lahn).
  • „… Medaillenschmerzen? fühlst du das Eßel?“Hier ist wieder das ungeborene Kind gemeint.
  • „… ein gar zu großer Schritt“Zu Überlegungen, eine der beiden Töchter Edmund von Webers (bzw. beide) für einige Zeit nach Dresden zu holen, vgl. die Anmerkung zum Brief vom 11. September 1821.
  • „… haben sich freilich nicht angegriffen“Anspielung auf die erhoffte, aber ausgebliebene finanzielle Zuwendung von Webers Taufpaten Carl von Hessen-Kassel.
  • „… in der Zeitung etwas gelesen“Dem Zeitungsstudium galt Webers Besuch im Vereinslokal der Harmonie-Gesellschaft in der Schuhmacherstraße; vgl. den Tagebucheintrag vom 21. September 1820.
  • „… sei brav. grüße den Liza“Webers Hündin AlicaT.

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