Dramatisch-musikalische Notizen (Prag): „Faust“ von Louis Spohr

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Dramatisch-musikalische Notizen.

Von Karl Maria von Weber, Direktor der Oper.

Sonntag den 1. September zum Erstenmal: Faust, Romantische Oper in 2 Aufzügen von J. C. Bernard, in Musik gesetzt von Louis Spohr*. Dem Prager Theater gebührt die Ehre, dieses schöne Erzeugniß teutscher Kunstweise zuerst auf die Bühne zu bringen. Obschon im Jahre 1814 von dem Verfasser laut dem gedruckten Buch für das k. k. priv. Theater an der Wien bestimmt und eigens geschrieben, erlebte es doch dort keine Aufführung, und theilt dieses Schicksal mit einer großen Anzahl Werke, die für die Wiener Theater geliefert wurden, und aus hier nicht zu erörternden Gründen unbeachtet und liegen geblieben sind.

Der bekannte so reichhaltige Stoff ist von Hrn. Bernard ganz abweichend von allen frühern Behandlungen desselben ¦ bearbeitet worden, und es scheint in dem Reichthum Darbietenden desselben das Eigenthümliche zu liegen, daß vorzüglich alle dramatische Bearbeitungen auf so ganz verschiedene Wege ihren Zweck, Wirkung hervorzubringen, zu erreichen suchten; und abermals in diesem Reichthum mag auch der Grund zu finden seyn, daß jede Phantasie noch größere Forderungen an das aus ihm gezogene Gebilde stellt, als bisher noch durch irgend eine Bearbeitung (für den theatralischen Gebrauch) geleistet worden ist. In musikalischer Beziehung hat Herr Bernard ein schönes Feld eröffnet, und es dünket Ref. auch, daß dieses nicht leicht in bessere Hände hätte kommen können, als eben dieses Componisten.

Hr. Spohr hat sich durch seine trefflichen Leistungen in Instrumentalkompositionen aller Art, einen so achtungswerthen Platz in der Kunstwelt erworben, daß gewiß jeder Künstler mit freudiger Verehrung seinen Namen nennt.

Als Opernkomponist kennt ihm zwar die Menge nicht in eben diesem Grade, doch hat er sich auch in diesem Fache mehrfältig versucht, und daher schon die Erfahrungen voraus, die man nur als Partheyloser beobachten, durch eignen Versuche sammeln kann. Das Duell um die Geliebte* für das hamburger Theater (und andere) sind Ref. am erinnerlichsten davon. Der Charakter des vorliegenden Stoffes liegt offenbar dem Geiste, der sich meistens in den Arbeiten Hrn. Spohrs ausspricht, sehr nahe; und diese romantische düstre Geisterwelt entspricht recht der innern Tonwelt dieses Komponisten. Hieraus entwickelt sich also leicht das Resultat einer schönen Farbengebung des ganzen Werkes, großer theatralischer und musikalischer Effekte von vorzüglicher Lieblichkeit und Anmuth in den einzelnen Theilen, und erschütternden Kraftäußerungen in den Ensembles und Chören.

Die Ausführung der einzelnen Gegenstände musikalischer Bearbeitung, als Instrumen[t]ation und Harmonien-Fülle, ist mit der ausgezeichneten Sorgfalt und Strenge gearbeitet, die man an diesem Meister gewohnt ist.

Glücklich und richtig berechnet gehen einige Melodien wie leise Fäden durch das Ganze, und halten es geistig zusammen, in dieser Beziehung wird die effektvolle Ouvertüre erst nach dem Anhören der Oper ganz verständlich, von die der Componist selbst als Vorwort in dem gedruckten Buch folgendes zu äußern nöthig fand:

"Der Tonsetzer hat in der Ouvertüre Fausts immer Lebenszustände der Phantasie des Zuhörers durch Tonbilder anschaulich zu machen versucht.

Im Allo vivace ist das sinnliche Leben Fausts und der Taumel der Schwelgerey in diesem bezeichnet, denn der Ueberdruß daran weckt das Bessere in ihm, und erzeugt Gewissensvorwürfe, die von der mächtigen Sinnlichkeit wieder betäubt werden.

Im Largo grave ist sein endliches Ermannen, das Bestreben dem Bösen zu entsagen, und im Fugato das allmählige Aufkeimen guter Vorsätze angedeutet. Doch bald unterliegt er neuen und stärkern Lockungen der Sinnlichkeit – tempo primo – und überläßt sich, von der betrügerischen Macht des Bösen verblendet, mehr als je den ungezügeltsten Lüsten."

Die großen Schwierigkeiten, die sich übrigens in dieser wie in allen Arbeiten Hrn. Spohrs der Ausführung in musikalisch-technischer Hinsicht vorfinden, mögen freylich die Aufführung dieses schönen Wesens mancher Bühne erschweren; Ref. genießt aber die Freude, das kunstliebende Publikum aufmerksam machen zu dürfen, wie der Wille und Eifer des gesammten Opern-Personals-Chors und Orchesters keine Anstrengung für zu groß hält, um neue und oft schon deßhalb schwierigere Kunstwerke demselben vor zu führen.

Apparat

Zusammenfassung

beschreibt die Bedeutung Spohrs als Instrumental- und Opernkomponist; danach folgt kurze Charakterisierung der Ouvertüren-Sätze

Entstehung

27. August 1816 (laut A und TB); 28. August 1816 (Versand laut TB)

Überlieferung

  • Textzeuge: Kaiserlich Königlich privilegirte Prager Zeitung, Jg. 3, Nr. 245 (1. September 1816), S. 975

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • Entwurf: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
      Signatur: Mus. ms. autogr. theor. C. M. v. Weber WFN 6 (VI), Bl. 45b/r u. v

      Quellenbeschreibung

      • über dem Manuskript Titel: Dramatisch Musikalische Notizen. pp Fortsezzung.; Incipit:„Sonntag d: 1t. Sept. zum 1t. mal Faust Romantische Oper in 2 Aufzügen“
      • auf Bl. 2r und v von DBl., Format 34,4x20,6 cm
      • Mittelteil fehlt, wurde herausgeschnitten
      • WZ durch den Beschnitt des Autographs nur noch auf einem Blatt vorhanden: IK, Kettlinien ca. 2,6 cm
      • Datierung: links neben der Überschrift von Weber: „No 2.“; unter dem Manuskript von Weber: „geschrieben d: 27t. August 1816 in Prag.“; Datum gestrichen und darunter: „Imprimatur omissis deletus den 31. August 1816. Willmann.“; Tagebuch 27. August: „Aufsaz über Faust geschrieben.“
    • HellS II, S. 156–160
    • MMW III, S. 101–103
    • Kaiser (Schriften), S. 273–275 (Nr. 98)

Textkonstitution

  • „… Spohr hat sich durch seine“hier bricht der Entwurf, der bis dahin grundlegend mit dem ED übereinstimmt, wegen Beschnitts ab
  • „ihm“sic!
  • „eignen Versuche“sic!
  • „die“sic!

Einzelstellenerläuterung

  • „… Musik gesetzt von Louis Spohr“Vgl. Webers TB-Eintrag.
  • „… Das Duell um die Geliebte“Der Zweikampf mit der Geliebten, Oper in drei Aufzügen auf ein Libretto von Johann Friedrich Schink, WoO 50 (1810); Uraufführung am 15. November 1811 in Hamburg.
  • immerrecte „innere“.
  • Wesensrecte „Werkes“.

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