Aufführungsbesprechung Rostock: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber am 19. November 1822 (EA)

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So ist denn nun auch uns endlich das Vergnügen geworden C. M. v. Webers herrliches Tongemälde der Freischütz, das längst in allen deutschen Gauen rühmlichst bekannt ist, und dessen einzelne Klänge in jeder Stadt, fast in jedem Flecken, ja selbst in vielen Dörfern Deutschlands, durch die ambulanten Drehorgeln expedirt, erschallen zu hören und zu bewundern. Dank dem deutschen Meister, der aus dem Wirbel italienischen Klingklangs die deutsche Musik wieder zu Ehren brachte und ein Kunstwerk zu Tage förderte, das sich durch Lieblichkeit und Kraft, Einfachheit und Fülle, Originalität und Genialität, Karakteristik und musikalische Malerei zu einem der bedeutendsten unserer Zeit erhebt und sich daher auf den Repertoirs deutscher Bühnen an der Seite der bis jetzt unübertroffenen Meisterwerke eines Mozart bleibend erhalten wird. – Durch den Abgang der Madame Bröckelmann von unserm Theater, war der eigentlich seit Jahren schon vakante Platz einer ersten Sängerin erledigt, weshalb diese Oper hier bis jetzt nicht zur Aufführung gebracht werden konnte; die Anwesenheit der Mad. Thomassini, aus der Strelitzischen Hofkapelle, (die uns beiläufig gesagt als Großh. Meckl. Schwerinsche Kammersängerin Toscani in den Zeitungen angekündigt war) führte endlich die Gelegenheit herbei. Sie hatte die Parthie der Agathe übernommen, und ihr Gatte unterstützte das Orchester durch sein bekanntes treffliches Violinspiel. Die erste Aufführung fand am 19ten d. M. statt und sie wurde bis heute zweimal bei stets vollem Hause und Abonnement suspendu wiederholt. Referent hatte nur die Gelegenheit den beiden ersten Vorstellungen beizuwohnen und bezieht sich sein Bericht daher nur auf diese. Zwar ließen diese Aufführungen in der Darstellung und in dem Kostüm der Schauspieler wie der Exekution der Musik, (denn von Dekoration und szenischer Anordnung darf hier keine Rede seyn, indem unser höchst miserables Lokal jeder Bemühung in dieser Beziehung feindlich entgegentritt) besonders die erste manches zu wünschen übrig, jedoch schien uns ein Streben der Darsteller nach Vervollkommnung sichtbar. Die überaus schöne Ouvertüre, die allein schon eine ganze Rossinische Oper aufwiegt, ist die Krone des Ganzen und wurde mit einer, bei uns seltenen, lobenswerthen Stille und Aufmerksamkeit aufgenommen und ergriff beide Male ausserordentlich. Die Chöre wollten uns durchweg nicht recht gefallen, unser Opernpersonale ist zu schwach, um einen Chor gut zu besetzen; der so berühmt gewordene Jägerchor wollte beide Male nicht recht ansprechen. Das herrliche Terzett nebst Chor No. 3, im 1sten Akte, hätten wir präziser gewünscht. Doch der Raum gestattet es hier nicht, uns über das Ensemble weiter zu verbreiten, daher nur einiges über die Leistungen der Hauptpersonen. Mad. Thomassini, die, wie schon erwähnt, die Agathe sang, ist unläugbar eine routinirte Sängerin, die ihre Stimme – welche kräftig und volltönend, jedoch nicht von bedeutendem Umfange ist – ganz in ihrer Gewalt hat und sicher und rein intonirt. Was wir besonders an ihr loben, ist, daß sie die musikalischen Schnörkeleien und den Modetand verachtet, ihren Gesang nicht überflüssig verziert und überladet, sondern die Noten so singt, wie sie der Komponist vorgeschrieben. Möchten [sich] doch manche Sängerinnen hieran ein Beispiel nehmen! Auf den Brettern scheint sie zwar nicht recht zu Hause zu seyn, jedoch ist dies auch von einer Kammersängerin nicht zu verlangen. Wir können immerhin mit dieser Agathe zufrieden seyn, obgleich ihre Darstellung im allgemeinen kalt ließ. Wir nennen als ausgezeichnet, ihren Vortrag der rührenden Kavatine des 3ten Akts: „Und ¦ ob die Wolke sich