Entgegnung auf Webers „Berichtigung“ im Lit. Merkur

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Antwort auf die sogenannte "Berichtigung der Anmerkungen in No. 13 des Dresdner Literarischen Merkurs," welche der Herr Kapellmeister Carl Maria von Weber in No. 14 desselben Blattes einrücken ließ.

Als wir jene Bemerkungen über die dramatisch-musikalische Notiz des Hrn. C. M. von Weber in No. 17 und 18 der Abendzeitung schrieben, fiel es uns nicht ein, jemals wieder die Feder ergreifen zu wollen, um irgend ein Wort mehr hierüber zu verlieren. Da uns indeß der Hr. ¦ C. M. v. Weber zwei derber Unwahrheiten beschuldigt (dies sind seine eignen Worte), so ist es nöthig, ihm durch die von ihm selbst angeführten Beweise die unbestreitbare Wahrheit unserer Behauptungen zu zeigen.

1) Der Hr. C. M. v. Weber behauptet, „es sey nicht wahr, daß er hätte den musikalischen Geschmack des Dresdner Publikums leiten, und zum voraus jedes Kunsturtheil lenken wollen,“ und zum Beweis hiervon läßt er in No. 14 des Literarischen Merkurs noch einmal abdrucken, was er gleich nach seiner Ankunft in Dresden im Jahr 1817 in No. 25 der Abendzeitung einrücken ließ.

Wer könnte aber nur diese Proklamation mit einiger Aufmerksamkeit lesen, ohne ihren wahren Zweck zu errathen? Bedurfte wohl das Dresdner musikliebende Publikum diese und ähnliche darauf folgende Anreden und Andeutungen des Hrn. C. M. v. Weber? – Er antwortet hierauf: „Ganz anders ist aber doch die Wirkung, wenn das Gemüth schon gleichsam vorbereitet auf den Genuß ist, der seiner wartet.“

Jeder erfahrne Seelenkundige wird in dieser Hinsicht von der Meinung des Hrn. C. M. v. W. abweichen, weil, nach aller Erfahrung, jeder überraschende Eindruck bei geistigen sowohl als sinnlichen Genüssen, die Seele tiefer ergreift und mehr erfreuet. Kritikfähiger können so vorbereitetete Zuhörer werden, genußfähiger aber nicht leicht. Warum also durch diese Vorreden das freie Urtheil demmen, das unbefangene Gefühl stören? – Ferner antwortet Hr. C. M. v. W. folgendes zu seiner Rechtfertigung: „Sucht nicht Jeder in den Kreis einer Gesellschaft von einem schon geachteten Theile derselben eingeführt zu werden, während dieser durch einige bezeichnende Worte das Wesen seines Eingeführten der Gesellschaft kenntlich zu machen sucht? Von der Geburt bis zum Tode haben wir Pathenstelle vertretende Freunde.“ Ohne bei der hohen Anmaßung und dem Eigendünkel zu verweilen, welche ¦ aus diesen Worten hervorleuchten, fragen wir nur jeden unpartheiischen Leser, ob denn so hochberühmte und längst bekannte Tonsetzer, wie Mozart, Cherubini, Spontini, Mehul, Gretry, Weigl u. s. w. es bedurften, erst von einem C. M. v. W. empfohlen zu seyn, um von einem Dresdner Publikum gut aufgenommen zu werden? Daß er seine Absicht, den Geschmack zu lenken, nur bei Wenigen erreichte, beweist nicht, daß er es nicht bei Allen wollte, sondern nur, daß er es nicht überall konnte.

2) Unsere zweite herbe Unwahrheit nennt der Hr. C. M. v. W. unsere Behauptung: daß man nur seinen Lieblingen huldigen solle. Er versichert, unpartheiisch zu seyn.

Obschon seine eignen Aeußerungen, und der ganze Ton, mit welchem er manchen Meister erwähnt, diese Versicherung offenbar widerlegen, so ist doch hierin sein Schweigen noch ausdrucksvoller, als seine sonst so ausgezeichnete Beredsamkeit. Warum hatten denn z. B. Rossini’s Opern: Elisabetta zbd l’Italiana in Algeri, welche er beide aufführte, sich auch nicht des kleinsten Vorworts von ihm zu erfreuen? – Wahrscheinlich ist der Südländer Rossini der Pathenschaft des Hrn. C. M. v. W. gar nicht werth! Unterdessen gefällt er in Deutschland und in ganz Europa nicht weniger als in Italien, und wenn deshalb (seinen frühern Aeußerungen nach) der Hr. C. M. v. W. die Verdauungswerkzeuge der Italiener für verdorben erklärt, so hätte er doch zu rechter Zeit vorbauen sollen, um die unserer Landsleute nicht gleicher Gefahr auszusetzen! – Dies sey unsere Erklärung in Betreff der zweiten Lüge, deren er uns beschuldigt.

