Caroline von Weber an Maria von Weber
Dresden, 1852

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Mein geliebtes Herzenskind!

Weil ich fühle, wie meine Kräfte täglich mehr schwinden, wie Krankheit und Gebrechen des Alters nunmehr die Oberhand gewinnen und gleich einer mahnenden Hand von oben nach dem letzten Ziele zeigen, darum habe ich, mein geliebtes teures Kind, nur ein Bedauern, daß dieses Ziel nahe vor mir steht, ohne wie bisher für Dich, mein teures liebes Enkelkind, sorgen zu können. Vielleicht ist es auch gut, daß Du nicht durch zuviel Liebe und Sorgfalt verwöhnt, mehr Ansprüche an Opfer der Liebe machen lernst, mehr Opfer zu bringen als zu empfangen, und so Dich vorbereitest für die schweren Pflichten der Gattin, Mutter und Hausfrau. Glaube mir, meine Maria, nur wenn Du Dich bestrebst durch immer gleiche Sorgfalt, Liebe und Freundlichkeit, Deine Umgebung glücklich zu machen, dann wirst Du es auch selbst sein, wenn auch manche bittere Erfahrung dabei in Dein Leben tritt. Glaube immer, daß Deine Umgebung, Eltern oder Gatte* das Recht hat, die Anwendung Deiner ganzen Seelen- und Körperkraft von Dir zu fordern, daß Du erst durch Erschöpfung Deiner Plichten Dir die Achtung und Liebe aller Menschen erwerben mußt. Wohingegen einem lässigen, unordentlichen Weibe der Unmut im Herzen wohnt und die Mißachtung der Menschen folgt. Sei stets reinlich und zierlich in Deinem Anzug, denn es kann keine reine Seele in einer unsauberen, geschmacklosen Hülle wohnen. Wie denn überhaupt alles im Menschen, all seine Eigenschaften, Gewohnheiten und Tugenden nur eine Kette bilden, deren Glieder ein Menschenkenner leicht entdecken wird. Lerne soviel Du kannst, mein Kind! Denn nur dadurch sicherst Du Dir das Gefühl der Unabhängigkeit. Denke nie, das werde ich nie brauchen, mit solchen Arbeiten werde ich mich nicht befassen dürfen. Wie das Schicksal des Menschen sich wendet, wer kann das voraussehen? Ja, und würdest Du nie Gebrauch von der Kenntnis untergeordneter Arbeiten zu machen brauchen, so ist es doch viel wert, wenn Du Deinen Dienstboten sagen kannst, so muß es gemacht werden! Eine Hausfrau, die nichts versteht und nichts lernt, wird auch von ihren Dienstboten nicht geachtet werden. Ja, sie werden es sich zum Vergnügen machen, sie zu betrügen und zu verhöhnen. Lerne vor allem selbst für Deinen Anzug sorgen, und alles, was Du hast, gut zurechtzuhalten. Ein Mädchen braucht nicht immer neue Kleider anzuschaffen, weil es viel verdienstlicher ist, das Alte zu erhalten und so wiederherzustellen, daß es ein frisches Aussehen erhält. Gewöhne Dich daran, mein Kind, nie müßig zu sein oder gar mit Lesen schlechter Romane die Zeit zu töten. Laß Deine Lektüre von Deinem Vater auswählen oder, fehlt ihm die Zeit, von anderen guten und klugen Frauen. Sorge mit Liebe für Deine jüngeren Geschwister und sei ihnen immer ein Beispiel der Güte und Verträglichkeit. Solange Dein guter alter Pate Brauer lebt (der Musiker und Begründer der musikalischen Handlung in der Neustadt)*, wende Dich mit Deinen kleinen Wünschen an ihn! Was er von dem, was ich Dir vermachte, bestreiten kann, wird er tun. Den 19. November gehe jedes Jahr mit ihm zum Grab der Großmama und hole Dir dort den Segen, welchen ich Dir von ganzem Herzen gebe, solange Du gut und brav bist. Auf der geweihten Stätte wirst Du fühlen, mein Kind, ob Du ihn verdienst. Lies dort diesen Brief jedesmal und fasse neue gute Vorsätze. Sei Deinen guten Eltern eine folgsame Tochter und liebe Deinen Vater, wie ich ihn geliebt habe. Erhalte die kleine Blumenwelt auf der Gruft der Dahingeschiedenen und laß Dir zuweilen vom Pate Brauer von der Großmama erzählen, wie sie Dich lieb gehabt und gern für Dich gesorgt hat. Gott erhalte Dir Dein gutes, warmes Herz, denn eine Frau ohne Liebe und teilnehmendes Gemüt ist ein Unsegen für ihre ganze Umgebung. In Deine Hände, meine gute Maria, lege ich für die Zukunft das häusliche Glück Deiner Eltern. Bringe dieser Pflicht mit Freuden jedes Opfer, auch wenn es Dir schwer fallen sollte. Du wirst Belohnung dafür diesseits und jenseits finden.

So leb denn wohl, geliebtes Kind! Und können auch meine Lippen keinen Segen mehr über Dich aussprechen, so wird er doch stets deinem tugendhaften Lebenswandel folgen.

Apparat

Zusammenfassung

liebevoller Brief an ihre Enkelin Marie, der testamentarischen Charakter hat, er dürfte in den letzten Lebenswochen von Caroline geschrieben sein

Incipit

Weil ich fühle, wie meine Kräfte täglich mehr schwinden

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Jakob, Charlene

Überlieferung

  • Textzeuge: Vermächtnis der Witwe Webers. Zwei unveröffentlichte Briefe Caroline von Webers, in: Dresdner Nachrichten, Nr. 321 (19. November 1940), S. 3

    Einzelstellenerläuterung

    • „Gatte“Heiratete später (12. April 1885) den Dramatiker Ernst von Wildenbruch.
    • „(der Musiker und … in der Neustadt)“Sehr wahrscheinlich eine Anmerkung der Redaktion der Dresdner Nachrichten.

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