Franz Weber an Friedrich Wilhelm Jähns in Berlin
Middelburg, Donnerstag, 12. April 1883

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Mein sehr geehrter Herr Professor,

Ihr liebenswürdiger Brief vom 1ten Febr. ist mir richtig zu Händen gekommen, ebenso wie Ihr prächtiges opus 59* ― das Erste, wie ich zu meiner Beschämung gestehen muß, welches mir aus Ihrer Feder bekannt geworden ist und wofür ich Ihnen vorläufig herzlich danke. Demnächst werde ich denn auch Ihrem Wunsche einer öffentlichen Besprechung um so freudiger entgegen kommen, als es mir ehrenvoll war daß Sie auf mein bescheidenes Urtheil einigen Werth zu legen scheinen*. Vielleicht komme ich noch während meiner gegenwärtigen Reise dazu denn daß ich mich unterwegs befinde haben Sie schon aus obiger Adresse ersehen. Ich bin im Begriff, in Familiensachen, auf kurze Zeit nach Darmstadt zu gehen und werde mich unterwegs noch ein paar Tage in Holland und Belgien aufhalten.

Mit dem lebhaftesten Bedauern habe ich vernommen daß Sie, lieber Herr Professor, ernstlich unpässlich waren und kann daher nur den herzlichen Wunsch aussprechen daß Ihr Uebel schon wieder ganz gehoben ist und Ihnen die „edle Himmelsgabe, das Licht des Auges“ wieder vollständig zurückgegeben sein möge. So stelle ich mir Sie denn auch gerne im Geiste als wieder rüstig mit Ihrem „Weber“ fortschreitend vor. Sie wissen es ja, falls Sie noch Weiteres über den Londoner Weber begehren, an wen Sie sich zu wenden haben. Auch bin ich Ihnen ja noch einige Mittheilungen über „Oberon“ schuldig. Ein Theaterzettel von dem ersten LondonerFreischütz“ (English Opera House) den ich vor einiger Zeit erobert habe, ist Ihnen gleichfalls zugedacht, und soll nach meiner Rückkehr an Sie befördert werden*. Neues wird er Ihnen zwar nicht bringen, aber doch Schon-Vermeldetes bestätigen, und als ein Bild der Zeit immer von Interesse sein.

Sie fragen, ob ich auch componire? Nun, ja. Schon von früher Jugend auf leide ich an dieser Schwäche, und wenn ich auch keine „Faust in der Tasche gemacht“ habe, so ist doch auch bis jetzt noch Nichts von mir veröffentlicht worden, obschon man mich mehrfach dazu aufgefordert hat. Früher, im reifen Alter eines Septimaners, setzte ich die meisten lyrischen Gedichte meines Großvaters (mütterlicher Seits; der erst 1877 verstorbene Professor Baur*) mit unerhörten Weisen in Musik, ebenso Klaviersachen und Duette für Pianoforte u. Violine, zu welch Letzteren die Freundschaft mit einem jungen Violinspieler (Schüler des verstorbenen Kapellmeister Wilhelm Mangold) die nächste Veranlassung gab. Die spielten wir denn so recht con amore zusammen, mit gegenseitigem Verständniß, und nur die Gefühls-Kritik waltete da. Doch – dies sind längstvergangene Zeiten, deren Erinnerung allein für mich Interesse haben kann. Aber merkwürdig bleibt mir doch immer die Thatsache, daß ich keine einzige von all den, wie gesagt unerhörten Weisen aus dem Gedächtniß verloren habe, wenngleich sie schon längst nicht mehr auf dem Papier vorhanden sind.

Später habe ich, mit ganz wenigen Ausnahmen, nur Lieder und mehrstimme Vocal Sachen geschrieben, worunter nur Weniges worauf ich wirklich einigen Werth lege. Bei einem Besuch in Darmstadt, vor etwa 8 Jahren, wurde ich von dem obenerwähnten, trefflichen W. Mangold im Privatkkreise aufgefordert ihm einige jener Lieder vorzutragen und hörte damals von ihm ein paar Worte, die am Ende auch wohl nur eine Umschreibung Ihrer freundlichen Aufforderung „keine Faust in der Tasche zu machen“ bedeuten sollten, die mich aber doch, als von dem Schüler Cherubini’s kommend, sehr erfreuten. „Junger Mann“, sagte der liebenswürdige alte Herr, auf meine Brust deutend, „Sie haben da einen Schatz verborgen den Sie zu heben verpflichtet sind.“ Nun, jedenfalls meinte der alte Meister es gut mit mir. Ich habe ihn leider nicht mehr gesehen, denn bald danach war er nicht mehr unter den Lebenden. Und von dem vermeintlichen „Schatz“ ist auch seitdem nur Weniges „gehoben“ worden. Vielleicht trete ich damit doch noch einmal an’s Tageslicht des Verlag’s, und dann können Sie selbst urtheilen ob es der Mühe „des Hebens“ werth gewesen ist. Dann und wann habe ich wohl einmal an die Herausgabe von ein paar Sachen gedacht, habe mich aber immer wieder rechtzeitig der humoristischen Worte unseres Weber erinnert welche er bei der Geburt meines Vater’s an Gottfried schrieb: „der Komponisten mit Namen Weber werden zu viel. Denn daß der Kerl ein Komponist wird ist ausgemacht!“ – und schon las ich im Geiste eine Rezension meiner Sachen, anfangend: „Schon wieder eine Composition von einem Namens Weber“, u. s. w. Doch, wenn die schwache Stunde schlägt – und wem schlägt sie nicht einmal? – dann will ich Sie zu meiner Strafe sofort davon benachrichtigen.

