Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 18. Mai 1817 (Über Mad. Grünbaum als Sängerin) (Teil 2 von 2)

Zurück

Zeige Markierungen im Text

Raoul der Blaubart.

(Beschluß.)

Hierzu wirkte vorzüglich auch das sehr wackre Spiel des Herrn Hellwig als Blaubart, den er mit aller Kraft und Rauhheit gab, welche diese Rolle fordert, so wie auch Herr Wilhelmi als Ritter Vergo, und Herr Genast als Kurt vieles Lob verdienen. Marien sang unsrer theurer Gast, Mad. Grünbaum, wer versprach sich da nicht im Voraus einen ausgezeichneten Genuß, und erhielt ihn nicht auch?

Ueber die Musik selbst hat sich der Herr Kapellmeister von Weber bereits in diesen Blättern ausgesprochen. Sie ward unter seiner Leitung von der kön. musikalischen Kapelle mit einer Gediegenheit und Virtuosität ausgeführt, die man nicht genug beloben kann, und gewährte dadurch eine reiche Aerndte von Interesse und Vergnügen.

Schließen können wir jedoch diese kurze Anzeige nicht, ohne ein Versprechen zu lösen, daß wir ebenfalls in diesen Blättern gleich bei dem Beginn der Gastrollen von Mad. Grünbaum, deren letzte leider diese Marie im Blaubart war, unsern Lesern gaben. Woher hätten wir aber ein gründlicheres Urtheil über die Kunstleistungen dieser trefflichen Sängerin hören können, als aus dem Munde des Kenners, der als theoretischer und praktischer Musiker überall die ausgezeichnetste Anerkennung genießt. Mit Vergnügen theilen wir daher hier, in dessen eignen Worten, mit, was der Herr Kapellmeister von Weber, den wir über diesen Gegenstand um eine nähere Bestimmung baten, uns darüber sagte. Es war folgendes:

Sie wollen meine Meinung über Mad. Grünbaum wissen, hier ist sie über das diese SängerinΔ Bezeichnendste. Stimme ist das Naturgeschenk, das ich gleich abrechne, weil dessen Vorzüglich- oder MittelmäßigkeitΔ sich verständlich genug für Jedermann ausspricht, und, so herrlich es auch ist, doch noch nicht allein den Sänger macht; so wenig als eine schöne Figur denΔ guten Tänzer. Das von der Natur gegebene Metall aber, es sey nun spröde, geschmeidig oder weich, so sich unterthan zu machen, daß es in alle zur Ausübung nothwendige Formen, willig, und scheinbar zwanglos sich schmiege, ist das, was den wahren Künstler beweißt, und viele mit den Worten, vollkommene Schule ausdrücken wollen.

Welche ungeheuere Forderungen macht man an eine deutsche guteΔ Sängerin. Sie soll, vor allem den Zauber der italienischenΔ Geschmeidigkeit und Zierlichkeit haben. Sodann die höchste deklamatorische französische Leichtig- und Leidenschaftlichkeit und natürlich am Ende auch die deutsche, einfache, tieffühlende, und Wahrheit fordernde Gesangsweise. Wie bequem hat es eine Sängerin in Italien. Ihr ganzes Leben hindurch bewegt sie sich in einer und derselben Sphäre. Ihrer Stimme, ihren Fähigkeiten, muß alles vom Komponisten angepaßt, – die Schwächen derselben verdeckt, die Schönheiten und Naturgaben hervorgehoben werden. Kommt etwas anderes, unbequemes vor, – enthalte es auch die höchste Kunstschönheit – mit dem ganz einfachen Grund, non è scritto per me, wird es bei Seite gelegt und das Nächste beste Gurgelrechte an dessen Stelle gesetzt.

¦ Mad. Grünbaum ist Herr und Meisterin ihrer Stimme. Jeder Ton steht ihr mit seiner längsten Dauer, Schwellung und Reinheit, allein, und in jeglicher Verbindung zu Gebote. Ihre Passagen sind deutlich, geperlt, nicht ein über die Töne rutschen, herunterpoltern, oder hinaus husten. Jeder einzelnen Klangstufe in denselben widerfährt ihr Recht; denn man könnte z. B. in ihren Läufen durch die halben Töne, herauf oder herab, ihr kühn auf jeder beliebigen Stelle ein Halt! zurufen, und den letzten Ton immer noch so rein und gediegen finden, wie ihn nur der Instrumentist gewöhnlich geben kann.

Nächstdem ehrt Sie, laut und weitschallend sey es gesagt, das Kunstwerk, in dem sie Theil des Ganzen ist, und sieht es nicht als ein allerunterthänigst zusammen getragenes Tonnest an, in dem alles nur umΔ ihretwillen da wäre. Daher singt Sie jede Gattung mit dem ihr zugehörenden Charakter, (wie einfach sang sie die Romanze imΔ Lotterieloos. Verschmähend um der Sache willen, den lauten Beifallruf, den gewiß zu erringen, ihr durch ein Paar kühne Passagen so leicht gewesen wäre,) schließt sich in Ensemblestücken mit der Präzision eines Instrumentalisten an das Ganze an, und zerreißt und mißhandelt nicht Alles was man Taktverhältniß und musikalische Einschnitte heißt: wo so oft, das Orchester schon seine musikalische Rede geschlossen hat, und dann der Sänger mit aller möglichen Bequemlichkeit und empörenden Verachtung alles rythmisch musikalischen Gefühles und Gesetzes gelegentlich einen halben Takt später schließt, um eine wohlgefällige Tirade anzubringen, während das Orchester schon etwas anders sagt. Daß Sie sich dergleichen nie zu Schulden kommen läßt, beweißt auch, daß Sie Musikerin im eigentlichen Sinne des Wortes ist. Dieß bewährt sie auch bei ihren Verzierungen und Cadenzen, die nie ganz willkührlich ins Blaue hinaus wirbelnde Raketen sind, sondern sich selbst in ihrer Freiheit, doch in gewissen takt- und harmoniegemäßen Einschnitten bewegen, die ihre Vollendung bezeichnen, und es dem Hörer leicht machen, sie zu begreifen und zu verfolgen. Die Ruhe, mit der sie diesesΔ macht, und die Herrschaft über alle Grade von Schwäche und Stärke in Höhe und Tiefe der Passagen, bezeugt ihre Meisterschaft: und von dieser geht das Wohlgefallen des Hörers aus, der ungetrübt von Angst für das Gelingen, rein die Kunstfertigkeit genießt.

