Johann Gottfried Wohlbrück an Ludewig I., Großherzog von Hessen und bei Rhein in Darmstadt
München, Dienstag, 2. August 1814

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Allerdurchlauchtigster Großherzog
Allergnädigster Fürst und Herr.

Bey dem lebendigsten Gefühl der innigsten Verehrung und einer unvergänglichen Dankbarkeit für die mannigfalltigen Beweise von Gnade, deren Ew. Königliche Hoheit mich zu würdigen, geruht haben, hat mich nun seit Jahren, unausgesezt der Gedanke beunruhigt, daß ich, hingerissen und bestimmt von Verhältnissen, welche nachtheilig auf mich wirkten, den Schein auf mich geladen habe, gefühllos für sie viel Huld zu seyn. In dieser ziemlichen Empfindung, ist es mein höchster Wunsch, eine Veranlassung zu finden, Ew. Königliche Hoheit ein, sey es auch noch so schwaches Zeichen, meiner tiefsten Verehrung zu Füßen zu legen und sehr glücklich werde ich mich schätzen, wenn Höchst dieselben dasjenige, welches diese Zeilen begleitet, nicht ganz verwerflich finden.

Längst haben Kenner und Freunde der Tonkunst, über den gänzlichen Mangel lyrisch-dramatischer Gedichte geklagt, der um so fühlbarer geworden, je mehr, in neuern Zeiten, die Harmonie ausgebildet und an Mitteln bereichert ist, um leidenschaftliche Situationen und mächtige Empfindungen glänzend zu erheben und ausdrucksvoll zu begleiten. Der Inhalt der mehrsten Operntexte, ist von der Art, daß es sich kaum bezweifeln läßt, wie ein Komponist, in irgend einer Beziehung, sich durch denselben angezogen fühlen konnte. Findet sich ja einmal eine glückliche Fabel, eine anziehende Situation, so ist die Behandlung auf das Unverantwortlichste vernachläßigt und Form und Ausdruck so ungebildet und roh, daß sie einer geistvollen Musik wie zum Spott unterlegt scheinen. Man erklärt diese widrige Erscheinung, durch die Abneigung der Dichter, ihre Werke der musikalischen Behandlung unterzuordnen, durch die Achtlosigkeit des Publikums auf Handlung und Sprache bey Operndarstellungen und durch die gänzliche Undankbarkeit des Geschäftes im Allgemeinen. Doch diese Gründe scheinen mir nicht zureichend. Wenn der Dichter die Natur und die Forderungen der dramatischen Tonkunst kennt und für dieselbe zu schreiben sich gedrungen fühlt, so wird er aus freyem Triebe, sein Werk dem Zwecke gemäß bilden, und der Tonkünstler wird mit Achtung und Liebe ein Werk aufnehmen, welches seinem Beginnen höchstens nur auf die Weise untergeordnet ist, wie der Grund dem Gebäude. Die bessern Dichter haben, meines Erachtens, nur Schauspiele mit lyrischen Verzierungen geliefert, wenn sie für Komponisten gearbeitet, aber nicht lyrisch-dramatische Gedichte. Dem genügten die Ansprüche der neuern Tonkunst nicht und sie nahm in der Noth ihre Zuflucht zu den rohen phantastischen Arbeiten solcher Schreiber, welche Handlung, Situationen, Bilder und Worte chaotisch zu Haufen brachten, und mindestens der Einbildungskraft, wenn auch auf Kosten des Verstandes, ein freies Spiel gewährten. – Diese Arbeiten gleichen den rohen Gerüsten bey Illuminationen; die Tonkunst spannte sinnvolle Gemählde darüber und brauchte sie zu Gefallen für farbenprangende Lichter. – War es ein Wunder, wenn solche Gerüste vom Zuschauer nicht beachtet wurden? Es war Pflicht, oder mindestens Bedingung, die Sinne davon abzuwenden, um den lieblichen Genuß nicht widrig zu unterbrechen. – Daß eine solche Handlangerey nicht auf dankbare Anerkennung Anspruch machen konnte, war natürlich. Aber die zarte Verschmelzung der Rede und des Gesanges, des Verstandes und der Phantasie, ist eine Aufgabe, werth des edelsten Strebens, und bei diesem kommt die Erwägung dessen, was es auf dem Markte gelten könnte, nicht zur Sprache.

Ich habe Neigung und Beruf in mir gefühlt, nach diesem Ziele zu ringen, und der Gedanke, daß eine solche Bemühung den Beyfall Ew. Königliche Hoheit gewinnen könnte, hat meinem Streben eine erhöhte Regsamkeit gegeben. Ich schrieb zuerst eine komische Oper für Höchst-Dero Kamerkomponisten, Meyerbeer, und da dieser vielseitig gebildete junge Mann Freude an meinem Werke fand, es mehreren Tonkünstlern mittheilte und diese mich alle ermunterten, auf dieser Bahn fortzufahren; so entschloß ich mich einen ernsten, der erhabenen Tonkunst würdigen Gegenstand zu behandeln, wählte die Geschichte der Athalia zur Bildung einer Oper und theilte das Gedicht dem Freyherrn Poißl zur Komposition mit, der es mit inniger Liebe und ächten artistischen Enthusiasmus seinerseits ausgestattet hat.

Geruhen Ew. Königliche Hoheit diesem Werke, welches ich Höchstdenenselben hiebey unterthänigst vorzulegen wage, einiger Aufmerksamkeit zu würdigen und kann es die Theilnahme und die Billigung des erhabensten Kenners der lyrisch-dramatischen Kunst erregen, so wird dieses Glück meinen Entschluß, weiter auf dieser bisher wenig betretenen Bahn zu arbeiten, bestätigen und der Augenblick in welchem ich mich zu dem Geschäft entschloß, als einer der glücklichsten meines Lebens gepriesen werden. Die Überzeugung von Ew. Königliche Hoheit unbegränzter Gnade flößt mir einige Hoffnung auf Verzeihung ein, indem ich es wage Höchstdenenselben mich zu nahen.

Die Erfüllung dieser Hoffnung wird mich mit einer Freude beleben, die eben so sehr über jeden Ausdruck erhaben ist, als die Gefühle der Ehrfurcht und Dankbarkeit, mit welchen ich ersterbe als
Ew. Königliche Hoheit
unterthänigst gehorsamster Diener
G. Wohlbrück.

Apparat

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Darmstadt (D), Hessisches Staatsarchiv (D-DSsa)
    Signatur: D 12, Nr. 24/7

    Quellenbeschreibung

    • 1 DBl. (4 b. S. o. Adr.)
    • Vermerk Schleiermachers am oberen Rand von Bl. 1r : „hat 10 Carolins erhalten“

Textkonstitution

  • „mannigfalltigen“sic!

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