Aufführungsbesprechung Wien, Kärntnertor-Theater: „Euryanthe“ von Carl Maria von Weber am 25. Oktober 1823 (Teil 3 von 4)

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K. K. Hof-Theater nächst dem Kärnthner-Thore.

Euryanthe.

( Fortsetzung.)

Bey näherer Betrachtung der Carl Maria v. Weberschen Musik sieht man augenscheinlich, wie dieser treffliche Tonsetzer in seinem Werke alle seine Kunst aufgebothen, alle seine musikalische, in der Harmonie hervorstechende Gewandtheit benutzt, und die ganze Gewalt der mannigfaltigsten Instrumentirung gebraucht hat, um sein Werk als ein von allen bisherigen Kunsterscheinungen sich unterscheidendes Product vor das Publicum zu stellen, und jede mögliche Vergleichung zu beseitigen.

Alles Lob verdient ein solches Streben besonders zu einer Zeit, wo der talentvolle, melodienreiche Rossini sich nicht entblödet, immer und ewig mehrere seiner früher gebrauchten Melodien in seinen neuesten Producten wieder vorzuführen, und dadurch zu der grossen Verirrung Anlass gibt, dass der Beyfall des Publicums sich fast ganz allein auf die zweckmässige und virtuosenmässige Ausführung der Sänger, bey seinen Opern wendet, und auf den wirklichen Kunstwerth einer Operncomposition beynahe ordentlich Verzicht zu leisten gewöhnt wird. Carl Maria v. Weber verdient desshalb die rühmlichste Anerkennung, und bezeichnet seinen Standpunct in der Kunstwelt auf eine edle Weise. Seine Euryanthe besitzt der Kunstschönheiten sehr viele, es scheint aber doch, dass ein etwas zu düstres Colorit in dem Werke vorherrscht, das ihm an mehreren Stellen einen kalten Ton gibt, und die Seele des Zuhörers nicht mit der Wonne erfüllt, welche bey allen schönen Werken grosser Meister durch den ihnen innewohnenden göttlichen Funken erweckt wird. Diess zeigt sich bey vielen in technischer Hinsicht sonst so vollendeten Tonstücken die¦ser Oper, auf eine unläugbare Weise. Die oft so musterhafte Instrumentirung vermag doch nicht in dem Grade auf das Herz zu wirken, ohnerachtet sowohl das Orchester als auch die Sänger einer ganz ungewöhnlichen Anstrengung zur Execution bedürfen.

Der Anfang der dramatischen Handlung, wie zwey Ritter um die Treue einer Schönen wetten, ist vom Compositeur schon so tragisch gehalten, und wirklich gewaltige Mittel in Bewegung gesetzt worden, um den Sinn der Poesie auszudrücken oder zu erheben. Es ist denkbar, dass die oft schönen Verse, welche eine grosse lyrische Kraft der geschätzten Dichterinn kund thun, und die in den Recitativen oft ausdrucksvolle Diction, welche die der gewöhnlichen Opernbücher an mehreren Stellen hinter sich zurücklässt, den Tonsetzer dazu verleitet haben, sowohl in den Recitativen als in mehreren Gesangstücken des ersten und zweyten Acts weit mehr harmonische Kunst zu verschwenden, als nöthig warT.

Dadurch mag wohl zum Theil der grosse Effect, der von mehreren in dieser Oper, mit der höchsten Anstrengung der Kunst geschriebenen Tonstücken zu erwarten war, etwas geschwächt worden seyn, weil eben in solchen Scenen, die einer ganz leichten, graciösen Behandlung bedurft hätten, zu viel Streben nach origineller Bewegung der Melodie und mannigfaltiger Kraft der Farbe sichtbar wird, und das Gemüth des Zuhörers zu wenig Ruhepuncte hat, in denen es neue Kraft zu so wichtigen Momenten schöpfen könnte.

