Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Don Gutierre, der Arzt seiner Ehre“ von West am 15. Juni 1819 (Teil 2 von 3)

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Don Gutierre.

(Fortsetzung.)

In den Außenlinien des herrlichen Monologs, am Ende des zweiten Akts, war die dreimalige Ebbe und Fluth bis zur furchtbaren Gewißheit, er habe Ursache zur Eifersucht, fest und wahr gezeichnet. Aber wie kann dies alles noch durch fortgesetztes Studium ausgemalt werden? Groß ist in Calderon’s Dichtung die Motive der Ehre, wodurch die gewöhnliche Glut südlicher Eifersucht gleichsam noch zu einer höhern Potenz gesteigert erscheint. Dies fodert im Spiel ganz eigene Schattirung. Vor allem aber dürfen wir den trefflichen Künstler wohl darauf aufmerksam machen, daß Don Guiterre die Blüthe spanischer Galanterie und Liebenswürdigkeit in sich vereinigt, daß seine Rede ächt-dichterische Glut haucht, die man doch vermißte, als ihm Donna Mencia zu sagen hat: „Den Schmeichler hör’ ich und den schönen Geist!“ Er liebt ja seine Gemahlin mit unaussprechlicher Zärtlichkeit und Weichheit, weint dreimal und ist eben daher in diesem fürchterlichen Kampfe zwischen Liebe und Ehre wahrhaft tragisch, weil wir ihn, geschieht der Rolle ihr volles Recht, nur bemitleiden, nicht hassen können. Es wäre alles verloren, wenn auch nur eine seiner Mienen an Blaubart erinnerte, wenn er schon Angfangs etwas Strenges oder Finstres in seinem Gesicht trüge. Der Spiegel des Don Gutierre, wie ihn Calderon dachte, ist in Leonoren’s, der gereizten Feindin, Schilderung gegen Don Artas, zu Anfang des 3ten Akts. Wir möchten ihm daher auch noch ein gewinnenderes Costum wünschen. Die rothen Strumpfhosen erinnerten unwillkührlich an jenen verhaßten Blaubart. Ein solches Stück hätte wohl überhaupt sowohl hier, als in allen übrigen, besonders weiblichen Rollen, eine ganz frische und angemessene Schmückung verdient.

Ihm steht die jugendlichste Unbesonnenheit und der Liebestaumel des Infanten Enrique entgegen. Das ist ein Glutofen von Liebhaber. Wir müssen es bei der Beschaffenheit unsers Theaterpersonals Hrn. Julius Dank wissen, daß er eine Rolle so durchführte, für welche er sich viel zu reif fühlen mußte. Vorzüglich gerieth ihm die Rede und das Spiel voll Doppelsinns, gleich im ersten Akt mitten inne, zwischen Mann und Frau. Aber den verliebten Wahnsinn, womit er am Schluß des ersten Akts zur Jagd abgeht und wo ihn aus weiter Ferne die Jagdhörner tönen, – sollten diese auf einem so kleinen Theater wirklich gehört werden müssen? – konnte der alles bedenkende Künstler doch nur zur Häfte geben. Mehr hätte hier an’s Lächerliche gestreift. Seinem Bruder, den König Don Pedro, gab Hr. Werdy alle Würde und Energie, die West in seiner Bearbeitung diesem Charakter noch übrig ließ. Calderon hatte gute Gründe, diesem, in der Geschichte mit vollem Recht den Grausamen genann¦ten, König von Castilien nur unerbittliche Strenge und Gerechtigkeitspflege zu geben. Wir besitzen von dem bekannten englischen Reisebeschreiber Jacob Dillon eine Geschichte Peters des Grausamen, in zwei Theilen. Es verlohnte sich wohl der Mühe, diese mit unserm Drama im Original zu vergleichen und daraus überhaupt das Unterscheidende zwischen Calderon’s und Shakespear’s Manier in Darstellung der Königscharaktere aus der vaterländischen Geschichte festzustellen. – Sehr würdevoll wurde gleich die erste Audienzscene gegeben. Im Monolog kalt berathend, im Dialog rasch durchgreifend, mit Verstellung. Sehr brav wurden die Stellen motivirt, wo der Stolz aufblitzt, z. B.: „wer wagt es stolz zu seyn, da wo ich bin!“ Die Scene, wo er, dem Enrique den Dolch aufdringend, sich blutrinstig, ritzt, verlangt wohl noch stärkeres Spiel, wenn wir das halbwahnsinnige Entsetzen des Königs über eine so leichte Verletzung begreiflich finden solle[n]. Im spanischen Original tritt die Entzweiung mit seinem Bruder schon früher weit mehr hervor. Das hat West weggeschnitten. Nun muß der Schauspieler, so gut sich’s thun läßt durch Leidenschaftlichkeit des Spiels ergänzend nachhelfen. Ob der König bei seinen Nachtstreifereien durch Sevilla sich morisch verkleidet habe, dürfte bei der Antipathie jedes Castilianers gegen alles Morische sehr zu bezweifelnd seyn. Die kleine Rolle des Arztes Ludovico, im letzten Akt, will doch sehr gut gegeben seyn. Calderon dachte sich ihn als einen bejahrten Mann. Den jungen hätte Gutierre hier nimmer eingeführt. Der feste, gediegene Ton, womit Hr. Pauli ihn deklamirte, paßte wenig zu diesen Todesschauern.

Mad. Schirmer lös’te als Donna Mencia eine sehr schwierige Aufgabe mit tiefem Gefühl und dem lebendigsten Ausdruck, die natürlich in der schauderhaften Schlußscene, wo sie an den verschlossenen Thüren und eisernen Fensterstäben krampfhaft rüttelt und in Verzweiflung bewußtlos niedersinkt, – wir kennen keine tragischere Situation in irgend einem Trauerspiel, – die höchste Spitze erhielt. Eine Castilianerin liebt nur einmal, sagt in Spanien ein Sprichwort. So muß sie ja wohl beim ersten Blick auf den so heiß geliebten, so jungfräulich abgewehrten Infanten wieder erwachen. Dies wußte auch die denkende Künstlerin gleich durch die Art, wie sie im ersten Akt um den noch vom Sturz betäubten Prinzen den Arm schlingt, wohl zu bezeichnen. Aber auch sie huldigt allein der Ehre. Sie kann also von Ferne nichts kommen sehen, was der strengsten weiblichen Würde zu nahe träte. Selbst jene halbversteckte Rechtfertigung gegen Enrique in Gegenwart des Gemahls ist ihr Ehrenpunkt, um nicht für leichtsinnig zu gelten. Es liegt also nur in Unkunde des Ueblichen im südlichen Clima, wenn man ihr zweites Einschlummern auf der Terrase, wo sie der Prinz schon einmal beschlichen hatte, für absichtlich hält. Viel kommt dabei freilich auf die Einrichtung der Scenerei an.

(Der Beschluß folgt.)

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Don Gutierre, der Arzt seiner Ehre“ von West (Teil 2 von 3). Der erste Teil erschien in der vorigen Ausgabe, der letzte folgt in der nächsten.

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Fukerider, Andreas

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 3, Nr. 152 (26. Juni 1819), Bl. 2v

Textkonstitution

  • „Guiterre“sic!

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