Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater, 8. Juli 1819: “Phädra” von Schiller (Teil 3 von 3)

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Phädra.

(Beschluß.)

Welche Welt von Tönen und wie nur immer den einzigen, der trifft, welches Tragen der Töne vom zürnenden Donner in der doch nie männlich werdenden Tiefe bis zum fast tonlosen Erstarren oder zum leisesten Aeolsharfenhauch, mit welcher unerschöpflichen Athemfülle zeigte sie sich uns als Phädra! In der ersten Scene bis wo sie ihr Innres der Oenone öffnet, leidende Weichheit und also auch langsamere Haltung; in der Liebeserklärung süßer Wohllaut in lauter Mitteltönen, selbst wo sie in Exstase geräth; in der Unterredung mit Oenonen, als sie des spröden Hippolyts Liebe zu Arieten mit Eifersucht und mit dem unnachahmlich gesprochenen: man liebt andre, erwähnt, Bitterkeit des Hohns in gebrochnen Tönen; in den furchtbaren Vorgefühl der Höllenstrafe die gesenkteste Tiefe mit dem schnellsten Ueberspringen zur jammernden Weichheit; in den Vorwürfen, wodurch sie Oenonen zum Selbstmord treibt, gediegene Härte; in der Sterbescene erst matt und langsam, dann in immer beschleunigterm Zeitmaß hervorgestoßene fast klanglose Töne; dieß alles aber mit einer Rundung der Artikulation und Sicherheit in den Uebergängen und mit einer Weichheit, die nur aus dem innern, wo Geist und Gemüth vorwalten, so ausgeprägt hervorgehen kann. Auch sie betont einzelne Worte mit absonderndem Nachdruck. Aber dann ist so etwas auch reinplastisch hergestellt. So war es im Verse: „mein Unrecht kenn’ ich, es steht ganz vor mir.“ Wie da diese Ganzheit im Ton hervortrat! Wie schmelzend hauchte sie die zweite Hälfte des Verses, wo von Hippolyt’s Mutter die Rede ist: „obgleich sie Scythin war, sie liebte doch!“

Wo alles so aus einem Gusse und wie von einer Kunstinspiration durchdrungen erscheint, läßt sich selbst gegen Einzelnes nur mit großem Mißtrauen eine Erinnerung machen. Man fand den ersten Eindruck, als sie erfährt, Hippolyt liebe eine andere, nicht lebendig genug ausgedrückt. Man vergaß aber, daß Theseus, ihr Gemahl, diese Nachricht ihr selbst ¦ mittheilt, und daß bei ihm jede stärker bezeichnete Theilnahme Verdacht erregen mußte. Gleich Anfangs, wo sie in des Waldes Grün den raschen Wagenlenker mit ihren Augen zu verfolgen wünscht, würde diese in Begeisterung ausgesprochene Stelle wohl leidenschaftlicher, rascher gesprochen, noch mehr die innere Verwirrung verrathen. Schiller hat durch den Zusatz: schwärmerisch, wohl eben dieß verlangt. Doch die Künstlerin blieb auch hier in dem einmal angestimmten Grundtone schmachtender Kränklichkeit.

Wir wissen aus der Künstlerin eigenen Geständnissen, daß Phädra zu ihren Lieblingsrollen gehört. Natürlich! Denn diese Rolle ist ihr Werk. So wie sie von ihr ergriffen und durchgeführt wird, hat sie keine Vorgängerin darin gehabt. Könnten die Franzosen, der wahrhaft deutschen Frau, die einst in Hamburg dem eisernen Davoust selbstmüthige Entschlossenheit entgegen stellte, noch den Spott mit der gewaltigen Nationalkokarde* nachtragen wollen: sie müßten ihr doch wieder ihre Gunst schenken, wenn sie sähen, wie ihre hochgepriesene Theater-Phädra durch Mad. Schröder unter uns so recht zu Ehren kommt. Sie vergißt im ganzen Stück, selbst in den leidenschaftlichsten Momenten, nicht, daß sie Königin ist. Aber sie parodirt nirgends. Ihr schönes, ächtgriechisches Costüm strotzt nicht von Flitter- und Theater-Juwelen. Sie declamirt nirgends. So würde sie nie der Tadel treffen, den Garrick einst gegen die angebetete Clairon aussprach: „elle est trop actrice.“

Die Leistungen der übrigen Mitspielenden sind früher in diesen Blättern angedeutet worden. Der glühend heißen Witterung ungeachtet, hatte sich ein nicht unbedeutendes, ja erwähltes Publikum eingefunden. Daß bei den gelungensten Stellen mehrmals der lauteste Beifall ertönte und daß die gefeierte Künstlerin nach dem Schluß herausgerufen wurde, bedarf bei ihr kaum Erwähnung. Daß hierauf die Künstlerin einen auch noch für mehrere Vorstellungen freundlich einladenden Gruß sprach, war ein Wort schöner Verheißung. Möge es noch oft in Erfüllung gehn!

Böttiger.

Editorial

Summary

Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: “Phädra” von Schiller (Teil 3 von 3)

Creation

Responsibilities

Übertragung
Fukerider, Andreas

Tradition

  • Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 3, Nr. 169 (16. Juli 1819), f 2v

    Commentary

    • “… Spott mit der gewaltigen Nationalkokarde”Zur Besetzung Hamburgs durch die französischen Truppen unter Marschall Louis-Nicolas Davoût (1770–1823) am 31. Mai 1813 und Sophie Schröders patriotischen Äußerungen bis zu ihrer Flucht aus der Stadt am 3. Juni vgl. Carl Ludwig Costenoble’s Tagebücher von seiner Jugend bis zur Übersiedlung nach Wien (1818), Berlin 1912, Bd. 2, S. 146f.

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