Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 7. Oktober 1817

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Den 7. Oktober. Die Ahnenfrau, ein Trauerspiel in 5 Akten von Grillparzer.

Die zweite Aufführung dieses vielbesprochenen Stücks gab einen neuen Beweis von dem erfolgreichen Fortstreben nach Vollkommenheit bei unserm Künstlerverein. Da jedes schon bei der ersten Aufführung seine Rolle vollkommen gefaßt und ausgeführt hatte, so konnte im allgemeinen Umriß und in der Gestaltung des Bildes ohne Nachtheil nichts verändert werden. Allein in den feinen Schattirungen und im Ausmalen giebt es so viele Abstufungen und Nachbesserungen, daß ein wahrer Künstler auch wohl bei der zehnten Aufführung noch diesen oder jenen feinen Pinselstrich zuzufügen, hier mehr Schatten, dort mehr Licht zu geben, durch sicheres Kunstgefühl geleitet, nie unterlassen wird. Und es beurkundet den hohen Stand einer Bühne, wo statt der heillosen Neuigkeitsjagd, wobei alle Kraft an Kleinigkeiten von Mittelgut verschwendet wird, ältere Stücke, die Raum zu gesteigerter Kunstentwicklung darbieten, mit stets fortschreitender Wechselwirkung zwischen studirter Leistung und aufmerksamer Anerkennung oft wiederholt werden. Mag über das Materielle der Ahnenfrau, als einer empörenden Accumulation von Greuelscenen aus neuen Schicksalstragödien, die Meinung noch so sehr getheilt seyn, das Formelle gewährt dem wahren Künstler einen herrlichen, ja schwer zu berechnenden Spielraum. Wir durften die erste Aufführung eine wahrhaft gelungene nennen. Gelungener noch war die zweite.

