Aufführungsbesprechung Wien, Kärntnertor-Theater: „Euryanthe“ von Carl Maria von Weber am 25. Oktober 1823 (Teil 2 von 4)

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K. K. Hof-Theater nächst dem Kärnthner-Thore.

Euryanthe.

(Fortsetzung.)

Eglantine beschliesst nun heimlich, Emma’s Gruft zu durchsuchen, und hegt dabey die Hoffnung, Adolar werde vielleicht noch reuevoll an ihre glüh’nde Brust sinken. Wir erfahren endlich aus der Folge des Recitativs, dass sie doch einsieht, wie sie sich mit falschen Hoffnungen täuscht. Ja, in der Arie sagt sie: „In herbem Leid muss ich vergeh’n, in meinen Blüthetagen! Er hörte kalt der Liebe Fleh’n etc.“

Burgbewohner und Landleute bewillkommen Lysiart und die Ritter, und singen einen recht frohen, anmuthigen Chor. In diesem Augenblicke treten Euryanthe und Eglantine zugleich aus der Thür des Gruftgewölbes, und erstere wird von Lysiart als die schönste der Frauen begrüsst, und unter seiner Begleitung zum Aufbruch zum Feste aufgefordert. Eglantine jubelt darüber, Lysiart willfahrt der freundlichen Einladung Euryanthens, einige Augenblicke auf der Burg Nevers zu rasten, und sagt dabey: Wo du erscheinst, da wird die Wildniss helle, wie selig wäre deines Herzens Gast – beneidenswerther Freund! – Der Chor der Ritter sagt gedämpft: „O schwarzer Plan!“ und unter den Sologesängen der Hauptpersonen, welche jede ihre Empfindungen aussprechen, schliesst der Finalchor fröhlich. Hier wäre Manches zu wünschen, doch es kommen noch wichtigere Mängel zu rügen.

Der zweyte Aufzug beginnt mit einer sehr kräftigen Scene, in welcher Lysiart Anfangs über seinen gescheiterten Plan, ihr Herz zu gewinnen, verzweifelt, aber endlich Adolar zu verderben, und mit ihm unterzugehen beschliesst. Sehr ausdrucksvoll ist ¦ diese Scene von der Dichterinn gehalten, und für des Tonsetzers grossen Wirkungskreis recht glücklich durchgeführt. Es ist dunkel, und der ferne Blitz beleuchtet die Fenster der Gruft, da tritt Eglantine abermahls aus der Thür dieses Gewölbes. Sie hat unter Todesschauern den Ring von der Leichenhand gewunden, und ihr Triumph über die Entwendung desselben, wodurch sie Euryanthen in den Abgrund gestürzt und Adolar vernichtet glaubt (?) wird von Lysiart belauscht. Er trägt ihr nicht allein seinen Beystand zur Ausführung ihrer Rache, sondern auch seine Hand gleich mit an.

Das Duett:

Eglantine. „Komm dann unser Leid zu rächen, „Enden soll der Seele Qual! Lysiart. „Nimm mein feyerlich Versprechen, „Rächer werd’ ich und Gemahl!“

schildert die Situation genügend. Adolar tritt auf in der Säulenhalle des Königsschlosses, bald eilt Euryanthe in seine Arme. Nach einem kurzen Zweigesang zieht der König und Lysiart mit vielem Gefolge ein. Nach dem frohen Einzugschor und dem Grusse des Königs, fragt Euryanthe denselben, warum sie Frankreichs hohe Frauen hier vermisse? Der König antwortet: „Bald heissen sie Euch alle willkommen, freudig hoff’ ich’s, hoff’ es fest.“

Diess bedeutende Wort hat aber in der Folge weiter nichts zu bedeuten. Wir vermuthen, dass sich das weibliche Personale in ländliche Tracht umkleiden muss, und dass die Frauen desshalb nicht erscheinen können, denn im ganzen Textbuche ist weiter keine Spur von dieser Rede. Als Lysiart die Worte: „Mein König!“ ausspricht, antwortet der Chor: „Jetzt schlägt der Entscheidung Stunde, Allwissender, verleih der Wahrheit Sieg!“ Euryanthe ¦ ruft aus: [„]Mich fasst ein Grauen![“] Der König und Adolar entgegnen: „Muth und Vertrauen.“

Wozu das? Weiss Euryanthe etwas von der Wette? denn wäre sie vielleicht mit der Post auf und davon, auf eine Burg gefahren, und hätte ihrem Adolar einen derben Brief geschrieben. Weiss sie nichts, wie kann ihr schon grauen?

