Wilhelm Mejo an Friedrich Wilhelm Jähns in Berlin
Chemnitz, Samstag, 14. Oktober 1865

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Hochgeehrter Herr Musikdirector!

Daß ich, der ergebenst Unterzeichnete, gerade verreist war, als Sie im Juli mir die Ehre Ihres Besuch’s zugedacht hatten, und sonach auch die Freude, Ihre persönliche Bekanntschaft zu machen, mir entgangen ist; dies muß ich um so mehr bedauern, da ein so höchst lobens u. ehrenwerther Grund: Bausteine zu einem correcten u. würdigen biographischen Denkmal für C. M. v. Weber zu sammeln, es ist, dem Sie mit so vielem Fleiß, großer Liebe, Ausdauer u. gründlichen Studium, solche Opfer an Zeit u. Geld bringen; u. dem ich auch jetzt Ihr gütiges Schreiben verdanke. — Leider bin ich nicht im Besitze brauchbarer Materialien für Ihr so rühmliches Unternehmen; denn wäre ich es, so würde ich es als eine liebe moralische Pflicht ansehen, Sie damit zu unterstützen. Ich will wenigstens versuchen, Sie auf ein paar Quellen (wenn sie noch nicht vertrocknet oder ausgeschöpft sind) aufmerksam machen, wo es vielleicht möglich wäre noch etwas zu erlangen.

In den allerersten Jahren des 19ten Jahrhundert, (genau konnte ich Jahr u. Jahreszeit nicht erfahren) kam Maria v. Weber, mit seinem Vater, nach Chemnitz um hier seine Oper: „Das Waldmädchen“ zur Aufführung zu bringen*, was auch unter seiner Direction geschehen ist. Er wohnte 4 Wochen bey einem hiesigen Cantor Namens Kurzwelly, welcher zu der Zeit noch unverheirathet war; seine Schwester versorgte ihm die Wirthschaft. Der junge Weber wurde (samt seinem großen Hunde den er mitgebracht) gut u. gern mit versorgt u. gepflegt, denn er hatte sich bald bey Allen recht beliebt gemacht. Das Einstudiren seines „Waldmädchen“, überhaupt das Beschäftigen mit seiner Kunst, hat hier seine mehreste Zeit in Anspruch genommen. Der Vater, der weniger liebenswürdig als der Sohn gewesen sein soll, hat immer kleine Abstecher in die Umgegend gemacht, u. ist vom Cantor Kurzwelly sehr unzufrieden geschieden; denn er hat von selbigen 200 rh: borgen wollen, u. auf die Weigerung ihm das Geld zu geben, entgegnet Weber sen.: da müsse er sich erschießen, u. der Cantor erwiedert: „das können Sie machen wie Sie wollen“ u. so ist die Trennung keine freundliche gewesen. Der alte Herr soll überhaupt etwas unstäter u. excentrischer Natur gewesen sein; er hatte sich unter andern in dem Kopf gesetzt: den Freimaurerbund zu vernichten, u. zu diesem Zweck eine Schrift verfaßt, u. dem Cantor mehreres daraus vorgelesen. Was aus dieser Vernichtungsschrift geworden ist, habe ich nicht erfahren können. Die Wittwe vom Cantor Kurzwelly*, welche noch lebt, aber ziemlich stumpf u. gedächtnißschwach geworden ist, sagte mir: sie habe gehört, daß mehrere Autographe v. C. M. v. Weber in den Papieren ihres Mannes sich gefunden hätten, wo solche aber hingekommen, wisse sie nicht; ihr ältester Sohn, Polizei - Actuar Kurzwelly in Leipzig, wäre vielleicht der Einzige der das wüßte. Ich würde Ihnen daher rathen sich an diesen zu wenden.