Daß Sie rein intonirt, einen guten Triller besitzt, richtig, und daher unbemerkt Athem holt; – große Cantilenen eben so mit dem gehörigen Portamento zu geben weiß, als flüchtige Passagen mit Leichtigkeit – versteht sich von selbst, als Eigenschaften, ohne die man nicht Anspruch auf den Namen einer bedeutenden oder großen Sängerin machen darf.

Wenn übrigensΔ auch bei Mad. Grünbaum, Δ noch manches zu wünschen übrig bleiben sollte, so hängt das mit dem alten SprucheΔ: „Es ist nichts vollkommen unter der Sonnen“ zusammenΔ. Daß aber die Sonne nicht viel so vollkommene Sängerinnen, wie Mad. Grünbaum ist,Δ bescheint – will ich recht gerne meiner Ueberzeugung gemäß, bescheinigen.

Am 20. Mai. Wiederholung des Raoul der Blaubart, wo bei gesteigertem Beifall für das Ganze, der scheidenden Sängerin noch ein tiefgefühltes Lebewohl nachgerufen ward.

Apparat

Verfasst von

Zusammenfassung

Aufführungsbericht Dresden: „Raoul der Blaubart“ von Grétry am 18.5.1817 (Beschluß), Urteil über Therese Grünbaum als Sängerin

Generalvermerk

die Ausführungen über Therese Grünbaum stammen von Weber; Versand im Brief an Winkler am 27. Mai 1817

Entstehung

27. Mai 1817 (laut A und TB)

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Hafenstein, Deborah

Überlieferung in 2 Textzeugen

  • 1. Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 134 (5. Juni 1817), Bl. 2v

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • Nachdruck des von Weber stammenden Teils über die Grünbaum in: Dramaturgisches Wochenblatt in nächster Beziehung auf die königlichen Schauspiele zu Berlin, Bd. 2, Heft 50 (14. Juni 1817), S. 397–398 (mit Einleitung: „Wir schicken dieses unparteiische Urtheil eines kompetenten Kunstrichters in Dresden der Anzeige über die von der trefflichen Sängerin und Schauspielerin auf den hiesigen königlichen Theatern gegebenen Gastrollen voraus und werden jene Anzeige im nächsten Stücke folgen lassen. D. H.“)
    • HellS III, S. 112–115
    • MMW III, S. 151–153
    • Kaiser (Schriften), S. 329–332 (Nr. 117)
  • 2. Textzeuge: Entwurf: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Signatur: Mus. ms. autogr. theor. C. M. v. Weber WFN 6 (VII), Bl. 53r–53v

    Quellenbeschreibung

    • über dem Ms Titel: „Ueber Mad: Grünb: als Sängerin, an den Hof. Winkler“; Incipit: „Sie wollen meine Meinung über Mad: Grünb: wißen hier ist sie“; datiert: „Dresd: d: 27: May 1817.[27 aus 26 von Weber korrigiert]“
    • auf einzelnem Bl. 1r und v; Format 33,5x20,5 cm, WZ: KIRCHBERG, Kettlinien ca. 2,7 cm laut TB 27. Mai 1817: Brief über den Gesang der Mad: Grünb: an Winkler geschrieben.; bei Kaiser mit 25. Mai 1817 datiert; unter dem Aufsatz Grußformel: Ich grüße Sie herzlichst mit Achtung und Freundschaft Ihr Weber.; Text teilweise mit Rötel markiert; in MMW mit 2. Juli 1817 datiert

Textkonstitution

  • „das S.gin“durchgestrichen

    Lesarten

    • Textzeuge 1: das diese Sängerin
      Textzeuge 2: das S.gin
    • Textzeuge 1: Vorzüglich- oder Mittelmäßigkeit
      Textzeuge 2: Vorzüglichkeit oder Mittelmäßigkeit
    • Textzeuge 1: den
      Textzeuge 2: einen
    • Textzeuge 1: deutsche gute
      Textzeuge 2: gute deutsche
    • Textzeuge 1: italienischen
      Textzeuge 2: italischen
    • Textzeuge 1: um
      Textzeuge 2: Text nicht vorhanden.
    • Textzeuge 1: im
      Textzeuge 2: in dem
    • Textzeuge 1: dieses
      Textzeuge 2: dieß
    • Textzeuge 1: Wenn übrigens
      Textzeuge 2: Was
    • Textzeuge 1: Text nicht vorhanden.
      Textzeuge 2: nicht
    • Textzeuge 1: so hängt das mit dem alten Spruche
      Textzeuge 2: hängt mit dem alten Spruche zusammen
    • Textzeuge 1: zusammen
      Textzeuge 2: Text nicht vorhanden.
    • Textzeuge 1: ist,
      Textzeuge 2: Text nicht vorhanden.

    XML

    Wenn Ihnen auf dieser Seite ein Fehler oder eine Ungenauigkeit aufgefallen ist,
    so bitten wir um eine kurze Nachricht an bugs [@] weber-gesamtausgabe.de.