Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Don Gutierre, der Arzt seiner Ehre“ von West am 15. Juni 1819 (Teil 3 von 3)

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Don Gutierre.

(Beschluß.)

In Wien macht das Schlafkabinet der Donna auf der Terrasse einen auf Säulen ruhenden Vorsprung des Hauses selbst mit zeltartiger Ueberschirmung. Es ist ihre beständige Schlummerstätte in den kühlenden Nachtstunden. Dies pflichtmäßigste Ehrgefühl der Donna schließt übrigens nicht das innre Auflodern lang verhaltener Liebesflammen aus. Ihr Verderben ist die Vertraulichkeit mit der listigen Sclavin. Wir möchten in der Scene im ersten Akt, wo nach Gutierres Entfernung sie Jazinten ihr ganzes früheres Verhältniß zu Enrique offenbart, den deutschen Bearbeiter fragen, warum er der Gebieterin dies Geständniß ernst und halb für sich zu thun vorschreibt? Im Original spricht Donna Mencia dieß sehr rasch und feurig. Dieß ist in ihrer von außen zurückgedrängten Leidenschaft weit natürlicher. Einen solchen unbewachten Moment hatte selbst die strengtugendhafte Frau wohl nach solchem Wiedersehn. Von Stund an ist sie aber auch ganz in den Händen ihres Mädchens. Dieselbe höchstaufgereizte Leidenschaftlichkeit wünschen wir auch im Ton und Spiel unsrer Künstlerin in der Scene zu sehen, wo sie in der Angst, sich zum Hof- und Stadtgespräch gemacht zu sehen, den heillosen Entschluß faßt, an Enrique zu schreiben. Daß Mencia im Zwiesprach mit dem sich verstellenden Gutierre auf der Terrasse, wäre es auch noch in der Befangenheit nach dem Erwachen, so viel verrathen, so lange fortsprechen kann, bleibt selbst im Calderon unnatürlich. So erzählt selbst die leichtsinnige Frau nie die Umstände der vorigen Zusammenkunft. Wie sehr hätte der deutsche Bearbeiter die Wirkung verstärkt, hätte er sie im Traume nichts als Enrique! rufen lassen. Was wirkte Grillparzer durch den Ausruf: Melitta, im Munde des träumenden Phaon! Es kam unserer Schirmer nicht zu, den Dichter selbst zu verbessern und so legte sie in dieß Fehlreden so viel Wahrheit, als nur möglich war. Meisterhaft war ihr Spiel in der frühern nächtlichen Ueberraschung durch Enrique. Schade, daß durch die große Entfernung für jedes unbewaffnete Auge ihr kunstreiches Mienenspiel verloren gehen mußte, wo sie ihr Bleiben durch das schöne Bild des gejagten Reihers entschuldigt und während der feurige Liebhaber dieß Gleichniß fortspinnt, ihn von Zeit zu Zeit mit bangender Scheu betrachtet und dann ausruft: Du bist’s, von dem der Tod mir kommt! Als Enrique nicht fliehen will, fällt sie sogar vor ihm auf die Kniee. Wie richtig leitete hier die Künstlerin ihr Gefühl! In solcher Angst allein kann sie ihm rathen, sich in ihrem Schlafzimmer zu verstecken. Eine hochtragische Situation in südliche Glutfarben getaucht! – Darauf die Dolchscene mit Gutierre. Wie fühlt die Geistesverwirrte den Dolch schon in ihrem Busen, wie sieht sie das Blut strömen! Das darauf folgende Hinsinken ist keine verbrauchte Theaterohnmacht. Die erschütterndste Wahrheit war in ihrem stummen Spiel, als endlich Gutierre im Wahnsinn des empörten Ehrgefühls vom Bluttrinken und Herzzerreißen spricht. Wie sie beim Abgehen banget: Das sind die Todesschauer, die ich fühle, so sahen wir diese Schauer wirklich, oft nur in einem leisen Zucken des Arms, in einem Krampf der Finger. Nicht eine Bewegung zu viel und darum mit wenigem so viel! – Die Donna Leonora greift, ¦ recht dargestellt, gar nicht bloß episodisch ins Stück. Dem. Schubert, an sich schon eine sehr anmuthige Erscheinung, hatte ihrer Rolle alle Aufmerksamkeit gewissenhaft gewidmet und gnügte ihr in der leidenden, schmerzlichen Stelle vollkommen. Nur den Stolz der beleidigten Spanierin und die poetische Erhebung vermißten wir noch in etwas, sind aber überzeugt, daß es nur von ihrem ernsten Willen abhänge, diese Rolle zu einer ihrer gelungensten zu machen.

