Johann Gänsbacher an Karl Maria Graf und Maria Anna Gräfin von Firmian
Wien, Mittwoch, 5. bis Montag, 10. Februar 1812

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Parentes carissimi!

Wie ich letzhin schrieb, so begab ich mich gestern zu Esterhazy, konnte ihn aber nicht sprechen, weil er in – Eißenstadt war. So giengs mir auch im Jahre [180]8; sein Gedächtniß ist vielleicht nicht mehr werth, wie das meinige; was konnte ich thun? ich schrieb auf der Stelle dem Kapellmeister Fuchs* daß er den Fürsten an seine Aeußerung an mich errinnere, und erwarte nun mit christlicher Geduld, die ich wohl brauche, das weitere. An der Ausführung meines Geschäftes verzweifle ich gar nicht, nur dürfte ich um eine Woche länger verzögert werden; und so schwer es mir fällt, sie dem Umgange meiner lieben alten Leutchens zu entziehen, nach dem ich mich so sehr freue, so muß ich es doch abwarten, weil ich schon einmal da bin. Nun folgt mein Referat.

Ich hörte wieder unsere Vestalin*, und geniß sie im Geiste ganz mit der vorjährigen Gesellschaft; jede von uns besonders bezeichnete Stelle fühlte ich mit doppeltem Intreße, und ich gestehe, daß mir oft brühheiß wurde. Obschon ich im Ganzen mit der Production nicht vollkommen zufrieden war, so schien doch das sämmtliche mitwirkende Personale seine ganze Aufmerksamkeit und Kraft auf das zweyte Finale concentrirt zu haben, nie empfand ich noch eine so mächtig erschütternde Wirkung in meinen Innern, wie bei diesem Stück. Ich wünschte den Pragern nur einmal einen solchen Genuß. Uebrigens fand ich nicht so viel Fleiß in der Production, wie voriges Jahr, besonders beim Orchester, das freilich nicht Weigl, sondern Umlauf dirigirte; die Chöre im ersten Akt distonirten sehr; Siboni ließ seine Arie im 3t Akt weg, und bei Me: Fischer muß man für ihre Stimme immer in Aengsten seyn. Bei ihrer Scene im 2t Akt fehlte das Waldhorn gänzlich, und das Vestalische Feuer erlosch viel früher, als sie im Duett mit Licinius der Liebe Seligkeiten genoßen hatte; ein gemeiner Känner war indeßen so kompleßant, ein Licht zum Altar hinzubringen, und das Flämmlein wieder anzuzünden, welches natürlich ein allgemeines Gelächter verursachte, es war aber auch ein Hinschauerstübl.

In betreff des Augenarztes* bestättige ich alles, was Schild[…] sagte, Musik, Handlung und Spiel vereinigen sich zu gleichem Intereße; liebenswürdig erscheint […] ihren 2 Blinden, der Mad:[emoiselles] Bondra und Röckl*, die wegen ihrer Blindheit gar nicht schockieren, auch nicht so viel das Mitleid, als wahre innige Theilnahme für ihre zarten Empfindungen in Anspruch nahmen. Die Aschenbrödl* sah ich gestern. Msl: Demmers* Spiel, und die komischen Singparthien der Buchwieser und Mayer, die sie vortrefflich vortrugen, gefielen mir sehr, so auch der pompöse Eingang und Marsch mit 8 Trompeten auf dem Theater, und die letzte höchst überraschende prachtvolle Decoration, übrigens blieb ich ziemlich kalt; Ehlers, Mayer, /: Vater :/ und Cachè /: Stallmeister :/ […]ten mich sehr; zum 2t mahle sah ich es nicht wieder. Uebermorgen wird Weigls neue große Oper: Francisca de Foisc* gegeben; Buchwieser singt die Hauptrolle. Darauf bin ich höch[s]t begierig; treulliche werde ich mein Urtheil relationiren. Heute wird auch eine neue Oper in 1 Akt von Nicolo Isouard: Das Lotterielos aufgeführt; […] singt darin; da ich aber Abends zu meinem Freund und Landsmann Anreiter engagirt bin, so hoffe ich sie morgen zu hören.

