Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 18. Mai 1817 (Teil 1 von 2)

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Am 18. Mai. Zum erstenmale: Raoul, der Blaubart, historische Oper in 3 Akten nach dem Französischen, Musik von Gretry.

Einen trefflichern Stoff als diese alte Sage (eine historische Oper möchte sich daher wohl kaum zur Ueberschrift eignen) zu einer heroisch-romantischen Oper, ja wohl selbst zu einem Schauspiele gäbe, wüßten wir kaum aufzufinden. Und wie ganz ärmlich ist er von den französischen Bearbeitern benutzt worden! Ganz haben sie ihn nicht verwässern können, er war ihnen zu übermächtig, daher immer noch die trefflichsten Momente, die dramatischsten Charaktere, die interessantesten Verwickelungen, aber sie haben das ihrige zu dieser Verflächung doch redlich gethan, und so, einem deutschen Operndichter eigentlich immer noch freies Feld zu einer neuen Schöpfung gelassen. Von Seiten der Direction war alles geschehen, um diese Vorstellung zu einer der glanzreichsten zu machen. Ein phantastisches, meist trefflich gewähltes Costüm bestach die Augen in mannigfachen Gestaltungen; besonders malerisch ausgesucht war der zweite Anzug des Blaubarts, so wie der der beiden Brüder Mariens, nur hätten wir Marien selbst im ersten Akte ein anderes, als ein blaues Gewand gewünscht, weil die Figur nun vor dem ebenfalls blauen großen Vorhange des Hintergrundes sich bewegend, keine gute Wirkung machte. Die Pannierträger, die gehelmten Ritter, alles führte in ein frühes Mittelalter zurück, und selbst die schneeweißen beiden Rosse mit den altmodischen Sätteln und Decken, fanden hier im feierlichem Zuge, wo dem Dialoge kein Eintrag durch sie geschah, selbst vor den Bühnen-Pferdehassern Gnade. Eben so lobenswerth war das Arrangement des Ganzen, die Gruppen, Züge, einzelnen Gefechte, das Heraufsteigen Blaubarts drohend mit dem beiten Schwerte aus der Versenkung und sein Sturz. Die Decoration des ersten Akts imponirte, bei der im zweiten und dritten hätten wir aber der Thüre, welche in das fürchterliche Gemach führt, mehr Schauererweckendes gewünscht. Es sollte ein Einsatz in die Coulisse seyn, der bis oben in die Soffiten hinaufging, nicht wie hier niedrig, und dadurch in der Seiten-Coulisse noch das Fenster sehen lassend, vor dem er stand, und welches daher nothwendig auch mit jenem Gemach zusammenhängen mußte. Der Fußboden in dem Zimmer des Mordes sollte mit schwarzem Tuch belegt, und bei der Eröffnung der Thür ein schauerliches Dunkel darin bemerkbar seyn. – Daß der französische Opernverfertiger Marie über einen Spiegel eine Verwunderung äußern läßt, wie einer Südsee-Insulanerin, welcher ihn Cooke zum erstenmale vorhielt, ist – wenigstens sehr sonderbar. Dann muß aber auch Laura, Mariens Zofe, vor dieser fremden Erscheinung ein gesteigertes Staunen zeigen.

Diese kleinen Bemerkungen mögen bloß unsere Aufmerksamkeit bezeugen. Uebrigens erweckte das Ganze in uns einen so angenehmen und tiefen Eindruck, als es auf die Zuschauer machte und bei jeder Wiederholung immer machen wird.

(Der Beschluß folgt.)

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung Dresden: „Raoul, der Blaubart“ von André Ernest Modeste Grétry am 18. Mai 1817

Entstehung

vor 4. Juni 1817

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 133 (4. Juni 1817), Bl. 2v

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