Bemerkungen über den “Freischütz” in Wien, Kärntnertor-Theater, von Helmina von Chézy, Februar 1824

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Ueber den Freischütz in Wien.

Von Helmine v. Chezy.

Wenn in Norddeutschland der Freischütz, in seiner Integrität auf der Scene gegeben, dem Norddeutschen so werth geworden, daß er keinen Liedeston, noch sonst etwas daraus vermissen möchte, so ist doch hier auch wiederum so Manches, was wohlthut und Ersatz gewährt, daß man sich wiederum versöhnt fühlt, und zwar bleibt diese Oper dem Publikum so werth, daß sie nie ein leeres Haus macht, wenn schon bei den vielen Zerstreuungen und der Menge von Theatern in der Kaiserstadt der Andrang nicht so groß ist, als er bei beliebten Stücken in Städten, wo es nur ein Theater giebt, zu seyn pflegt.

Unabgesehn auf den Zauber einer Musik, die durch die fernste Zukunft hindurch, so lange es noch deutsche Herzen und deutsche Nachtigallkehlen giebt, entzücken muß, liegt in der Dichtung des Freischütz jener unversiegbare Reiz des Volksthümlichen, des rein Menschlichen und des Ahnungvollen, undaf diese Quellen waren es auch, aus welchen die Tondichtung ihre ewige Jugend schöpfte. Schon manche Meinung ist über die Dichtung laut geworden – es möchte eine schwere Aufgabe seyn, ihr eine Zweite an die Seite zu stellen, die zweckmäßiger und zusagender wäre, ja! eine zu schreiben, die es in diesem Grade wäre! Ein Operndichter (ich meine nicht einen Opern-Uebersetzer oder Schreiber) muß überhaupt durch alle Grade der Selbstverläugnung gehen, glückt das Werk, so hat er kein Verdienst, mißglückt es, so hat der Dichter Schuld, doch können sich alle diejenigen trösten, deren Name bereits auf festen Grundpfeilern ruht. Friedrich Kind, dem gefeierten Sänger, dem classischen Erzähler, dem Schöpfer des Van Dyk, des Nachtlagers von Granada u. s. w., dem Dichter von Schön Ella, kann es mehr als gleichgültig seyn, ob obskure, gierige Referenten, wahre Schmarozerpflanzen, die sich ohne Wurzel und Blüthe an den Baum der deutschen Literatur so lange anschlingend saugend nähren, bis ein Windstoß sie vom Ast reißt und in ihr Nichts zurückschleudert – seine Dichtung schön nennen, oder nicht. Ein hiesiger Gelehrter sprach kürzlich von dem Urtheile gewisser Referenten: „wenn sie Einen lobten, so ginge es Einem, wie wenn man begossen worden, man müßte sich verstecken“, und noch nie hat unter einer schnöden Herabwürdigung großer Namen und schöner Kunstwerke ein gefeierter Name gestanden, weil der ächte Künstler die Schwierigkeiten der Kunst kennt, und im Mitgenossen die Kunst und sich selbst zu ehren weiß.

Doch wie komme ich dahin? Vom Freischütz in Wien wollte ich sprechen, den ich noch kein ein¦ziges Mal versäumt habe! Ein sehr wackerer junger Sänger, Herr Rauscher, spielt jetzt fortwährend den Max, weil Rosner, der diese Rolle hatte, nach Amsterdam gegangen ist*. Eine angenehme Gestalt, gute Haltung, verständiges und wackeres Spiel sind Vorzüge, die auf der Scene unbedenklich mit in Anschlag kommen; nicht ohne Erstaunen habe ich an verschiedenen Orten, wo Opern gegeben werden, bemerkt, daß die Sangkünstler vermeinen, zum Vortrage auf dem Theater bedürfe es nur einer Kehle, und was ihnen die Natur sonst an Armen und Füßen u. s. w. beschieden, sey größtentheils Ueberfluß, und die sich und ihr Fach ganz vom Schauspielen trennen. Mit Vergnügen fand ich hier Ausnahme von dieser Regel, und Hrn. Rauscher in jeder von ihm übernommenen Rolle, so auch als Max, in seine Rolle einstudirt. Seine Stimme ist sehr angenehm, und durch Studium und Talent ist Rauscher, ohne starke Mittel zu besitzen, ein ausgezeichneter Sänger, der schöne Momente hat. Das Lied z. B.: "Durch die Wälder, durch die Augen", trägt er mit so viel Seele vor, daß es besonders beachtet wird, da man es in vielen Vorstellungen vor Anderen vorübergehen ließ. Es verlangt dieß unaussprechlich herrliche Lied allerdings nicht bloß den Sänger! Die Ensemble-Stücke mit Dlle. Sonntag und Vio gehen sehr befriedigend vorüber und man freuet sich, das Publikum angeregt zu sehen.