Der TanzAbend bei Frau v Dittmann fiel ganz ordentlich aus; es gab hübsche Mädchen, aber nach meinem Fuß zu urtheilen, schlechte Deutschtänzerinnen, ich habe 5 herabgewixt und einen envit, der auch miserabl ausfiel, aber einen Ungarischen und eine Gavotte sah ich mit Vergnügen an. Marie tanzte nicht viel, sie bekam /: wie sie sagte :/ einen geschwollnen Fuß, deßhalb bekam ich nur einen Tanz; sie unterhielt sich vorzüglich mit einem Offizir von S[…] Küraßier, und es scheint eine bestimmtere Erklärung im Werke zu seyn; ob aber zu beider Vortheil, zweiffle ich, nachdem, was mir Hönigst: davon sagte. Vor dem Tanz wurde musicirt, woran ich aber nicht Theil nahm, indem mich der Augenarzt beschäftigte. Es dauerte bis 4 Uhr früh. Am intereßantesten unterhielt ich mich mit Tomaselli im Gespräch über die Singkunst. Ich sprach unter aderm auch viel vom Prager Conservatorium, und horchte ihn aus, ob er etwa nicht Lust hätte, das Gesangfach zu übernehmen, welches freilich beim ersten Anblick großen Schwierigkeiten unterworfen zu seyn scheint; allein mir lag sowohl als Künstler überhaußt, als insbesondere als Theilnehmer der Prager Muse zu sehr daran, mich für die Gesangbildung und einen ausgezeichneten Meister zu diesem Institut, die Grundlage der ganzen Musick zu intereßiren, daß ich mich nicht abschrecken ließ, bei ihm einen Versuch zu machen.

Tomaselli übergab aufgefordert schon hier der Theater Direction einen Plan zu einer Singschule für Mädchen, die aber nicht angenohmen wurde; er versprach mir ihn mitzutheilen; bei meinen Vorschlag, nach Prag zu gehen, und für das Conservatorium sich engagiren zu laßen; schien er so abgeneigt nicht zu seyn, wenn ihm ein Gehalt stipulirt würde, der verhältnißmäßig mit seinem hiesigen Verdienst wäre; zu dem bezieht er von Hof eine Pension von 800 f; und wird ihm diese auch in Prag ausbezahlt, so ist es für beide Theile um so beßer; auch versicherte er, frei von hier abziehen zu können, wanns ihm immer beliebte. Von welchem ausgebreiteten Nutzen für die Tonkunst überhaupt ein solcher Meister wäre, wird jeder leicht einsehen; zudem sind hier die Früchte seines Unterrichts bloß unter dem weiblichen Geschlecht zerstreut, die höchstens durch bloßes Hören fortgepflanzt werden, indem sich keiner mit SelbstUnterricht abgibt; allein in einer öffentlichen Schule ist sein Wirken concentirt, und da sie gröstentheils Knaben enthält, die sich wieder zu Meistern bilden können, so wird eine solche Schule in wenigen Jahren auf einen Ruhm Anspruch machen dürfen, wie es ehdem die Mannheimer Schule für die Violinisten war. Ich werde nochmahl mit Tomaselli sprechen, um zu erfahren, ob man sich etwa in Unterhaldung einlaßen dürfte; dann berichte ich es gleich, damit die H: Intereßenten und Conserv: ihre Maasregel nehmen können. Ich bitte, es einstweilen Gr: Pachta mitzutheilen. Sollte auch mein Plan nicht gelingen, so wird Prag wenigstens meinen Eifer und guten Willen für die Verbreitung des Vaterländischen Ruhmes nicht verkennen.

Wie der Anfang des Briefes zeigt, so ist endlich meine Abreise bestimmt. Nachdem ich eine Stunde beim Hofrath antichambrirt hatte, kam endlich der Sekretär, mir anzudeuten, daß er mit mir nach Eißenstadt fahre. Der Hofrath sagte mir, wenn die Proben meiner Musik gehalten wären, so möchte ich ihm selbst davon Nachricht geben, worauf ich die Weisung erhalten werde, ob ich den Fürsten erwarten könne oder nicht. Ich werde mich wohl neuerdings mit geduld bewaffnen müßen; die lange Zögerung kostet meinem nach Prag sich sehnenden Gemüthe immer mehr; doch läßt sich einmal in dieser Sache nichts zwingen, ich muß mich dem Gange des Geschäfts unterwerfen, wenn es ganz ausgeführt werden soll; desto freudiger werde ich dann die Meinigen rebus perfectis wiedersehen, wiederfinden. Nun zum referat.

Salieri.

Nach 2 Tägen von der Uebergabe meines Requiems besuchte ich ihn: deutsch gebrochen sagte er es gehe recht gut; nur über die Prosodie des Textes machte er mir einige unbedeutende Anmerkungen, aber mit sehr weitläuftigem Raisonement, das mich sehr intereßirte. Ich habe ihn fast im Verdacht, daß er meine Composition gar nicht ansah, indem er mir gar zu wenig darüber sagte. Uebrigens war er sehr gesprächig, rüksichtlich seiner Ansichten über Musik, besonders Kirchenmusik, und wir plauderten über 2 Stunden zusammen; Gegen Ende zupfte ich ihn an, ob das Requiem nicht bei Hof aufführbar wäre; obschon ihm der Plan nicht so herzlich zu gefallen schien so äußerte er doch: wenn es früher irgendwo hier aufgeführt würde, daß er es hören könnte, und daß man wegen der Korrektheit der Copie sicher wäre, so dürfte es wohl bei Hof hörbar seyn. Dazu ist nun freilich itzt zu wenig Zeit; ich muß daher diesen schönen Plan auf nächsten Winter sparen, wo ich mittelst Ihrer und des Fürsten Gegenwart noch mehr Mienen springen laßen kann. Ich hätte fast ein Lüstlein, in Dresden etwas zu versuchen, wozu mir auch der Gr: Wimpsch einen Fingerzeig gab. Salieri gab mir zum Andenken 6 gestochene Canons von seiner Composition.

