2. Aufsatz zum Lied der Brunhilde in „König Yngurd“

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Auch der Sinn Einer Melodie kann durch Betonung und Bewegung nicht nur verändert sondern sogar so gänzlich vernichtet werden daß der Hörer durchaus nicht im Stande ist den Sinn den der Tondichter hineinlegen wollte zu errathen, da hingegen bei schlechter Rezitation eines Verses der aufmerksame Hörer doch allenfalls das schlechte Mißgreiffen des Redners augenbliklich fühlen und bei sich berichtigen kann.

Die TonZeichen sind Mathematisch genommen richtiger das ihrer Wesenheit zukommende bezeichnend, Δ vorzüglich auch in der rhytmischen Bewegung ihrer TaktGlieder. Aber der verfehlte Rhythmus /[:] oder Bewegung :/ des ganzen Δ Stükkes, kann im Gefühl alles obige an und für sich richtig Beobachtete, wieder vernichten.

Eben weil / ganz richtig nach Müllners Ansicht, die Musik nur Gefühle erweckt, so ist ihr die Bewegung wichtiger und heiliger als der Poesie.

Die Rhythmische Bewegung, im Größern oder dem engeren Sinne, /: Tempo und Takt :/ giebt den Charakter, die Melodie und Harmonie die FarbeΔ und Gestaltung deßelben.

Will die Musik mehr sein als Sprache der Leidenschaften, so thut sie mehr als sie soll, Δ Exempla sunt odiosa*. [S]tört Ändert oder vernichtet sie, mit der Rede verbunden, den Sinn des Dichters, so hat sie gefehlt. da ich nun das treu ihm und bei ihm nicht nach dem Sinne des Dichters gegeben habe, so kann ich nicht mehr thun als zu wiederholen, daß ich mich gern bescheide, meine Ansicht der nach seiner Erklärung unrichtige Ansicht, nicht aufdrängen zu wollen, sondern nur zu beweisen daß ich wohl wuste was ich that das weitere Urtheilen den Lesern zu überlaßen.

Übrigens habe ich gar nicht mit dem Reiz des Tones dieser Noten wirken wollen. [/:] wie die der Melodie beigefügte Anmerkung wohl deutlich genug ausspricht :/ Auch habe ich ja in vorigem Aufsazze Beyspiele zur Auswahl H: Müllner vorgelegt mit denselben Tönen, und ganz die Längen und Gewichte nach seinem Willen. doch scheint ihm dieses auch nicht recht gefallen zu wollen. Ich sezze zur möglichsten Verdeutlichung die Stelle H. Müllners Willen wo möglich noch näher gebracht im Zusammenhange nochmals hieher.

Notenbeispiel

Jedem seine Kunst mit Ernst studirenden Künstler werden /[:] und von diesem nicht von dem Haufen kann ja wohl hier nur die Rede sein :/ werden die auf die Tonkunst bezug habenden Mathematischen, geometrischen pp Verhältniße mehr oder weniger bekannt und vertraut sein. Es ist ganz unrichtig daß die musikalischen Verhältniße der Noten, Töne und Tonarten nur die sogenannten Brüche 1/2 1/4 1/8 1/16 u: s: f: geben. es ist ganz falsch, daß die Musik zur Bezeichnung der Sylbenquantität nur Brüche deren Exponent die 2 ist, denn eine 1/3 1/5tel Note gäbe es nicht, hat. Zur Widerlegung nur folgende wenigen kurze Beweise.

In Bezug auf Noten, oder /: Takttheile wird H: Müllner wohl meinen :/ In der Einheit des 3/8 Takts die Achtel Note […] und in dieser wieder die Sechzehntel Triole pp der 5/4 Takt / fünfgliedrige Melodie | Figuren, ungerechnet. Nun noch die unzählbare Menge der durch Syncopen pp zu erzeugenden TaktGlieder Verhältniße unter sich.

In Bezug auf Töne. Die Erzeugung des Tones durch die Schwingung der Saite giebt z. B. den einfachen Dreiklang c. g. e. vermöge der Zahlen 1,Δ 1/3, 1/5 c. g. e.