In den mannigfaltigen Correspondenz-Artikeln aus Wien, die ich zufällig durchflogen, als ich herreisen wollte, habe ich nichts gefunden, was mich der Freude der Ueberraschung beraubt hätte, die mir zu Theil wurde, als ich, ein freundlich willkommen geheißener Gast, die hiesigen Theater besuchte*. Das non plus ultra der Sinnlichkeit und Pracht in Decorationen, Costüme und Anordnung findet sich hier in der Kaiserstadt im kaiserl. Hoftheater nächst der Burg, mit hohem Ernst, bei minderm Wechsel und Mannigfaltigkeit, als z. B. Opern erheischen und gestatten, doch mit der ersinnlichsten und auf alle Bestandtheile und Einzelnheiten ausgedehnten Pracht und Zierlichkeit. Im kaiserl. Hof-Operntheater nächst dem Kärnthnerthor, wo fantastische, komische und ernste Opern mit dem Ballet abwechseln, ist diese Pracht und ich möchte sagen üppige Zierlichkeit, die gleichwohl stets durch Geschmack gezügelt ist, in der höchsten Potenz und auf die überraschendste Weise zu finden. Auch wer bloß Auge wäre, würde befriedigt von dannen gehn. Verschwendung und Pracht machen es nicht aus, der Geist, der durch das Ganze weht, ein wahrhaft romantischer Geist, voll Innigkeit und Tiefe, macht diese Anschauungen so herrlich. Walther Scott müßte sich freuen, wenn hier die Bilder der ächt alterthümlichen, ritterlichen Zeit und jener wundervollen Hochlandsgegenden zur Donna del Lago an seinem Blick vorüber zögen, und Friedrich Kind möchte ich herzaubern können in Agathens | Forsthauszimmer mit dem halb offenstehenden Bogenfester, das den Blick in die mondbeglänzte Zaubernacht, auf die wehenden Wipfel frei läßt, während die süße Nachtigall Agathe Frühlingtöne der Sehnsucht und Liebe mit den schönen Worten ihres idyllischen Liedes haucht! Führen möchte ich ihn in Agathens Brautgemach, der Dichter kann es sich nicht anmuthiger geträumt haben! Die ganze Poesie des süßen, reinen jungfräulichen Stilllebens waltet mit unaussprechlichem Zauber in diesen alterthümlichen Räumen. Der Alkoven mit seinem dicht zugezogenen Vorhang, das wohlgefußte Gebälk und Getäfel, ganz, wie man es in Deutsch-Böhmen in trefflichen Wohnungen findet, großartig und doch ländlich; auf dem Tische stehen die weißen Rosen; Sonnenschein fällt schräg durch die halb geöffnete Alkoventhüre, der reine Horizont blickt hindurch, und ein Blumentopf der Terrasse, wunderbar schön beleuchtet, ist sichtbar; ein großer Theil der Wand ist durch das schräg hinein fallende Sonnenlicht magisch erhellt, während die übrigen Räume des Zimmers in schönem Einklang der Mitteltinten zusammengehalten sind, ein wahres Kabinetstück, wahrhaft herzig ist diese Anschauung, sie führt mitten in die Dichtung hinein und ist im Einklang mit den Himmelstönen, womit Weber’s Genius Agathens Morgenlied begabte.