verhülle“. Bemerken wollen wir noch, daß jedesmal, wenn Agathe sang, sich ausser dem privilegirten Taktstock noch ein zweiter Taktmesser aufthat. Wir können dies unter keinerlei Vorwand billigen, da nur dann in das musikalische Regiment Einheit kommen kann, wenn der Kommandostab von einem Dirigenten geführt wird. – Das harmlose muntere Annchen fand in Dem. Korradini eine würdige Repräsentantin und wir müssen ihrer Leistung, sowohl als Sängerin als Actrice alle Gerechtigkeit wiederfahren lassen. – Die Partie des Max war in den Händen des Hrn. Mühling; eines Tenoristen, über dessen Besitz wir uns zu freuen alle Ursache haben. Obgleich er zuweilen falsch intonirte, so sang er seine Stimme doch brav und gewiß zur Zufriedenheit der Zuhörer. Zwar laborirte er am zweiten Abend an einer Heiserkeit, wie dies auch vorher verkündet wurde, jedoch that er sein Mögliches, um die Darstellung nicht zu stören. Beiläufig wollen wir ihm anrathen, sich die Art und Weise, eine Büchse zu führen, mehr anzueignen. Hr. M. wurde am 2ten Abend gerufen, wozu wir, und gewiß die Mehrzahl der Zuhörer mit uns, an diesem Abend keine Ursache fanden; doch ein paar Stimmen wollten es, das Paradies sekundirte und der Künstler mußte sich bequemen. Wir traueten Hrn. M. Bescheidenheit genug zu, es zu fühlen, daß er an diesem Abend keinen Anspruch auf diese Auszeichnung machen könnte und wir fanden uns in diesem Glauben auch nicht getäuscht. Hr. M. gab uns einen Begriff seines feinen Gefühls, indem er ohne ein Wort des Dankes zu sprechen, die Gastdarstellerin vorführte, der, unsers Bedünkens, diese Auszeichnung auch nur gebührte. Beifallsbezeugungen lohnten seiner Bescheidenheit. – Hr. Fries führte die äusserst angreifende Rolle des Kasper brav und gut durch und gefiel uns besonders sein Vortrag der Arie: „Schweig, schweig! damit dich niemand warnt!“ – Die Darstellung des Kuno durch Hrn. Müller war lobenswert; Ottokar verdarb wenigstens nichts. Samiel (Hr. Seidel) half! doch wollte uns die Art und Weise seines Einschreitens in die Handlung nicht recht gefallen. Sein Kostüm hätte wohl zweckmäßiger seyn können. Wir beziehen uns in dieser Hinsicht auf das, was der Dichter dieser Oper, F. Kind, in seinem Aufsatz: „Auch eine Stimme über die Aufführung des Freischützen &c.“ in No. 46 u. s. f. der Dresdener Abendzeitung von d. J. über diesen Gegenstand sagt; welcher Aufsatz überhaupt jeder Theaterdirektion und auch nebenbei denjenigen, welche an der Dichtung so manches zu tadeln wissen, zur Beherzigung zu empfehlen ist! Schließlich erwähnen wir auch des allbekannten Brautjungfernliedes, dessen Vortrag nicht recht gefallen wollte. Am 3ten Abend sollen die holden Jungfrauen vom Parterre aus bei ihrem Vortrage unterstützt worden seyn.

Wie verlautet, haben wir bald wieder die Aufführung des Freischützen, wahrscheinlich mit einer anderweitigen Besetzung der Parthie der Agathe zu erwarten, da hoffentlich die verschriebene, neue Sängerin noch vor dem Abgange der Gesellschaft von hier eintreffen wird*. Wir wünschen, daß dann von Seiten der Regie mehr Aufmerksamkeit, besonders auf die Schlußszenen verwendet werde.

Apparat

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Frank Ziegler

Überlieferung

  • Textzeuge: Freimüthiges Abendblatt, Jg. 4, Nr. 204 (29. November 1822), Sp. 821f.

    Einzelstellenerläuterung

    • „… Gesellschaft von hier eintreffen wird“ Vor Abschluss der Rostocker Saison (22. Dezember 1822) und Übersiedlung der Gesellschaft nach Schwerin gab es weder weitere Freischütz-Aufführungen in Rostock noch wurde eine neue erste Sängerin engagiert. Vielmehr rückte Dem. Corradini auf diese Position nach und übernahm nachfolgend die Partie der Agathe; vgl. Freimüthiges Abendblatt, Jg. 5, Nr. 235 (4. Juli 1823), Sp. 448.

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