In Bezug auf Tonarten oder Klang Geschlechter so entwickeln sich diese aus der Bildung der Tonleiter und den einzelnen zu erzeugenden Tönen. in der ihnen zukommenden Reinheit geben sie Verhältnisse wie 1/30 e 1/32 f od. 1/24 c 1/25 cis.

Daß der Redende die Zeitverhältnisse der Sylben und auch deren Betonung viel feiner u. unmerklicher abstufen kann ist, wohlverstanden die Formen angenommen die gegenwärtig für die Tonkunst festgestellt sind, ganz auch meine Überzeugung, Ziehen wir aber das enharmonischeΔ Klanggeschlecht od. die Art wie die Alten Δ aller Wahrscheinlichkeit gemäß sangen, in unsern Bereich, so möchte auch hier nicht viel von dem Einen od. Andern Vorherrschendes zu geben sein. Was das Recht der Wiederholungen betrifft so ist es ein altes Wort, daß das beste u. Δ schärfsten schneidende Messer in der Hand des Unmündigen verderblich ist, deshalb bleibt es denn doch ein gutΔ Messer mit dem sich gar Herrliches schneiden u. bilden läßt.

den* 8ber 1817 C. M. vWeber

An H: Hofr: Müllner geschikt d: 12t 9ber 1817 von Mannheim aus.

Apparat

Zusammenfassung

im nicht erhaltenen Brief von Weber an Müllner vom 12. November 1817 enthalten; 2. Aufsatz für Müllner: über rhythmische Verhältnisse in der Musik und die Bedeutung der Wiederholung in der Musik

Generalvermerk

Dem Druck des Liedes der Brunhilde von Weber aus dem Trauerspiel „König Yngurd“ von Müllner als Musikbeilage Nr. 4 zur Ausgabe 169 der Zeitung für die elegante Welt vom 30. August 1817 folgte eine mehrteilige Korrespondenz zwischen Müllner und Weber; vermutlich waren die einzelnen Aufsätze (s. auch 1. Aufsatz zum Lied der Brunhilde in „König Yngurd“) anfangs zur Veröffentlichung vorgesehen, wofür sich aber bis heute kein Nachweis gefunden hat; vgl. Frank Ziegler „Zwei oder vier? – Versuch einer Zuordnung. Der Gedankenaustausch Adolph Müllners und Carl Maria von Webers über das Lied der Brunhilde zu König Yngurd und die Probleme der Quellenlage“, in: Weber-Studien Bd. 7 (Anhang), S. 298–316

Entstehung

zwischen 24. Oktober und 12. November 1817 (laut A und TB); 16. Dezember 1817 (Gespräch mit Müllner lt. TB)

Überlieferung in 2 Textzeugen

  • 1. Textzeuge: Entwurf: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Signatur: Mus. ms. autogr. theor. C. M. v. Weber WFN 6 (VII), Bl. 56a/r u. v

    Quellenbeschreibung

    • Fortsetzung des Aufsatzes; vgl. Weber-Schriften; Format 33,5x20,6 cm, WZ: bekröntes Wappen, Gegenmarke: KIRCHBERG, Kettlinien ca. 2,7 cm; Forts. auf Bl. 1r und v von anderem DBl. (gleiche Papiersorte); Textteil ab „In bezug auf Töne“ bis Schluß herausgeschnitten und vermutlich von Max Maria von Weber kopiert; durch das Herausschneiden teilweise Textverlust auf Bl. 56a/r (es fehlen die von Weber in der linken Spalte notierten Einschübe bzw. Ergänzungen); diese wurden im edierten Text nach HellS ergänzt
    • Zur Datierung: unter dem kopierten Teil steht die Datierung von der Hand des Kopisten: den (oder Dr.) 8ber 1817 und (Original H: Konsul Kaskel geschenkt); links neben dem Schluß des Entwurfs, der herausgeschnitten wurde, ebenfalls von Weber: d: 12t: 9.ber 1817 von Mannheim aus. (vgl. TB 12. November 1817: Brief an Müllner mit Aufsaz abgeschikt., weitere TB-Eintragung: 24. Oktober 1817: Aufsaz für Müllner.; 16. Dezember 1817: zu Müllner. über die Aufsäzze gesprochen.); in MMW III Druckfehler bei der Datierung mit der Jahresangabe 1819, Aufsatz aber richtig unter 1817 eingeordnet; Kaiser datiert den ganzen Aufsatz mit Anfang November 1817, obwohl er angeblich das Ms gesehen hat, in dem mehrere Datierungen auftauchen
  • 2. Textzeuge: HellS III, 1828, S. 34–38