Die Ouverture, welche der Oper als Vorrede dienen soll, ist mehr eine Phantasie, in welcher Weber’s harmonische Kunst auf eine höchst originelle Art hervortritt. Der kräftige Anfang wird bald von einem langen Adagiosatze der gedämpften Violinen abgelöst, welches sich jedoch zu lang dehnt, bis das Allegro beginnt. Das fugirte Thema desselben ist ¦ frey geführt, und nicht zu einem organischen Tonstücke im fugirten Style gerundet, sondern mit Zwischensätzen von freyerer Art ausgebildet. Allerdings wird der langsame Adagiosatz der Violinen wieder gegen das Ende angebracht, allein die übrigen Sätze der Ouverture fanden wir in der Oper sonst in keiner weiteren Beziehung. Der Eindruck war unentschieden.

Wer aus der Aufnahme eines dramatischen Werks am ersten Tage der Aufführung allein sein Resultat ziehen wollte, würde sehr irren. Der Freyschütz hat den Beweis schon früher gegeben, denn die erste Production wurde nicht eben ganz günstig aufgenommen, sondern die originelle Schreibart des trefflichen Meisters musste sich erst ihren Weg bahnen, und wir wollen uns nur gestehen, dass der Jägerchor im Freyschützen der schwankenden Stimmung des Auditoriums damahls den Ausschlag gab. Der Beyfall stieg mit der Wiederholung des Stücks, und so bewährte sich Weber’s schönes Werk immer mehr.

Wenn also bey der Ouverture zur Euryanthe der Enthusiasmus nicht laut, und keine Wiederholung derselben verlangt wurde, so darf man daraus keinen Schluss machen.

Die Introduction in G eröffnet die Scene auf eine höchst reitzende Art, und lässt in den lieblichen Melodien des Frauenchors und in den kraftvollen Tönen des Männerchors eine schöne Vereinigung der Anmuth und Stärke für das ganze Werk erwarten. Hier wäre sicher ein stürmischer Beyfall erfolgt, wenn nicht sogleich das Ballet begänne, und die Aufmerksamkeit in Anspruch nähme; denn Weber hat der Bewegung der Stimmen einen grossen Reitz verliehen, und das Ganze doch in einer interessanten Höhe gehalten, welche den Standpunct der ganzen Musik schon im Voraus andeutet.

Nach einem kurzen Recitativ beginnt Adolar seine Cavatine. Der Styl der Romanze ist hier sehr edel genommen, doch aber glauben wir, dass eine etwas frischere Bewegung dem Tonstücke mehr Reitz hätte verleihen können. Wahr ists, Herr Haizinger sang etwas befangen, aber sehr rein, und gerade diese Romanze liegt besser in seiner Stimme als andere Stellen. Das Tonstück sprach nicht an, ohnerachtet es aus drey Couplets besteht, in denen die immer wieder erscheinende Melodie mit verschiedener, sehr schöner Instrumentalbegleitung vorkommt. ¦

Das grosse Recitativ, in welchem der dramatische Knoten sich schürzt, beginnt in so ernster, bedeutender Kraft, dass hier schon ziemlich grosse Mittel bey der höhnischen Ausforderung Lysiarts vom Tonsetzer gebraucht werden. Wir erkennen die declamatorische Gewalt, welche Weber den Recitativen öfters mit besonderem Erfindungsgeiste verliehen hat, aber sehr oft fordert das lange Tragen gehaltener Töne eben im Recitative mehr Kraft, als der Sänger für das darauf folgende Gesangstück entbehren kann. Anziehender ist die öftere Vermischung der Cantilene, aber es wird auch dadurch die Leistung der Sänger im darauffolgenden Gesang etwas gefährdet. Sehr edel sind übrigens die meisten Recitative gedacht, und dem Tone der Rede, so wie dem ganzen Conture des Charakters wird auf diese kunstvolle Art von Seiten des Compositeurs gut vorgearbeitet. Die Sänger aber mögen entscheiden, pb wir durch die geäusserte Bedenklichkeit, wegen zu früher Erschöpfung, dem Tonsetzer Unrecht thun?

Der ganze Streit Lysiarts mit Adolar ist mächtig und imposant geführt, und von starken Orchestermassen begleitet.