Gr: Wimpsch.

Sie empfieng mich sehr freundlich, und war recht lieblich […] verlegen, der Mutter so lange nicht geschrieben zu haben; sie macht Ihr Vorwürfe, nicht nach Wien gekommen zu seyn, was Sie sehr gefreut hätte. Es wurde viel über Musik geschwätzt; Veluti hat bei allen Wienern verlohren; er war ungeschliffen genug zu behaupten, die Wiener verstünden nichts vom Gesang, und wären Esel; auch parodirte er bei offner Tafel, wie die Deutschen sängen. Die Wimpsch nahm seit längerer Zeit her den Streicher zum Klaviermeister, um sich wahre Genauigkeit anzugewöhnen. Ihrer Äußerung zufolge, die mich recht [Text bricht hier ab, Rest fehlt]

Editorial

Summary

wollte gestern zu Esterhazy, der aber weg war, konnte aber erreichen, dass er nachreisen soll; über mehrere Aufführungen in Wien, einen Tanzabend bei Fr. v. Dittmann; Unterhaltung mit Tomaselli, den er fürs Prager Konservatorium engagieren wolle; zur Begutachtung seines Requiems durch Salieri (u.a.m.)

Incipit

Wie ich letzhin schrieb, so begab ich mich gestern

Responsibilities

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Tradition

  • Text Source: Innsbruck (A), Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Musiksammlung (A-Imf)
    Shelf mark: Nachlass Gänsbacher F 7

    Physical Description

    • 1 DBl. u. 1 Bl. (6 b. S. o. Adr.), unvollständig

Text Constitution

  • “Me:”uncertain transcription
  • “Hinschauerstübl”uncertain transcription
  • illegible text
  • illegible text
  • “Mayer”uncertain transcription
  • illegible text
  • illegible text
  • “envit”uncertain transcription
  • illegible text
  • “Prag”uncertain transcription
  • “herzlich”uncertain transcription
  • “Mienen”uncertain transcription
  • illegible text

Commentary

  • “… der Stelle dem Kapellmeister Fuchs”Johann Nepomuk Fuchs (1766–1839), Schüler J. Haydns, seit 1788 (1784?) Geiger in der Kapelle des Fürsten Esterházy, ab 1802 Vizekapellmeister neben J. Haydn und 1804–1811 neben J. N. Hummel; 1813 1 Kapellmeister; vgl. Denkwürdigkeiten, S. 135 Anm. 207.
  • “… Ich hörte wieder unsere Vestalin”Spontinis „Vestalin“ wurde in Wien erstmals am 12. November 1810 aufgeführt (zur feierlichen Eröffnung des Kärtnerthortheaters als Hofoperntheater) und blieb bis 1820 im Repertoire (Neuinszenierung 1830). Gänsbacher besuchte höchtwahrscheinlich die Vorstellung am 3. Februar 1812; vgl. Michael Jahn, Die Wiener Hofoper von 1810 bis 1836. Das Kärtnerthortheater als Hofoper, Wien 2007, S. 340.
  • “… In betreff des Augenarztes”Premiere im Kärtnerthortheater am 1. Oktober 1811.
  • “… Mad: emoiselles Bondra und Röckl”Anna Bondra und Elisabeth Röckel spielten Philipp und Wilhelmine, die Pflegekinder des Arztes; vgl. Amz 1811, Sp. 794.
  • “… in Anspruch nahmen. Die Aschenbrödl”Gänsbacher besuchte eine Aufführung am Theater an der Wien (Premiere des Stückes war im April 1811); vgl. AmZ 1811, Sp. 357f.
  • “… sah ich gestern. Msl: Demmers”Die Titelpartie gab Josepha Demmer, Tochter des k. k. Hoftheatersängers Demmer, derzeit erst 14-jährig, und erntete dafür großen Beifall, weitere Rollen: Ehlers (Ramiro), Buchwieser (Clorinde), Meier (Thisbe); vgl. AmZ 1811, Sp. 357ff.
  • “… große Oper: Francisca de Foisc”„Franzisca von Foix“ – Heroisch-komische Oper in 3 Akten, nach einer frz. Idee bearbeitet von I. F. Castelli; Musik von Weigl (Premiere am 7. Februar 1812).

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