Lysiart tritt auf, und fordert vom König die Lande Adolars, weil er das Herz der schönen Euryanthe besiegt habe, und gibt zum Zeichen dieses Sieges den Ring von der Todtenhand mit den Worten: „Diess Unterpfand der Liebe reichte mir die schönste Hand, mit Trauer muss ich wiedergeben, was ich empfangen ohne Widerstand.“ Er fügt noch die Worte: „In heller Mondennacht, am letzten May“ – bey, um zu beweisen, dass er nun das Geheimniss wisse.

Von nun an verdammt der König, der Chor und Adolar die arme Gefallene, untreue Euryanthe, und der König belohnt durch den Schwertschlag Lysiart mit Adolars Gütern. Der Chor aller schliesst mit den Worten:

„Du gleissend Bild, du bist enthüllt. Schnell folgte Strafe deinen Thaten, Weh dir, die Lieb’ und Treu’ verrathen, Das Maass der Frevel ist gefüllt!“

Wären die hohen Frauen Frankreichs zugegen gewesen, wer weiss, ob diese nicht ein anderes Decisum gefällt und gesagt hätten: Halt, das muss man untersuchen!

Noch ein Ausweg war, um die ganze Handlung des Drama’s vor Lächerlichkeit zu retten. Wenn der König und alle anwesenden Ritter und Grossen die Parthie der Vernunft ergriffen, und Adolar zugerufen hätten: „Wahnsinniger! Was beginnst du? Du bist von Leidenschaft und Liebe mit Blindheit geschlagen!“ und Adolar hätte sie in Wuth und Eifersucht mit sich fortgerissen – – dann wäre der gesunde Menschenverstand von Seiten des Königs und seiner Parthey repräsentirt, und der Leidenschaft der Liebe ihre Befugniss zu unbegreiflichen Handlungen und Übereilungen von Publicum – welches als Zuschauer immer die Parthie des klaren Verstandes ergreift – zugestanden worden. Dann würde man die Schuld Euryanthe’s, welche in der Tragödie ja nur im Straucheln eines Fusses, gar nicht in einer vollbrachten That zu bestehen braucht, ¦ in furchtbarer Verkettung mit dem Verhängniss gefunden, und die Entwickung als dramatisch, als denkbar erkannt haben.

Denn man kann sehr wohl den Wahnsinn der Liebe mit allen seinen übereilten und später bereuten Thaten auf das Theater bringen, aber der König, alle seine Fürsten und Grossen sind ja nicht auch vom Schwindel der Liebe ergriffen, und diese müssen kalt bleiben, um sowohl der Mitwelt, in welcher die Handlung geschah, als auch der Zeit, in welcher das beschauende Publicum lebt, ihre gehörige moralische Würde, Wahrheit und charakteristische Farbe zu verleihen.

Dritter Act. Von nun an zerfällt die ganze Handlung schon von selbst in Nichtigkeit. Adolar kommt bey Mondschein in eine Wildniss. Der zweyte Act begann mit Blitz und Wetterleuchten in dunkler Nacht, also muss es noch dieselbe Nacht seyn. Gut, das Wetter hat sich aufgeklärt! Aber wie weiter? Im Buche steht, und wir sahen es auch so:

Adolar in schwarzer Eisen-Rüstung, mit hohem schwarzem Helm und Federschmuck; ein grosses Schwert in Kreutzesform in der Rechten etc.“

Wie hat er denn diess ganze Trauercostüme gleich bekommen? Er sagt ja: „Komm Euryanth’!“ und geht mit ihr ab. Ist er in seine Rüstkammer erst gegangen, und hat die Geliebte unten am Thor warten lassen, um seinen Empfindungen ein schickliches Gewand zu hohlen? Unmöglich, denn er hätte sich indessen anders besonnen, auch gibt es gar keine Form, unter welcher so etwas vorkommen dürfte! Oder soll etwa ein Zeitraum von vier und zwanzig Stunden darüber vergangen seyn? Ja, so ist’s! Zeit ist vergangen, aber wie viel? Das erfährt man Nirgends! Euryanthe sagt nur: O gönn’ auch Frieden meinem Busen nun!

Bey Soonnengluth, bey Sternenschimmer

Durchirrtest du den öden Hain! etc.

