Ueber die Oper Euryanthe (Teil 1/5)

Back

Show markers in text

Ueber die Oper Euryanthe.

Von A. Wendt.

Ich hatte längst dieses Werk durch eine gute Aufführung genauer kennen zu lernen gewünscht, um so mehr da die Stimmen über dasselbe von verschiedenen Orten her so verschieden lauteten, aber Alle die es in Dresden unter des Meisters eigner Leitung gehört hatten, sie mochten Einheimische oder Fremde, Laien oder Kunstkenner seyn, mir einstimmig von der tiefergreifenden Wirkung desselben berichteten. Aus einem Clavierauszuge ist, sobald man ihn nicht als Mittel der Erinnerung an den lebendigen und wiederholten Einruck des Werkes selbst in seiner Selbständigkeit und Fülle ansehen kann, bei einer so tiefen, umfassenden Composition wenig Genuß zu ziehen – viel weniger zu urtheilen über das Ganze. Eher wird man darin Anstoß an dem Einzelnen finden, z. B. an der Deklamation. Aus Aufführungen einzelner Stücke einer solchen Oper in Conzerten, kann der Kundige nur ersehen, daß sie nicht dahin gehören, und daß sie herausgerissen aus dem dramatischen Zusammenhange die durch sie bezweckte Wirkung ganz verlieren müssen – was freilich bei italienischer Opernmusik und auch bei vielen einzelnen Stücken deutscher Opern ganz anders ist. Wie sehr man dieses auch anerkennen mag, so bringt doch unbewußt zuweilen der unangenehme und verfehlte Eindruck ein Vorurtheil gegen ein solches Werk bei. Ich war der festen Ueberzeugung, daß ein größeres Werk, das Weber mit Liebe gearbeitet, nicht ohne Geist und Interesse seyn könne, und doch sah ich mit einigen Zweifeln einer Aufführung desselben entgegen.

Durch einen höchst glücklichen Zufall war eine Aufführung der Euryanthe einige Tage nach meiner Ankunft in Dresden angekündigt. Der Componist verschaffte mir ¦ selbst die erwünschte Gelegenheit, einer Generalprobe derselben, welche zum Theil durch das Auftreten eines Gastes in dieser Oper nöthig wurde, mit Bequemlichkeit und Ruhe beiwohnen zu können; und so konnte ich eine genauere Bekanntschaft mit dieser Musik machen, und vollkommen vorbereitet die glänzende Aufführung geniessen*. Der Eindruck war einer der mächtigsten, die ich jemals durch diese Kunst empfunden. Wollte man sagen, daß die untadelige Ausführung dieser Oper, die man ein geniales Kunstwerk für sich nennen könnte, obgleich dies so auch nur von dem leitenden Genius ausgehen kann, an dieser Wirkung den größten Antheil habe, so frage ich doch, ob es der Künstler nicht für solche Aufführung geschaffen? und ob der Componist zu tadeln ist, der, wenn er in einer der umfassendsten Gattungen arbeitet, den ausübenden Künstlern eine Aufgabe stellt, die wenn auch schwierig und selten zu lösen, doch nicht ausser dem Bereiche der künstlerischen Möglichkeit liegt, und glücklich gelöst, die kühnsten und lieblichsten Gedanken einer schöpferischen Phantasie zur sinnlichen Wahrnehmung bringt?

Daß ich in andrer Hinsicht völlig unbefangen mich dem Eindrucke hingegeben, war ich mir bewußt. Die Schwächen der Fabel in ihrer dramatischen Ausführung waren mir aus der Lesung des Textes wohl bekannt, und sie traten bei der Aufführung nur noch mehr hervor. Ein Geheimniß, wovon man nicht weiß, warum es Geheimniß ist, und warum und wie an dasselbe der Beweis der Unschuld und Liebestreue durch einen Eid geknüpft werden konnte (der doch auch schon ein Mißtrauen gegen die Liebende voraussetzen würde): – dieß ist die Angel, um welche sich alle Mängel und Unwahrscheinlichkeiten der dramatischen Fabel drehen. „Jetzt weiß man nicht, – um mich in der naiven Art eines im Schauspiel hinter mir sitzenden Provinzialen auszudrücken, – warum Eglantine einen so entsetzlichen Spectakel erhebt,“ als ihr von Euryanthen das Geheimniß mitgetheilt wird; warum sie auf die Entdeckung desselben so viel Gewicht legt, da sie doch die Wirkung der Entdeckung noch gar nicht wissen kann, und Euryanthe nicht gesagt hat, warum sie durch einen Eid zur Geheimhaltung verpflichtet worden sey. Nun klingt es fast lächerlich, wenn man Eglantinen zu Euryanthen sagen hört: „Dich drückt ein bang Geheimniß“, „des Unglücks Blick trifft scharf.“ Nun erscheint die Intrigue äusserst schwach, die auf die Entdeckung dieses Geheimnisses gebaut ist. Da Eglantine durch diesen Verrath Adolar, der sie verschmäht hat, „an ihre glühende Brust zu führen“ gedenkt, daß sie nun Emma’s Gruft durchsucht, ihr den Ring von der Todtenhand zieht, der es bezeugen soll, „daß Euryanthe Lieb’ und Treu’ verrathen,“ diese Hoffnung ist noch der verblendeten Eifersucht zu verzeihen. Weit schwächer ist es, daß Lysiart, der auf Euryanthens Untreue gegen Adolar vermessen gewettet hat, diese letzten Worte hören, und sich im Augenblick mit Eglantinen zu „Euryanthens Sturz und Adolars Vernichtung“ verbinden muß. Am schwächsten aber ist es, daß nicht nur Adolar, sondern auch | der König, der hier als weisser Schiedsrichter erscheinen soll, und seine Ritter das Vorzeigen jenes Ringes mit Entdeckung der Nebenumstände als einen vollgültigen Beweis gegen Euryanthen’s Treue anerkennen, und sich gar nicht die Mühe nehmen genauer zu untersuchen, worauf es hierbei ankommt, da Euryanthe zwar entschieden ableugnet dem Ankläger irgend eine Gunst erwiesen zu haben, aber sich übrigens à la Jungfrau von Orleans verhält, und sich auch Tag und Nacht von dem zürnenden Geliebten in der Irre herumführen läßt, ohne den Getäuschten über ihre Unschuld aufzuklären – was sie ja doch nicht unter ihrer Würde halten konnte. Dieses Verhältniß ist dadurch auf die Spitze getrieben, daß die Unschuldigleidende sich für ihn aufzuopfern im Begriff ist, als sie zufälliger Weise eine fürchterliche Schlange sich heranwälzen sieht, und ihn so gewissermaßen rettet, aber dieß dennoch dem verstocken Ritter keinen Zweifel an seinem Wahne beibringt, daß er sie vielmehr um ihr einen Dank zu erweisen, statt sie zu tödten in der gefährlichen Einöde allein läßt, was vielleicht noch schlimmer für sie war, wenn es keinen Jägerchor gab. Nun geht der Herr Ritter den wir vor diesem Impromptü nur schmelzen und schmachten gesehn, sein Geschick beklagend, seiner Wege, um, was er hier nicht hören wollte, bei einer – Bauernhochzeit auf seinen verlornen Gütern zu erfahren, wo die Landleute ihm – im Tone des griechischen Chors zurufen:

den schnödesten Verdacht entferne,ich spreche Wahrheit sonder Scheu,

und etwas moderner:

es wankten eh’ des Himmels Sterne als unsrer süßen Herrin Treu’.

wo ihm darauf die, wie es scheint, von der Sache wohl unterrichtete Braut „gewichtige Kunde“ giebt, daß mit seinem Feinde Eglantine im Bunde sey, und endlich Adolar durch den plötzlich ausbrechenden Wahnsinn Eglantinens, welche gerade benfalls ihr Hochzeitsfest feiern will, das Uebrige erfährt.

Das Helldunkel, in welches hier ein Punkt gehüllt ist, von welchem Alles in der Handlung abhängt, die Unbestimmtheit der Worte, in welche das gekleidet ist, wovon Sinn, Absicht und Wirkung der handelnden Personen abhängt, und die bei etwas undeutlichem musikalischen Vortrag dem Zuhörer noch leichter entgehen können, – alles dieß macht, daß selbst ein aufmerksamer Zuhörer einen ganzen Abend vor der Bühne sitzen kann, und bloß wahrnehmen, was darauf vorgeht, ohne darüber in’s Klare zu kommen, wie es zugeht.

Man muß nun über das dramatische Gefüge der Handlung ganz hinwegsehen, und sich blos an die, allerdings interessanten und musikalischen Situationen halten, welche auf so unmotivirte Weise herbeigeführt worden sind, sowie an viele poetische und musikalische Stellen, durch welche sich dieser Operntext auszeichnet. Wie schwer dieß nun für denjenigen ist, der einen verständigen Zusammenhang in der Oper, wie im dramatischen Gedicht überhaupt, nicht für etwas Ueberflüßiges hält, so sehr machte mich die Kenntniß jener Schwächen geneigt, nur die Intentionen des Tonsetzers bei Behandlung der gegebenen Situationen zu verfolgen. Die grossartige Musik desselben riß mich auch bald mit sich fort, und interessirte mich so für diese Situationen, daß ich mir das Lückenhafte der dramatischen Motive leicht ausfüllte. Bei der Aufführung ward mir dieser Eindruck klarer, indem mir hier alle Theile des Ganzen in ihren großgedachten Verhältnissen mit größerer Bestimmheit vor das Auge traten. Einige Momente leuchteten über alles hervor, und gaben mir durch ihre unaussprechlich ergreifende und entzückende Wirkung die Nähe des Genius kund. Alles dieses will ich mit Hilfe des erinnernden Auszuges jetzt in mir zu ordnen, und den Freunden der Tonkunst mitzutheilen suchen. Mögen sie meine Ansicht, bei welcher ich mir der unbefangensten Aufmerksamkeit und der Liebe zur Sache bewußt bin, wie ich sie gebe, aufnehmen, und mit ihren Empfindungen und Ansichten vergleichen.

(Fortsetzung folgt.)

Editorial

General Remark

Der Text wurde korrigiert nach dem Druckfehlerverzeichnis in Nr. 88 (23. Juli 1825), S. 358.

Creation

Responsibilities

Übertragung
Bandur, Markus

Tradition

  • Text Source: Merkur. Mittheilungen aus Vorräthen der Heimath und der Fremde, für Wissenschaft, Kunst und Leben, Jg. 1825, Nr. 71 (13. Juni), pp. 289f.

Text Constitution

  • “weisser”sic!

Commentary

    XML

    If you've spotted some error or inaccurateness please do not hesitate to inform us via bugs [@] weber-gesamtausgabe.de.