Euryanthen’s Erscheinung, welche von der im ganzen Publicum geliebten Dlle. Sonntag gegeben wurde, erweckte die froheste Erwartung von der schönen Darstellung dieses Charakters, und gleich beym Eintritte der Sängerinn schallte ihr ein lautes Beyfallklatschen entgegen. Ihre Cavatine in C-dur, „Glöcklein im Thale, Rieseln im Bach etc.“ ist jedoch auf jeden Fall zu ernst gehalten, und durch eine zu langsame Bewegung, welche Carl Maria von Weber unter persönlicher Leitung selbst angab, etwas zu düster gemacht. Der schöne Vortrag der mit Beyfall empfangenen Sängerinn war nicht im Stande Theilnahme zu erregen. Es fehlte an einem mehr heitern, wenn auch nicht frohlockenden Tone des ganzen Liedes.

Das jetzt beginnende Recitativ zwischen Euryanthe und Eglantine that durch seine Länge, noch mehr aber durch das vom Text zum Theil gebothene, aber nie unterbrochene langsame Tempo der Oper gleich Anfangs grossen Eintrag, und der Tonsetzer schnitt desshalb nach der ersten Vorstellung einen Theil desselben weg. Die Erzählung von der Geistererscheinung ist so schön musikalisch gedacht, und würde grossen Effect machen, wenn die Scene trotz der Abkürzung nicht immer noch zu lang wäre. ¦ Die getragenen, mit halber Stimme hingehauchten Noten, wenn sie so lange fortgesponnen sind, erschöpfen die Kraft der Sängerinn ebenfalls, und es kann gegen das Ende die Steigerung nicht so wirksam seyn.

Das Duett zwischen Euryanthe und Eglantine in A ist ein brillantes Musikstück, und machte so trefflich von beyden Sängerinnen vorgetragen, eine enschiedene gute Wirkung. Lauter Beyfall wurde ihnen beym Abgang zu Theil.

Eglantine tritt unmittelbar nach dieser Scene allein wieder auf. Ihre Rache und Eifersucht spricht sich furchtbar in dem Recitativ und der Arie aus. Weber hat diess Tonstück ganz für die Bravour der Mad. Grünbaum berechnet, welche es auch trotz der starken, aber dabey sehr mannigfaltigen Instrumentirung mit sehr glücklicher Anstrengung vortrug. Wenn wir auch in Hinsicht der Verständlichkeit des Textes bey dieser Sängerinn manches zu wünschen hätten, so müssen wir doch der glücklichen Lösung ihrer schweren Aufgabe unsern ganzen Beyfall geben.

Das erste Finale in D zeichnet sich durch eine anmuthige Frische aus, welche durch die auf der Bühne ganz im Vordergrunde gebrauchten Trompeten noch mehr erhöht wird. Der Gesang ist melodiös. Lysiart kommt unter dem Schein Euryanthen zum Feste zu begleiten, und Alle ziehen in frohem Preise der Schönheit der Königinn des Tages ab. Hier hat der Compositeur über der ruhigen Harmonie des leisen Chors der Stimme Euryanthens – ohngefähr nach Art des Finale im Johann von Paris – eine Bewegung gegeben, welche so schön, im Mezzo voce von Dlle. Sonntag vorgetragen, eine recht angenehme Wirkung machte. Der Reitz der angenehmen Stimme gepaart mit so guter Ausbildung erhöhte das Anziehende des einfachen Thema’s. Der Vorhang fiel, doch waren die Stimmen sehr getheilt. Das Klatschen Mehrerer, welche mit Recht von der ersten Vorstellung noch kein entscheidendes Resultat erwartet hatten, und Weber’s Genie ehrend anerkannten, rief aber den geehrten Tonsetzer hervor.

Wir sagen, die Stimmen waren sehr getheilt, und tragen kein Bedenken, das anwesende Publicum Wiens zum Zeugen anzurufen.

