Aufführungsbesprechung Prag, Ständetheater: “Wirt und Gast, oder Aus Scherz Ernst” von Giacomo Meyerbeer am 22. und 24. Oktober 1815

Back

Show markers in text

Theater.

Prag. – Den 22. Oct.: Alimelek, Wirth und Gast, oder: aus Scherz Ernst (die beyden Kalifen), Oper in 2 Aufzügen von Herrn Wohlbrück, in Musik gesetzt von Herrn Meyer Beer. Hätte sich die Direction nur auf den sonderbaren Umstand verlassen, daß gewöhnlich diejenigen Opern, welche in Wien gefallen, hier gar kein Glück machen, und umgekehrt, so wäre der schmerzliche Fall, den die beyden Kalifen in Wien erlitten*, ein glückliches Prognosticon für die Aufnahme des Alimelek auf der Prager Bühne gewesen; aber Herr Carl Maria von Weber, dem sehr viel daran gelegen scheint, Hrn. Meyer Beer zu poussiren, wollte sich darauf nicht verlassen, sondern erwählte einen andern Weg, das Publicum zu stimmen, den wir gerade nicht als den vortheilhaftesten und sichersten zu erkennen vermögen. Er nahm seine Zuflucht zu der Prager privilegirten Zeitung, und theilte in derselben: „Dramatisch-musikalische Notitzen, als Versuche, durch kunstgeschichtliche Nachrichten und Andeutungen die Beurtheilung neu auf dem Landständischen Theater erscheinender Opern zu erleichtern“ mit. Nach einem Motto von Göthe und einem zweyten von Schiller, die er selbst als nothwendige Schutzwehr bey seinem gewagten Unternehmen anerkennt, erinnert Hr. v. W. an jene Zeit, wo man sich noch mehr um die Kunst bekümmerte und erklärt, er halte es für seine Pflicht, die Opern, die er aufführt, gleichsam dem Publicum aufzuführen, und selbes mit ihren Eigenschaften bekannt zu machen. Ein zweytes Blatt enthält eine Notitz über Alimelek insbesondere, deren Inhalt nebst einer Menge ausschweifender Lobsprüche auf den Dichter und Compositeur (welche theils nicht geglaubt werden und anderntheils nur die Forderungen an das Kunstwerk übermäßig steigern) nur in der Erzählung besteht, daß diese Oper in Wien gefallen sey, oder – wie sich Hr. v. W. ausdrückt – „die eingetretenen ungünstigen Umstände ihr nicht erlaubt haben, sich mit dem Publicum vertraut zu machen, da sie nur ein Mahl gegeben wurde.“ – !! –

Gewiß ist, daß Herr v. W., statt seinem Pflegekinde zu nützen, ihm durch diese Notitz einen gar übeln Dienst erwiesen hat; denn das Publicum wird es nie dulden, daß man ihm gleichsam im Voraus erweise, was und wie es fühlen solle, und wenn Hr. v. W. von der Wahrheit, die er mit vieler Galanterie aufstellt: „Die Erfahrung hat gezeigt, daß die Gesammtstimme des Publicums beynahe immer gerecht sey und daß manches Schöne hier erkannt wurde, was selbst die Bewohner der Kaiserstadt, deren Maßstab wir uns so oft anlegen lassen müssen, nicht, oder nur erst später zu schätzen wußten,“ vollkommen überzeugt war: warum überließ er nicht sein Schooßkind der Gerechtigkeit des Publicums, welche sich um so lauter äußern mußte, wenn sie durch keinen vorläufigen Eindruck getrübt wurde. Dazu kommt noch, daß Hr. v. W. eine ziemliche Anzahl von persönlichen Feinden hat, welche nicht ermangelten, diese Gelegenheit zu ergreifen, um alle übrigen gegen den Künstler aufzuheben, der es wagte, dem Publicum vorzugreifen, und ihm gleichsam eine Norm für seinen Geschmack vorzulegen. So erschien der Tag der Aufführung. Der größte Theil der Zuschauer, die sich sehr zahlreich eingefunden hatten, war sehr dagegen eingenommen, und nur der kleine Theil von Menschen, die alles Gedruckte für Evangelium halten, hoffte das achte Weltwunder in Tönen zu vernehmen.