Auch die Wolfschlucht würde dem Dichter durch ihre Eigenthümlichkeit und durch die innigste Annäherung an seine Angabe zusagen. Es ist die „furchtbare Schlucht, ganz mit Schwarzholz umwachsen, von hohen Gebirgen rings umgeben.“ In der Schlucht eine Unzahl wild durch einander geworfener Felsmassen, in der Mitte ein ungeheurer, weißglimmender Baum, wie ein Gespenst mit Riesenarmen, ausgestreckt, um das Opfer zu erfassen; links sitzt die gewaltige Eule mit feurig rädernden, großen Augen, bis zum Grausen täuschend, schrillend und krächzend kommt das Nachtgeflügel herbei gezogen, setzt sich auf den Baum und bleibt mit schlagendem Fittich auf seinen Aesten. Aus Wolken schaut der Mond bleich in den Graus, und da er sich nun verdunkelt, da alles Entsetzen der Hölle über die beiden Verwegenen hinein bricht, da erst beginnt der gewaltige Wasserfall sich schäumend und tosend von den Felsen im Hintergrunde sich herabzustürzen. Alles geräth in Aufruhr und die Poesie der Erscheinung ist vollendet.

Der Freischütz hat kecke, frische Lebenstöne auf der poetischen und musikalischen Palette vor ernsten Opern voraus, und diese mögen sehen, was sie dagegen zu bieten haben! Die Zeit ist in ihren Anforderungen an Musik und Poesie dahin gelangt, wohin die Italiäner zu Giotto’s Zeit kamen, als sie in der Malerei die bedingten pyramidalischen und symmetrischen Compositionen der alt-byzantinisch gräcisirenden Schule auf Goldgrund verwarfen und Luft und Leben verlangten. Giotto gab ein Bild mit freimüthig geordneten Gruppen in einer herrlichen Landschaft, und Triumphbogen wurden ihm errichtet, und das Volk feierte ihn, einem siegprangenden Fürsten gleich. Reiche, unendliche Lebensquellen strömen überschwänglich, mögen Dichter und Tonkünstler daraus schöpfen, aber tief! – Welche tiefere Lebensquelle nun strömt mit unsichtbarer Gluth durch alle Adern des Universums, als die Ahnung der geheimnisvollen Beziehungen der Geisterwelt zu unserm Daseyn? Nur muß sie tief und großartig aufgefaßt werden, denn nichts ist erbärmlicher, als ein müßiger Graus! Der unnennbare Zauber, der überall, allgegenwärtig die Menge wieder und wieder mit stets gesteiger¦tem Reiz nach dem Freischütz hinzieht, ist Zeuge für die ächt menschliche und ächt romantische Auffassung dieser Ahnung sowohl vom Dichter, als vom Tonkünstler. Es ist neu, weil es ewig ist, die innere Welt, die träumend im Busen des Menschen ruht, erwacht bei diesen Tönen und verkörpert sich in ihnen; ein furchtbarer, tiefer, geheimnißreicher Reiz befängt uns, fesselt uns durch seine Schrecken, wir haben uns nur abgewendet, um gleich mit frischer Lust wieder darauf hinzublicken, und wie die kühnsten und schreiendsten Mißtöne in den wunderbarsten Momenten der Tondichtung aus allen Untiefen der Geisterwelt hervorgerufen, fortgerissen in den Wogen der Harmonie, nach kurzem, überraschenden Walten untergehen, so deutet die ganze Dichtung hin auf das Auflösen aller Mißtöne des innern Lebens, oder vielmehr auf den höheren Einklang und die Nothwendigkeit des Unbegreiflichen, das uns bei oberflächlichem Zuhören in der großen Welten-Symphonie als Dissonanz zutönt, und doch nur Grundgesetz und mitwirkendes Element des ewigen Einklanges, Schatten zum Licht ist.

Ungern vermiße ich hier den Treff-Schuß, der im übrigen Deutschland gleichsam prophetisch das Stück eröffnet, und auch will mir nicht behagen, statt der Waldestiefe in der ersten Scene, die z. B. in Berlin so herrlich ist *) , hier die Aussicht offen zu sehen. Die Vogelstange steht frei, und im Hintergrunde sieht man das schön-gelegene Jagdschloß, Agathens Wohnsitz. Die Schenke ist recht charakteristisch, ächt böhmisch. Statt des Schusses fliegt der Pfeil zur Stange, der Vers: „Stern und Strauß trag’ ich am Leibe“, wird weggelassen, so auch bleibt in der dritten Scene Samiel, wie überhaupt in den Uebrigen, eben so der Eremit, weg, und selbst die geheimnißvollen Töne fehlen, die Samiel’s jedesmalige Annäherung verkünden. Empfindlich fehlt Manches, woran wir Norddeutsche kein Arg haben und was man in früherhin erlaubten Stücken noch ungehindert hier antrifft, am empfindlichsten doch fehlt das Kugelgießen in der Wolfsschlucht, und Maxens Arie beim zögernden Herabsteigen und bei den Erscheinungen, die hier auch nicht Statt finden; – welchen Ausschnitt hat es nicht bedurft, ehe der Freischütz auf hiesiger Hofbühne das Bügerrecht erhielt!