Der zweyte Act beginnt mit einer grossen Scene Lysiarts, in welcher der Meister des Werks hohe Kraft und Kunstaufwand gezeigt, und den Kampf ¦ der Leidenschaften mit sehr schönen, treffenden Farben geschildert hat. Herr Forti sang und spielte diese Scene brav, und erregte durch die Ausdauer seiner Kraft Bewunderung. Die Kunst des Tonsetzers hat hier einige gefühlvolle Strophen des Gedichtes trefflich zu benutzen gewusst, um dem fortgesetzten Kampfe der Eifersucht und Rache Lysiarts in einem anmuthigen Mittelsatze eine recht schöne Folie untergelegt. Herr Forti genügte ganz in dieser Scene, und gab sie in ihrer schönen Natur und Wahrheit wieder. Grosser Beyfall ward ihm zu Theil. Die glückliche Benutzung der Messing-Instrumente, unter denen Weber ganz besonders die Waldhörner gern vierstimmig, und zwar auf Dissonanzen gebraucht, bezeichnet sowohl diess Recitativ und die Arie als etwas Vorzügliches in der Instrumentirung, als auch überhaupt in der ganzen Oper mehrere Stellen den routinirten erfindungsreichen Meister beurkunden. Wir gestehen jedoch, dass den Violinen oft eine allzugrosse Prüfung auferlegt ist, besonders wenn diese mit der Vorzeichnung der doppelten B B und des Maltheserkreutzes zu kämpfen haben. Wenn acht erste Geigen spielen, so dürfte nicht immer ein gleicher Klang möglich seyn.

Äusserst reitzende, kleine Nuancen weiss der Tonsetzer ferner öfter sowohl im leisen Gebrauche der Violinen auf den unteren Saiten, als auch durch die Anwendung der Flöten in der Tiefe mit zwey Clarinetten oder Fagotts gepaart, hervorzubringen, und den Effect durch das Pausiren aller Streichinstrumente zu erhöhen. Im Freyschützen finden sich ebenfalls mehrere solche Stellen. Eglantine stürzt aus der Gruft, Lysiart tritt schnell hervor, und belauscht ihr Selbstgespräch. Beyde beschliessen Rache zu nehmen, dieser Moment gibt zu einem höchst ausdrucksvollen, furiösen Duett Anlass, in welchem alle Macht der Leidenschaft meisterhaft gezeichnet ist. Sie trugen das treffliche Tonstück mit grosser Bravour vor, und wurden mit lautem Beyfall beehrt.

Adolar tritt auf. Herr Haizinger war zwar für die tiefen Intervalle seiner Cavatine nicht ganz geeignet, aber hier scheint der Tonsetzer durch das allzuviele Moduliren – ein Vorwurf, den wir, trotz unsererer wahren Achtung vor Carl Maria von Weber’s ausgezeichnetem Geiste, der Oper überhaupt machen müssen – selbst den meisten Schaden gethan zu haben. Der Gesang verliert durch die allzu often Übergänge an Klarheit und Natur. ¦

Der Zweygesang zwischen Adolar und Euryanthen: „Hin nimm die Seele mein,“ in C-dur, ist sehr leidenschaftlich, und zeigt die Stimmen in schöner Verschlingung. Hier muss man die schöne Modulation als einen charakteristischen, meisterhaften Zug des Tonsatzes rühmen.

Das pompöse Finale: „Leuchtend füllt die Königshallen,“ ist in einem schönen und edlen Style geschrieben. Die Anklage Lysiarts wirft ein dunkles Colorit über das Ganze, und die einzelnen hervortretenden Stimmen Euryanthens, Adolars und Lysiarts sind vom Chor imposant unterstützt. Nach mehreren in schauerlicher Kraft sich bewegenden Melodien wirkt die Stelle: „Wir alle wollen mit dir gehn etc.“ sehr anmuthig, und erheitert das Gemüth wieder von dem Eindrucke der Bangigkeit. Der Schluss in F-moll gibt dem Ganzen den schauerlichen Eindruck wieder.

Der zweyte Act dieser Oper zeigt den grossen Meister an mehreren Stellen, besonders hat derselbe in den grossen Kraftmomenten seine Kunst gezeigt. Er wurde gerufen. Der dritte Act übertrifft beyde vorhergehenden, durch seine Schönheit.

(Schluss folgt.)

Apparat

Zusammenfassung

3. Teil der Aufführungsbesprechung Wien, Kärtnertor: „Euryanthe“ von Carl Maria von Weber am 08. November 1823. Der zweite Teil folgt in der nächsten Ausgabe.

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Jakob, Charlene

Überlieferung

  • Textzeuge: Allgemeine Musikalische Zeitung, mit besonderer Rücksicht auf den österreichischen Kaiserstaat, Jg. 7, Nr. 90 (8. November 1823), S. 713–719

Textkonstitution

  • „Ausforderung“sic!

Einzelstellenerläuterung

  • unserererrecte „unserer“.

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