Herr Burmeister gab den Grafen Borotin durchaus noch weit gediegener, kräftiger, vornehmer, und erhielt wiederholt den lautesten Beifall. Sein Spiel beim ersten Erscheinen der über ihn, neben ihm andringenden Ahnenfrau, welches diesmal untadelhaft gelang, malte Schreck und Entsetzen noch weit lebendiger. Seine Stimme hob sich, zweimal in’s hohe Tragische verstärkt, mit sichtbarem Effekt. Es war durch zweckmäßigere Bewaffnung der Ahnenhalle diesmal für ein Schwert gesorgt, das er ergreift, wenn am Schluß des zweiten Aufzugs die alte Kraft noch einmal erwacht, und so der Versicherung: er sey noch der alte Löwe die diesmal mit der kunstreichsten Mimik noch höhere Wirkung hervorbrachte, sinnlichen Nachdruck giebt. Auch die Sterbescene erhielt durch gesteigertes Aufflammen der gereizten Heftigkeit ihre volle Motive. Manche kleine Nachhilfe, z. B. sein Spiel mit dem Sammetbaret, und daß er diesmal weniger saß, leidenschaftlicher umarmte, alles bewieß den wahrhaft denkenden Künstler. Er wird zuletzt mit einer tödtlichen Brustwunde herein getragen. Dem Künstler werden Mittel zu Gebote stehn, diese Verwundung selbst da noch anzudeuten, wenn die furchtbarsten Entdeckungen ihn ganz außer sich setzen. – Hr. Kanow, als Jaromir, suchte das Aufbrausen der verwilderten Räubernatur mit dem sanftesten Ergusse der durch Liebe und fromme Vorsätze erweichten Menschlichkeit wohlthuender zu verschmelzen, und malte in der Scene, wo er gegen den, ihn eigentlich selbst aufsuchenden Hauptmann unwillkührlich aufgereizt wird, die steigende Verbitterung kräftiger. In der Scene, wo er als erkannter Räuber, der ihn von sich winkenden Bertha gegenüber, in Selbstanklage und Selbstrechtfertigung das Zarteste mit dem Erschütterndsten verbindet, gab er den an Gott und Schicksal gerichteten Stellen weniger Schroffes, und motivirte dadurch Berthas sinniges Spiel, die nur in diesen frommen Ausath ¦ mungen das Gesicht ihm halb zuwenden wagte, noch besser. – Mad. Schirmer endlich, als Bertha, vollendete durch eine Menge feiner Züge und Nüanzen des pathognomische Seelengemälde mit dem tiefsten Eindringen und Eingreifen in die vom Dichter oft kaum angedeuteten und doch unverkennbar vorhandenen Motiven. So wurde sie, was sie so oft in ihrem gefühlvollsten Spiele ist, selbst Dichterin. Sie nahm gleich von vorn herein ihre Rolle etwas weniger mädchenhaft, etwas befangener, welches zu dem Geist, der durch dies Haus wandelt, sich inniger verhält. Darum konnte sie nun auch des Tändelnden beim Umlegen der Scherpe sich fast ganz enthalten, und nur ein stumm-beredtes Spiel erneuerter Liebeserklärung während des Monologs des Vaters, der, stehend gesprochen, selbst weniger lang schien, uns vor das Auge bringen. Die zwei höchst schwierigen Scenen, der bis zum Entsetzen beim Herausspringen aus Jaromirs Schlafgemach gesteigerten Leidenschaftlichkeit, und der bis zur halben Ohnmacht hinsinkenden Einwilligung, erhielten eine Menge Zusätze in Mimik und Stimmenbiegung, welche die Brust der Zuschauer beklemmten, und das dreimal gesteigerte Angstgebet ergriff noch gewaltiger, als sie vom Knieen in eine bis zum Krampf zusammengezogene, seitwärts gesenkte Lage überging. Doch ihren Triumph feierte sie auch diesmal im Wahnsinne der letzten Scene. Da sie das Licht, welches sie bei den Worten: ei ich will nun schlafen gehn, ergriffen hat, diesmal nach dem Erblicken des Fläschchens mit Opium nicht gleich fallen ließ, auch nicht früher auf’s Knie stürzte; so rechtfertigte sie dadurch meisterhaft die Intention des Dichters, sprach alles bis zum letzten Leise! und ließ das Licht und sich fast in demselben Moment sinken. Wie gern geben wir gegen ein solches Spiel unsere früher geäußerte Meinung auf. Die Unwahrscheinlichkeit der so motivirten Todesart hat ja nun nur der Dichter zu verantworten. – Bei der ersten Vorstellung brachte der seiner Rolle nicht gewachsene Schauspieler, der den Hautpmann zu spielen hatte, einen störenden Mißton in’s Ganze. Er hat, um anderwärts Versuche zu machen, unsre Bühne sogleich am andern Tage verlassen. Heute gnügte Herr Metzner dieser doch immer noch bedeutend genug in’s Ganze eingreifenden Rolle besser. In der Scene, wo Jaromir den verhängisvollen Dolch aus der Blende ergreift, wurden durch einen künstlichen Licht-Reflex heute die Worte des Dichters:

Scheint nicht von der blut’gen SchneideAuszugehn ein glühend Licht,

um so vollkommner versinnlicht, als dieser Dolch an der ihm hier angewiesenen Stelle sonst viel zu wenig hervorgetreten wäre. Statt des draußen heulenden Sturms und des vom Dichter angedeuteten seltsamen Geräusches, erschien diesmal die Ahnenfrau dem schlummernden Borotin mit einem Donnerschlag. Dieses im Innern huschende und mit leisem Wehklagen herumstreifende Gespenst ist wohl kein Poltergeist. Aber den quälenden Flammen entronnen, konnte es durch einen es plötzlich umfließenden rothen Lichtschimmer, dessen Reflex durch so leichte Mittel in die verdunkelte Scene nach jeder Richtung geleitet werden können, schauerlicher hervortreten, welches dann mit dem (diesmal noch besser festgehaltenen) weißem Lichtglanze, beim letzten Verschwinden der Ahnenfrau, in noch stärkerem Contraste stehen würde.

Böttiger.

Editorial

Summary

Aufführungbericht Dresden: “Die Ahnenfrau” von Franz Grillparzer am 07.Oktober 1817

Creation

vor 21. Oktober 1817

Tradition

  • Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 252 (21. Oktober 1817), f 2v

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