Also war allerdings Zeit verflossen. Aber warum war Euryanthe im Brautgewande mit Hermelinaufschlag, wie sie bey Anfang des Festes erschien, und nur Adolar in schwarzer Eisenrüstung? Ferner, warum trug Euryanthe bey der zweyten Vorstellung in dieser Scene ein anderes Kleid? Alle diese Fragen sind schwer zu lösen.

Mit einem Worte, Adolar will sie mehrmahls mit dem Schwerte durchbohren, und – sie thut ¦ doch den Mund nicht auf und sagt: Daran bin ich ja nicht Schuld!

Aber es lässt sich noch der Fall denken, dass sie einen stolzen Charakter hatte, der es unter seiner Würde fand, ein einziges Wort der Vertheidigung gegen einen so einfältigen Verdacht zu sagen. Ja, dann müsste dieser Zug früher motivirt seyn! Und wenn sie auch nur die Worte sagte, dass sie es unter ihrer Würde fände, sich zu vertheidigen, auch dann könnte der Zuschauer noch ein Auge zurdrücken und Wahrscheinlichkeit hineindichten.

Als Adolar sie durchbohren will, erblickt sie eine grosse Schlange heranstürzend, und stellt sich vor, um den Geliebten zu schützen. Adolar bekämpft und tödtet die Schlange, und bezeugt ihr seine Erkenntlichkeit, dass sie sich habe für ihn aufopfern wollen, mit folgenden Worten: Dich tödten war der Ehre streng Geboth, du aber stürztest dich für mich in Tod, so kann nicht ich dein Richter seyn, im Schutz des Höchsten bleibe hier allein!

(Adolar stürzt ab).

Nein! Das ist doch zu stark! Der Troubadour muss gar kein Herz haben! Euryanthe singt noch eine Cavatine, und wirft sich erschöpft neben einer Quelle hin. Der König ist auf der Jagd! Man findet die Schlange und Euryanthen. Sie richtet sich auf, und gesteht dem König, dass es lauter Verrätherey von Eglantinen war. Der König verspricht alles wieder gut zu machen. Sie sinkt vor Freude in Ohnmacht. Verwandlung. Bey einer Bauernhochzeit erscheint Adolar ermüdet, und erfährt, dass Eglantine mit Lysiart im Bunde steht, und heute sich auf Adolars Burg vermählen wollen. Das bezeichnete Brautpaar hält wirklich seinen Aufzug mit aller Pracht, aber Eglantine wird wahnsinnig, und spricht von ihrem Verbrechen. Adolar hört alles, seitwärts. Endlich tritt er hervor, Lysiart und er greifen zu Schwertern, der König tritt ein, gebiethet Ruhe. Eglantine triumphirt bey der Nachricht, dass Euryanthe todt sey, und bekennt hohnlachend ihr Verbrechen mit Lysiart. Dieser durchbohrt sie, wird gefesselt zum Tode geschleppt, als plötzlich der ferne Chor: „O Wonne, sie athmet, sie lebt!“ die Trauer in Freude verklärt. Euryanthe und Adolar umarmen sich, alles ist vergessen!

Nun erscheint Emma’s Geist in einem rosigen Schimmer. Hier hat der edle Compositeur gefühlt, ¦ dass noch viel Klarheit mangele, und folgenden Schluss dazu gedichtet:

Adolar. „Ich ahne Emma! selig ist sie jetzt: Der Unschuld Thräne hat den Ring benetzt, Treu both dem Mörder Rettung an für Mord, Ewig vereint mit Udo weilt sie dort!“

Besser, aber doch zu spät ist dieser nachgebrachte Zug! Die Dichtung hat einzelne gelungene Stellen in der Diction, aber wie der Leser sieht, so ruht das Ganze auf sehr schwachem Grunde. Die grossen schweren Grundsteine zu wälzen, und feste Tragbalken für das Drama zu zimmern, war eine zu schwere Arbeit für die zarte weibliche Hand!T

Fortsetzung der im vorigen Blatte abgebrochenen Beurtheilung.

Euryanthe, von Dlle. Sonntag dargestellt, war die Krone in dieser Darstellung. Wir haben schon oft über die Vollkommenheit der Ausbildung und die schöne Harmonie gesprochen, in welcher die Kräfte dieser jungen, trefflichen Sängerinn zu einem so ausgezeichneten Grade gediehen sind, diese Darstellung aber übertraf noch unsere Erwartung weit.