Ja, aber es ist doch gar schön so volle drei Seiten lang von sich selbst zu reden, nicht wahr, mein werther Herr Professor? Indessen, wenn Sie mich nicht speziell dazu aufgefordert hätten, dann würde ich es auch haben bleiben laßen; dazu übe ich, wie ich hoffe, Selbstkritik genug.

Meine literarische Laufbahn macht ziemlich gute Fortschritte und bringt mir manches Erfreuliche ein, aber in materieller Beziehung bleibt mir noch sehr viel zu wünschen übrig, und ich sehe mich schon seit einiger Zeit nach einer festeren Stellung um welche mit meiner „Schreiberei“ vereinbar ist. Das ist denn auch heutzutage nicht so leicht zu finden, weder in Deutschland noch in England, namentlich für Solche die von Haus aus nicht mit Glücksgütern gesegnet sind. Vielleicht hören Sie mal gelegentlich von Etwas das für mich passen dürfte; man muß ja im Leben alle Chancen wahrnehmen.

Mit Richard Wagner hat man den Letzten der Titanen zu Grabe getragen, und wenn man schon zugeben muß daß er, was sein Schaffen betrifft, zur rechten Zeit gestorben ist, so lässt er doch eine ganz gewaltige Lücke im deutschen Kunstleben zurück. Wer wird die einmal ausfüllen?

Vielleicht schreibe ich Ihnen von Darmstadt aus noch ein paar Zeilen. Meine Adresse dort ist Frau Luise Weber W we 12 Sandstrasse nämlich die meiner Mutter.

Seien Sie herzlichst gegrüßt von Ihrem, Sie sehr verehrenden F.Weber

Apparat

Zusammenfassung

unterwegs nach Darmstadt zu seiner Mutter berichtet er ihm ausführlich über Kompositionsversuche von sich in ebenso bescheidener wie geistvoller und amüsanter Weise, kündigt ihm die Übersendung eines Zettels der ersten Londoner Aufführung des Freischütz an

Incipit

Ihr liebenswürdiger Brief vom 1ten Febr. ist mir

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Signatur: Weberiana Cl. X, Nr. 666

    Quellenbeschreibung

    • 1 DBl., 2 Bl. (7 b. S. o. Adr.)
    • Am oberen linken Rand Bl.1r Briefnumerierung (rote Tinte) von Jähns
    • No. 16.

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • Tv in: Weberiana 18 (2008), S. 92f., 122, 124 (Ausschnitte)

Textkonstitution

  • „ist“durchgestrichen

Einzelstellenerläuterung

  • „… wie Ihr prächtiges opus 59“F. W. Jähns, Symphonisches Adagio in E, Charakterstück für Klavier zu vier Händen, komponiert 1866, Berlin: Schlesinger, 1883 (VN: S. 7514).
  • „… einigen Werth zu legen scheinen“Das Werk ist (im Zusammenhang mit weiteren Kompositionen von Jähns) rezensiert in: The Musical Times, vol. 24, Nr. 488 (1. Oktober 1883), S. 558.
  • „… Rückkehr an Sie befördert werden“Einen Theaterzettel der ersten Londoner Freischütz-Einstudierung (15. Vorstellung am 7. August 1824) übersandte Franz Weber erst mit seinem Brief vom 9. Juni 1884; ob es der hier gemeinte ist, bleibt unklar, denn dort ist von einem weiteren Zettel zur „allerersten Vorstellung“ die Rede. In der Weberiana-Sammlung von Jähns hat sich nur jener zum 7. August 1824 erhalten.
  • „… erst 1877 verstorbene Professor Baur“Carl Christian Wilhelm Baur (1788–1877).

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