Als ich die Freude hatte C. M. v. Weber kennen zu lernen, war er bereits in Dresden Hofkapellmeister. Weber bewies mir viel Freundlichkeit, was ich besonders meiner damaligen Prizipalin: Frau v. Tschirschky zu danken hatte, deren Gemahl eine musikal: Kapelle (zu Domanze in Schlesien) von 10 Mann hielt, wo ich an derselben 11 Jahr (von 1821 bis 1832) Musikd. war. Die Gemahlin dieses Herrn, ein hohes Muster der schönsten u. edelsten Weiblichkeit, welche in sich alles vereinigte, um die allgemeine Liebe u. Verehrung zu rechtfertigen, die ihr so gern, selbst von der Königl: Familie gezollt wurde. Diese Dame lernte Weber in Dresden kennen, wo ihre eben so edle Mutter, Frau v. Unruh, lebte, bey welcher die Tochter zu Besuch war. Weber hatte sogleich den hohen Werth von Frau v. Tschirschky gefühlt, u. hat ihr, die wenigen Tage, wo er in ihrer Gesellschaft sein konnte, die zarteste Aufmerksamkeit bewiesen. Als einen Beweis seiner Verehrung, ließ er für sie die Partitur von seinem Freischütz schön copiren, u. machte ihr ein Geschenk damit. Diese Partitur ist jetzt in meinen Händen. Als ich einmal auf einer Urlaubsreise mit Weber in Dresden zusammen kam, frug er mich: ob ich schon viel aus dem Freischütz, für die kleine Kapelle der ich vorstand, arrangirt hätte, ich antwortete: noch wenig, weil ich fühle, daß ein Arrangement von einer Musik, welche einen so ausgeprägten dramatischen, u. dabey Herz u. Gemüth ansprechenden Character hat, wie Ihr Freischütz, doch immer nur eine sehr mangelhafte Copie wird u. bleibt. Weber antwortete: „Das ist wohl wahr, allein, wenn man eine solche Copie wie sie es nennen, auch nur als eine Silhouette betrachtet, ob ein solches Bildchen auch blos schwarz ist sind nur sonst die Umrisse treu u. correct gezeichnet, so werden beym Anblick des Bildchens, doch alle die lieben Züge, Farben u. Eigenthümlichkeiten der geliebten Person, welche das Bildchen vorstellt, lebhaft vor die Seele des Beschauers treten.“ Ich fand Webers Entgegnung so reizend u. treffend, daß ich mir Wort für Wort sogleich aufschrieb.

Bis jetzt habe ich leider nicht erforschen können, ob Frau Julie v. Tschirschky geb. v. Unruh, meine frühere Herrin, noch lebt u. wo sie lebt. Diese Dame könnte Ihnen vielleicht Einiges mittheilen, was Sie bey Ihrem Werke benutzen könnten; den[n] als Weber ihr die Partitur von seinem Freischütz geschickt, da hat er doch gewiß seine ganze geistige Liebenswürdigkeit los gelassen.

Wollen Sie, verehrter Herr Musikdirector, selbst forschen, ob diese Dame noch lebt, so könnte Ihnen in Berlin es doch vielleicht gelingen, das Gewünschte zu erfahren; denn ich vermuthe daß mehrere nahe Verwandte von Fr. v. Tsch. in Berlin leben. Als ihre heißgeliebte Schwester: Frau v. Schmithals starb, nahm sie deren Kinder zu sich, um für ihre Erziehung zu sorgen, u. was, so viel ich weiß, in Berlin geschehen ist. Dann vermuthe ich, daß der rühmlichst bekannte Vice-Präsident: Herr v. Unruh, ein naher Verwandter von Fr. v.Tsch. ist,u. dieser würde gewiß gern Ihnen die gewünschte Auskunft ertheilen. Sollten Sie vielleicht die Gewißheit erlangen, daß Fr. v. Tsch. noch lebt u. wo sie lebt, dann ersuche ich Sie recht herzlich u. ergebenst mir es wissen zu lassen.

Ich bedaure sehr daß ich, trotz meines Forschens, Ihnen einen sichern u. beachtenswerten Beytrag zu Ihrem rühmlichen Vorhaben zu verschaffen, mir nicht gelungen ist. Versichern kann ich wenigstens, daß mir der gute Wille: Sie in Ihrem Streben zu unterstützen, nicht gefehlt hat.

Hochachtungsvoll u. ergebenst empfiehlt sich: W. A. Mejo
u. Frau.

Apparat

Zusammenfassung

erzählt Geschichten von den Webers in Chemnitz aus der Zeit der Waldmädchen-Premiere, besonders Vater hat sich unbeliebt gemacht, weil er vom Cantor Kurzwelly, wo sie wohnten, Geld borgen wollte, was dieser ablehnte; er spricht auch noch von seiner damaligen Prinzipalin, Frau v. Tschirschky, der Weber eine Freischütz-Kopie schenkte, die jetzt in seinen Händen ist; er war 11 Jahre (1821–1832) Kapellmeister in Domanze in Schlesien, er kannte Weber persönlich und schildert eine Begegnung mit ihm in Dresden

Incipit

Daß ich der ergebenst Unterzeichnete

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Signatur: Weberiana Cl. X, Nr. 437

    Quellenbeschreibung

    • 1 DBl. (4 b. S. o. Adr.)

    Einzelstellenerläuterung

    • „… Waldmädchen zur Aufführung zu bringen“Vorstellung am 5. Dezember 1800.
    • „… Die Wittwe vom Cantor Kurzwelly“Henr. Kurzwelly.

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