Die scenische Einrichtung in diesem Stücke ist von entschiedenem Einfluß auf sein Gelingen. In Wien, wo dies herrliche, gehaltreiche Stück zum erstenmal als Benefiz für die vereinten Regisseurs auf die Bühne kam, hatte man die Terrasse viel weiter vorgerückt. Da hier alles dies an der Durchzugwand der hintersten Bühne angebracht war, ging nothwendig für Ohr und Auge manches verloren. Der Schlußakt machte hier weit weniger Wirkung. In Wien ist in diesem Akt die Scene durchaus in der Mitte getheilt. Man sieht zugleich in den Saal von Don Gutierres Haus und auf die Straße. Dieß macht einem grauenhaften Contrast. Der Alcoven, in welchem Mencia schreibend überfallen wird, ist dort auf ebener Erde mit dem Vorzimmer. Hier entsteht durch den Stufenabsatz und die Enge des Spielrams im Schreibekabinet ein unvermeidlicher Uebelstand und eine verwirrende Verlegenheit für Mencia und Gutierre. Da nun für Schaulust und Effect auch bei uns in so vielen Stücke nichts gespart wird, so mag für künftige Aufführungen diese bescheidne Andeutung doch wohl auch ihre Stelle finden. Dann dürfte vielleicht auch in der Beschleichungscene, wo Gutierre die Schlummernde prüft und die Lichter auslöscht, es wirklich ganz finster auf der Bühne seyn. Dießmal war sie viel zu stark beleuchtet. Wo das Auge nichts sieht, hört das Ohr doppelt. Dann bedürfte es wohl nur jenes Leisesprechens, das auch auf der Vorbühne vernehmlich ist. Wie es jetzt gegeben wurde, war die Stimme des Gatten viel zu wenig verstellt und alle Täuschung ging verloren. Endlich vermögen wir es nicht zu billigen, daß wir die getödtete Mencia nicht in der Schlußscene, nach den Vorschriften des Dichters, mit Tüchern bedeckt vom Theater aus erblicken. Auch die erstickte Desdemona wird zuletzt gezeigt. Nur das wirkliche Anschauen vollendet die tragische Wirkung. Den Abdruck der blutigen Hand an der Thüre glauben wir nur zu sehen. Aber die Getödtete wollen wir, wenn nicht etwa kindische Furcht und Empfindelei vorgegeben werden soll, wirklich sehen.

Wir hätten es uns in der That weit leichter machen und die Aufführung eine vorzügliche Leistung nennen können. Sie war es im gut eingelernten Zusammenspiel und in den meisten Einzelheiten wirklich. Das Publikum erkannte dieß durch wiederholten lauten Beifall dankbar an und gern danken wir der Direction und der so thätig eingreifenden Regie diesen seltenen Genuß. Aber dieß Stück verdient ein Liebling des Publikums zu werden und wird es, auf der Stufe der Bildung, wo unser Publikum steht, künftigen Winter gewiß seyn. Darum mag nicht als Vorwitz und Tadelsucht gelten, was nur der Ausdruck theilnehmender Achtung seyn kann. Wir hoffen auf dieß Stück mehrmals zurückkommen zu können. –

Böttiger.

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: „Don Gutierre, der Arzt seiner Ehre“ von West (Teil 3 von 3). Die ersten beiden Teile erschienen in den vorigen Ausgaben.

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Fukerider, Andreas

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 3, Nr. 153 (28. Juni 1819), Bl. 2v

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