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • MMW III, S. 163–165
    • Kaiser (Schriften), S. 374–377 (Nr. 124)

Textkonstitution

Im Erstdruck (Hell-Schriften) wurden nicht nur die Unterstreichungen des Entwurfs, sondern auch etliche andere Passagen gesperrt wiedergegeben.

  • „schlechte“durchgestrichen
  • „… das ihrer Wesenheit zukommende bezeichnend,“Zeichen für Einschub am Rand; Zusatz durch Ausschneiden verloren; vgl. Textzeuge 2
  • vorzüglich„zumal“ durchgestrichen und ersetzt mit „vorzüglich
  • . A„, a“ überschrieben mit „. A
  • Beobachtetegelöschter Text nicht lesbar
  • „nach Müllners Ansicht,“über der Zeile hinzugefügt
  • „so“durchgestrichen
  • „dem“durchgestrichen
  • Charakter„Kontur“ durchgestrichen und ersetzt mit „Charakter
  • „… sie mehr als sie soll,“Zeichen für Einschub am Rand; Zusatz durch Ausschneiden verloren; vgl. Textzeuge 2
  • Stört“durchgestrichen
  • „zu“durchgestrichen
  • „Ansicht der“durchgestrichen
  • „nur zu beweisen daß ich wohl wuste was ich that“durchgestrichen
  • „zu“über der Zeile hinzugefügt
  • der Melodie„erste“ durchgestrichen und ersetzt mit „der Melodie
  • „H. Müllners Willen … noch näher gebracht“am Rand hinzugefügt
  • „werden“durchgestrichen
  • die Musik„Sie“ durchgestrichen und ersetzt mit „die Musik
  • „wenigen“am Rand hinzugefügt
  • Beweise„Belege“ überschrieben mit „Beweise
  • „oder“durchgestrichen
  • I„i“ überschrieben mit „I
  • „[…]“gelöschter Text nicht lesbar
  • „Sechzehntel“am Rand hinzugefügt
  • ppüber der Zeile hinzugefügt
  • „… “Folgender herausgeschnittener Textabschnitt bis Schluss nach der Kopie von MMW übertragen
  • „… od. 1/24 c 1/25 cis“Die Töne stehen jeweils unter den Brüchen.
  • „gar“über der Zeile hinzugefügt
  • „… ber 1817 von Mannheim aus.“Versandvermerk quer am linken Rand des restlichen Textes notiert

Einzelstellenerläuterung

  • „… sie soll, Exempla sunt odiosa“Beispiele sind verhaßt.
  • „… den“Möglicherweise auch "Dr" für Dresden.

Lesarten

  • Textzeuge 1: Text nicht vorhanden.
    Textzeuge 2: als die geschriebene Rede,
  • Textzeuge 1: Text nicht vorhanden.
    Textzeuge 2: Pulsschlags eines
  • Textzeuge 1: Farbe
    Textzeuge 2: Farben
  • Textzeuge 1: Text nicht vorhanden.
    Textzeuge 2: und dann ganz natürlich etwas Schlechtes.
  • Textzeuge 1: 1,
    Textzeuge 2: 1
  • Textzeuge 1: enharmonische
    Textzeuge 2: unharmonische
  • Textzeuge 1: Text nicht vorhanden.
    Textzeuge 2: ihre Gedichte
  • Textzeuge 1: Text nicht vorhanden.
    Textzeuge 2: am
  • Textzeuge 1: denn doch ein gut
    Textzeuge 2: aber doch ein gutes

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