Anstand, Würde, Anmuth, Leidenschaft und Feuer, Alles vereinigte sich bey dieser Production in dem ganzen Wesen der Sängerinn. Sie war selbst der ganze Charakter, bebend vor unseren Augen. Als Sängerinn trat sie besonders im ersten Finale durch die zarte Weise hervor, mit welcher sie die Entzündung ihres Herzens in halbverhaltenen und doch so rührenden Tönen aussprach. Am Schluss des ersten Acts wurde der Tonsetzer gerufen, doch schien es, als ob die Tiefe des Werks für den ersten Eindruck nicht klar genug geworden sey.

Der zweyte Act beginnt mit einer grossen Kraftscene Lysiarts, in welcher das Feuer und die Geschicklichkeit des Herrn Forti hervortreten konnte. Die anstrengende Scene wurde von ihm mit grosser Bravour gegeben, das Publicum erkannte sein Verdienst durch lauten Beyfall an. Die immer rasch wieder einfallenden Recitative – denn es wird in der Oper nicht gesprochen – scheinen in der That in manchen Scenen ein Hinderniss für den freyen Strom des Beyfalls zu seyn, denn der Zuschauer glaubt ¦ immer durch Geräusche den Fluss schöner musikalischer Momente zu unterbrechen.

Die grosse Scene zwischen Lysiart und Eglantine ist ein Aufwand von musikalischer Kunst, und reisst durch ihre furieuse Leidenschaftlichkeit den Zuhörer mit sich fort. Herr Forti und Mad. Grünbaum wetteiferten in schöner Darstellung sowohl als im Gesange.

Adolars Arie sprach, wegen der obengenannten Ursachen auch hier nicht an. Das zweyte Finale ist ein Gewebe von kunstvollem Empfindungsgeiste, in dem die tiefe harmonische Gewandtheit Weber’s mit wahrer Verschwendung schaltet, und der Zuhörer wird von dem Eindrucke so ergriffen, dass er sich über die einzelnen Schönheiten nur durch öfteres Hören Rechenschaft geben kann.

Die ganze Pracht der Instrumente ist über dieses Tonstück in Fülle ausgegossen, und der imposanteste Eindruck muss jeden Unbefangenen ergreifen, und des berühmten Tonsetzers tiefe Kenntniss bewähren.

Die anmuthsvolle und durch ihre schöne Natürlichkeit so anziehende Stelle im Chor: „Wir alle wollen mit dir gehen,“ machte grosse Wirkung in dieser Scene. Der Tonsetzer wurde abermahls gerufen.

Der dritte Act beginnt mit einer langen Scene zwischen Euryanthe und Adolar, welche in schön instrumentirten Recitativen gehalten ist. Dlle. Sonntag erschöpfte alle Kraft und Schönheit des Ausdrucks in ihrem Vortrage. Hier war es, wo die unzureichende Kraft des dramatischen Bau’s, ohneracht der im ganzen befindlichen schönen Verse, einstimmig vom Publicum anerkannt wurde. Die edle Dichterin scheint von ihrer lyrischen Kraft überwältigt, und eine scharfsinnige Abwägung der wichtigsten Motive dadurch verhindert worden zu seyn. Die grossen Hebel des Drama’s haben keine Festigkeit.

Der Jägerchor war das Signal zu einem allgemeinen Enthusiasmus. Er musste drey Mahl gesun¦gen werden, und entzückte Jedermann. Euryanthen’s Cavatine ist ein Meisterstück, in welchem entzückungsvolle Wonne eines liebenden Herzens wahrhaft verklärt ist. Dlle. Sonntag erregte jubelnden Beyfall. Im dritten Final ist Lysiart wieder unübertrefflich gezeichnet. Überhaupt ist im dritten Acte eine grosse Gediegenheit und Klarheit sichtbar. Nirgends etwas zu viel, und immer dramatischer Effect. Der Tonsetzer wurde mit lautem Beyfall gerufen, ferner Dlle. Sonntag, Herr Forti und Mad. Grünbaum.

Die genauere Analyse der Musik folgt im nächsten Blatte

Apparat

Zusammenfassung

2. Teil der Aufführungsbesprechung Wien, Kärtnertor: „Euryanthe“ von Carl Maria von Weber am 25. Oktober 1823. Weitere Teile in den nächsten Ausgaben.

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Jakob, Charlene

Überlieferung

  • Textzeuge: Allgemeine Musikalische Zeitung, mit besonderer Rücksicht auf den österreichischen Kaiserstaat, Jg. 7, Nr. 89 (5. November 1823), Sp. 705–712

Textkonstitution

  • „wollen“sic!

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