Indem wir den übrigen Aufsatz des Hrn. C. M. v. W. durchlesen, finden wir die Frage: „Warum Emma di Resburgo, die wir ein zusammengestoppeltes Ding genannt hätten, doch in Venedig so sehr gefiel?“ Erstens erwiedern wir hierauf: wir benannten diese Oper keinesweges mit jenem niedrigen Ausdruck, wörtlich sagten wir: sie sey eine unstreitig geistvolle Zusammensetzung der glücklichsten Gedanken und reizendsten Ideen anderer Meister. Hr. C. M. v. W., der selbst so Meister des deutschen Styles ist, sollte sich doch keine so geflissentlich hämischen Wortverdrehungen erlauben! Zweitens versichert er ja selbst bei jeder Gelegenheit, daß der Geschmack in Italien verdorben sey! Drittens aber, und billiger, erwiedern wir, daß man oft, wenn man keine Gallerie von lauter Originalgemälden besitzen kann, mit Freuden mit einer von treuen Kopien sich befriedigt. Wahrscheinlich konnte oder ¦ wollte man damals nicht in Venedig eine Oper von Rossini theuer bezahlen, warum hätte man sich da nicht freuen sollen, in einer wohlfeilern viele Gedanken Rossini’s und anderer großen Meister geistvoll vereinigt zu hören? Uebrigens hängt dabei wohl von dem echt italienischen Gesangesvortrag und der trefflichen Aufführung viel ab; warum gefiel Emma in Dresden so sehr und in Berlin so wenig? –

Wir würden diese Oper gar nicht erwähnt haben, wenn der Hr. C. M. v. W. es nicht erst so bitter daran getadelt hätte, daß Meyerbeer sein Originalgenie, nur um in Italien zu gefallen, so herabwürdigte, den entarteten italienischen Geschmack nachzuahmen. Hieraus erhellt, daß wir jenen frühern Aufsatz wohl verstanden haben. Gleichfalls hätten wir kein Wort über den Alimelek verloren, wenn der Hr. C. M. v. W. ihn nicht auf Kosten der Emma so hoch erhoben hätte. Der Eindruck, den diese beiden Opern hier machten, zeigt, welchen Fehlschüssen vorausgehende Beurtheilungen unterworfen sind! –

Ueberdem beschuldigt uns der Hr. C. M. v. W., wir hätten die Tugenden der Italiener auf Kosten unserer Landsleute erheben wollen; und weil einer der letztern: Himmel, in Italien ausgepfiffen wurde, sollen wir nicht erwähnen, daß so sehr viele dort mit Wärme und Liebe aufgenommen wurden! Die Wahrheit zu sagen, war stets unser Streben, und wird es auch immer bleiben. Wir bemühen uns nicht darum, durch Witz zu bestechen und durch Beredsamkeit zu glänzen. Aufsätze zu schreiben, die sich hierdurch auszeichnen, dies überlassen wir gern dem Hrn. C. M. v. W., sobald er uns aber nicht durch Unbilligkeiten und hämische Ausfälle zu antworten nöthigt, wollen wir es uns wahrlich nicht vorzuwerfen haben, daß er an solche Schreibereien noch mehr von seiner Zeit verschwende, welche bei dem ehrenvollen Amt, welches ihm anvertrauert ist, harmonischen Dichtungen gewidmet bleiben sollte.

Hätte er gleich, nachdem wir unsere Bemerkungen dem Publikum mitgetheilt hatten, unsere persönliche Bekanntschaft machen wollen, so wäre viel Geschreibe (wie er es nennt) erspart worden. Wir wußten zum voraus, wie der Hr. C. M. v. W. einsieht und aussieht, und scheuen sein Ansehen nicht, da unsere Absichten rein sind, und nur Billigkeit, Urbanität und rücksichtslose Wahrheit zu befördern wünschen. Der Zorn darüber, daß wir es wagten, seinen Machtsprüchen ein bescheidenes Wort zu entgegnen, reißt den Hrn. C. M. v. W. so dahin, daß er sogar zu vergessen scheint, wie hoch er in No. 17 und 18 der Abendzeitung die Musik der Oper Alimelek erhoben hatte!

Zu den gewöhnlichen Aeußerungen des Hrn. C. M. v. ¦ W. gehört es, daß er behauptet, wir hätten nur das Publikum zur Parthey gegen seine Ansichten stimmen wollen. Dies denkende Publikum läßt sich von niemand blindlings leiten; hat es eine hohe Meinung von der kunstrichterlichen Billigkeit und Unpartheylichkeit des Hrn. C. M. v. Weber., so wird es durch unsere anspruchlosen Worte nicht davon zurückkommen. Wir wünschen, daß Hr. v. W. eben so überzeugt wie wir davon seyn möge, daß man durch Gewaltstreiche nie das Vertrauen des Publikums gewinnt. – Möchten doch stets alle Absichten und Handlungen des Hrn. C. M. v. W. völlig seinen Versicherungen gleichen, dann würde er nie zu fürchten brauchen, von irgend jemand angefeindet zu werden.

Wir hätten wohl Lust, zum Schluß die ergötzliche Fabel des Wolfes im Lammspelz zu erwähnen, und besonders auf die Lösung derselben aufmerksam zu machen – doch wir ziehen es vor, mit den Worten zu schließen, welche Seneka zum Nero sprach: als Nero einst traurig und in Gedanken versunken war, fragte ihn Seneka: „Weltbeherrscher, was fehlt dir?“ „Frieden!“ rief Nero, „Du wirst ihn haben,“ erwiederte Seneka, „sobald du ihn andern nicht versagest!“ –.

Apparat

Zusammenfassung

über die Presse-Auseinandersetzungen zwischen Weber und Kritiker um Meyerbeers Werke

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Solveig Schreiter

Überlieferung

  • Textzeuge: Intelligenzblatt der Zeitung für die elegante Welt, Jg. 20, Nr. 5 (28. März 1820)

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