Die Poesie des Alimelek ist meistens recht wohl gerathen, und auch der Composition des Herrn Mayer Beer sind große Vorzüge, tiefer Sinn und Gefühl nicht abzusprechen; aber die Musik ¦ ist weder auf schnellen dramatischen Effect berechnet, noch – wenige Stücke ausgenommen – klar und faßlich. Ein übergroßer Reichthum von Ideen drängt sich aufeinander, und manche folgt der vorhergehenden so schnell, daß die erste nicht gehörig ausgebildet werden kann; sie ist gelehrt und geistreich, aber durchaus nicht so abgerundet, daß sie auf das erste Mahl entweder einen ungünstigen Eindruck ganz verlöschen, oder den überspannten Pretensionen derjenigen entsprechen könnte, die hier Gluck und Mozart überbothen zu sehen hofften. Ein glänzendes Genie beurkundet sich in dieser Composition und selbst die Fehler sind von der Art, daß sie Hoffnungen für die Zukunft geben. Faßlichkeit und Theatereffect wird der Tonsetzer bald gewinnen und den überfluß an Ideen wird er, wenn er mehrere Opern schreibt, schon zu verwenden wissen. Aber alle diese Vorzüge und das vortreffliche Spiel des Hrn. Ehlers als Alimelek konnten die Oper nicht vor einer sehr kalten Aufnahme retten. So oft geklatscht wurde, erhoben auch die Schlangen – deren der Sammler neulich erwähnte – ihre Köpfe, und es gelang ihnen meistens den Beyfall zu ersticken, den das Genie des Tonsetzers dem unbefangenen Zuhörer entlockt hatte. Die Umgebungen der Hauptperson waren nicht sehr glücklich. Herrn Siebert fehlt es durchans an Würde und Feinheit zur Darstellung des Kalifen, obschon er ihn recht artig sang. Herr Kainz verdarb die Rolle des Giaffar in jeder Hinsicht, und selbst Mad. Grünbaum, so herrlich sie die Irene sang, hatte den Charakter ganz vergriffen, und durchaus vergessend, daß es eine komische Oper sey, stellte sie selbe durchaus hochtragisch dar. Das Gericht wurde sehr brav dargestellt und dießmahl schienen die sprechenden Personen manchen Singenden den Rang abgelaufen zu haben. Herr Allram (Wucherer), Herr Seewald (Fischer) und Hr. Gerstl (Oberiman) spielten sehr brav; besonders aber excellirte Mad. Allram und Dlle. Brand als Mutis und Misis.

Am 24. wurde die Oper wiederhohlt und die abweichenden Meynungen über ihren Werth hatten die Neugier so gereitzt, daß das Haus nicht minder als das erste Mahl gefüllt war. Aber sehr verschieden war die Aufnahme des Kunstwerkes; bey wiederhohlter Erscheinung ward manches deutlich, was das erste Mahl nicht verstanden worden; die Schönheiten des Werkes traten hervor und Fehler sanken in Schatten zurück; die Schlangen waren gegenwärtig; da aber mit jeder Scene der Beyfall wuchs und bey manchen Stücken – z. B. Irenen’s Arie und dem brilianten Finale des ersten Actes – doppeltes Beyfallklatschen erschallte, so verstummten sie endlich ganz. Nach dem Schluß der Oper wurde Hr. Ehlers mit rauschendem Beyfalle hervorgerufen, und erschien – nachdem man ihn lange erwartet hatte – Mad. Grünbaum bescheiden an der Hand führend. Wiederhohlter lebhafter Beyfall wurde beyden verdienstvollen Künstlern zu Theil und dem Stücke ein Erfolg, welchen das Publicum, ohne durch ein Vorurtheil befangen zu seyn, ihm vielleicht schon bey der ersten Aufführung gezollt haben würde.

Noch vergaß ich in meinem letzten Briefe einer vorübergehenden Erscheinung an unserm Theaterhorizont zu erwähnen*; es ist dieß ein kleines Lustspiel von einem Dilettanten der Poesie, Freyherrn von S –, der Handschuh betitelt. Ein Fräulein verliert einen Handschuh, ein Cavalier hebt ihn auf, und als sie die Sache beym Lichte betrachten, sind sie Braut und Bräutigam. Ein ausländischer geistvoller Künstler sagte, als der Handschuh zur Erde fiel, ganz lakonisch: „Da liegt das Stück!“ – Sein Ausspruch erspart mir die Mühe, mehr zu schreiben. Möge er auf den Dichter dieselbe Wirkung haben!

Editorial

Creation

Responsibilities

Übertragung
Schaffer, Sebastian

Tradition

  • Text Source: Der Sammler. Ein Unterhaltungsblatt, Jg. 7, Nr. 142 (28. November 1815), pp. 584

    Corresponding sources

    • Zitat daraus bei Becker, Meyerbeer-Tagebuch und Briefe, Bd. I, S. 649f.

Text Constitution

  • “Meyer Beer”sic!
  • “Mayer Beer”sic!

Commentary

  • “… beyden Kalifen in Wien erlitten”Zur erfolglosen Wiener Aufführung der Oper (unter dem Titel Die beyden Kalifen) am 20. Oktober 1814 vgl. AmZ, Jg. 16, Nr. 47 (23. November 1814), Sp. 789.
  • briliantenrecte “brillanten”.
  • “… an unserm Theaterhorizont zu erwähnen”Aufführung am 6. Oktober 1815T.

    XML

    If you've spotted some error or inaccurateness please do not hesitate to inform us via bugs [@] weber-gesamtausgabe.de.