Die Besetzung ist größtentheils vortrefflich. Henriette Sonntag, der Liebling des Publikums, eine gar liebliche Agathe mit der süßen Huldgestalt und den Silbertönen, nur im Sprechen etwas zu eintönig und schwelzend hinflötend. Rauscher, wie vorerwähnt, eine erfreuliche Erscheinung als Max. Forti, der künstlerisch gewandte, treffliche Sänger, ein wackerer Caspar, wenn schon das Element seiner Rollen ein anderes ist, als das, worin sich diese Rolle bewegt. Dlle. Vio ein ganz allerliebstes Annchen, und die Uebrigen mehr oder minder dem Zwecke entsprechend. Was aber soll ich von den herrlichen Choristen sagen? Schönere Chöre hat kein Theater in Europa, darüber ist nur eine Stimme, nie habe ich etwas gehört, was mich durchaus so vollkommen befriedigt, so überraschend entzückt hätte, | und die Bewunderung steigt, wenn man bedenkt, daß diese Chöre sich auch in der italiänischen Oper auf der stolzesten Höhe ihrer Kunstleistungen erhalten. Die Abrundung u. sinnige Behandlung der Schlußscene macht vergessen, daß hie und da etwas fehlt. Wenn gleich eine andere Hand, als die des verehrten Dichters, den Zuschnitt für das hiesige Hofoperntheater unternehmen mußte, so ist dieß gleichwohl mit Zartheit und schönem Willen geschehen. Der Ritter Ottokar vergibt Max und schlägt ein ¦ Probejahr vor, Kuno ruft die Anwesenden auf, Herz und Hand zu erheben, „Zu Ihm, der Schutz der Unschuld war!“
Die schöne, ergreifende Gruppe der Knieenden bei den Tönen des herrlichen Chors findet statt, und der befriedigte Zuschauer verläßt den Schauspielsaal, froh gestimmt durch die Ueberzeugung, daß ein Kunstwerk von ächtem Gehalt auch Modifikationen erleiden kann, ohne dadurch von seinem innern Werth zu verlieren.

[Original Footnotes]

  • *) Unvergleichlich auch ist in Berlin unter andern köstlichen Decorationen zum Freischütz, die Schlußscene. Thronend auf seinen Felshöhen begrüßt mich, als süße Erinnerung, das herrlich Schloß Tetschen, der Sitz aller Tugend und alles Edelsinns, und einer der anmuthigsten und ächt romantischen Punkte am gesegneten Elbufer, recht täuschend der Natur nachgebildet.

Editorial

Creation

Responsibilities

Übertragung
Dubke, Esther

Tradition

    Commentary

    • “… hatte, nach Amsterdam gegangen ist”Rauscher sang den Max an der Wiener Hofoper erstmals am 5. November 1823 und dann zwischen 22. Januar 1824 und 20. März 1825 generell, nachdem Rosner die Partie dort letztmalig am 6. Januar 1824 gegeben hatte.
    • Augenrecte “Auen”.
    • “… Gast, die hiesigen Theater besuchte”In der Zeitung für die elegante Welt, Nr. 77 (16. April 1824), Sp. 622, wurde dieser Satz unter der Überschrift „Kleine Lesefrucht“ folgendermaßen kommentiert: „[...] Was bedeuten hier die Worte: ein freundlich willkommener Gast? – Nun doch wohl, daß man der dichtenden Frau – Freibillette zugestanden hat.“; die Chézy reagierte wiederum darauf; vgl. ihren Entwurf aus dem NL in der BBAW.
    • Bogenfesterrecte “Bogenfenster”.
    • schwelzendrecte “schmelzend”.

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