Friedrich Drieberg an Bernhard Anselm Weber in Berlin
Cantow, Sonntag, 9. Juni 1816

Zurück

Zeige Markierungen im Text

Absolute Chronologie

Vorausgehend

Folgend


Korrespondenzstelle

Vorausgehend

Folgend

Theuerster Freund

Der gute Kienlen muß den Kopf verloren haben – das reiche Wien zu verlaßen um in dem armen Berlin Stunden zu geben! Ich habe ihm geschrieben, wenn er beim Theater angestellt werden könne so solle er Berlin allen andern Städten vorziehen, weil keine Stadt im Teutschen Mutterlande ein beßeres Theater habe, u. das sich unter der weisen Regierung der Herrn Grafen Carl Brühl zu einer schwindelnden Höhe erheben würde p p p – da ich dies aber für sehr | zweifelhaft hielte so mögte er doch ja den Ruf nach Prag annehmen u. s. w. Mit dem Ruf nach Prag scheint es mir aber auch nicht seine Richtigkeit zu haben. Daß sie den Maria los sein wollen, glaube ich gern, aber er wird nicht sogleich gehen, denn seine Anstellung in Berlin ist eine reine Fabel. Was soll denn ein Theater mit 4 Kapellmeistern machen?TKienlen ist ein guter Mensch u. hat viel Talent, aber er ist ohne bestimmten Charakter u. ohne die Gabe sich zu präsentieren u. wird es daher niemals in der Welt weit bringen. – Vertrauen Sie ihm nichts was ein Geheimniß bleiben soll. zeigen Sie ihm auch nichts von meiner Musik u. s. w. – Wenn er keine Anstellung in Berlin bekommt so suchen Sie ihn nach einer andern Stadt zu bringen – in Berlin muß er verhungern oder seinen Bekannten zur | Last fallen. Ich schätze sein Talent, er hat sich aber gegen mich undankbar benommen u. so werde ich ihn seinen Gang gehen laßen ohne Notiz davon zu nehmen u. s. w. Er schreibt mir daß er zwei Opern komponirt habe. Suchen Sie den Brühl zu bewegen daß er eine davon annimmt*, u. das Honorar diene zu seiner Reise nach – wohin er will. –

Sie haben lange mit dem Könige gesprochen – das ist von größerer Wichtigkeit wie Sie selbst villeicht glauben. Außer daß es eine große Ehre ist, so stellen Sie sich dadurch auch so fest daß des schlaffen Hamlet’s Rütteln und Schütteln nie etwas gegen Sie fruchten wird, und im Fall der Noth dem Könige auch mal eine offne Wahrheit sagen können. p p

Sie sagen durch Ziffern wären die Chöre einstudirt worden – wie ist denn das eigentlich möglich? Da durch Ciffern keine punktirte Noten zu schreiben, möglich ist? Sagen Sie mir doch wie Sies gemacht haben | Denn bei uns hier wird auch nach Ciffern dreistimmig gesungen. Die Bauern nennen diesen Gesang sehr naif: dreisträhnig. Die Satire auf’s Theater schiken Sie mir nur wenn’s auch über Sie hergeht, ich weiß ja doch was unwahr ist. Sie ist bei Spener zu haben. – Auch schreiben Sie mir nächstens etwas über Kienlen ob er bleibt oder geht u. s. w. Wir werden ihn schwerlich los werden p p p – Eben fällt mir bei, Sie glauben doch etwa nicht daß ich neidisch auf Kienlen bin? – da ich in 4 Jahr nicht wieder komponiren werde so ist dies wohl nicht möglich – Sie wissen ja daß ich jezt den großen Gelehrten spiele – u. alle Musik über den Haufen werfen will – ja ich bin ein gar gefährlicher Mensch für die Herrn Musiker u. Komponisten.

Dero Familie meinen gehorsamsten
Rispetto. Ihr treuester Freund Drieberg

NB. Sagen Sie doch Freund Wurm, daß er vom Grafen, so lange er auf der Hausvogtei gesessen, sein halbes Traktament gesetzlich fordern könne. Ich weiß dies von Newaß

NB. Daß Wurm freigesprochen ist freut mich ganz ungemein. Sagen Sie mir doch wie dies zugegangen, ob die Acten wirklich nach einem andern Gericht geschickt worden, u. ob seinen Verurtheilern Hitzig u. Hoffmann das so hingehn wird, da [es] doch ihre Partheiligkeit an den Tag bringt. pp

NB. So eben kommen die Zeitungen an, u. ich sehe daß Maria v Weber sich nicht wie sonst Generaldirector u. Capellmeister nennt. Ich schließe daraus daß ihn entweder die Prager weggejagt oder er am Ende doch wohl in Berlin – doch nein.

Apparat

Zusammenfassung

Ausführlich über die berufliche Situation des Kapellmeisters Kienlen, im Brief und Postscriptum gehässige Mitteilungen über Weber und seinen geplanten Weggang aus Prag, Vermutung von Drieberg, dass er evtl. doch nach Berlin gehe.

Incipit

Der gute Kienlen muß den Kopf verloren haben – das reiche Wien zu verlaßen

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz

Überlieferung

  • Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Signatur: Mus. ep. F. Drieberg 59

    Quellenbeschreibung

    • 1 DBl. (4 b. S.)

Textkonstitution

  • „auch“über der Zeile hinzugefügt

Einzelstellenerläuterung

  • „… daß er eine davon annimmt“Gemeint sind wohl die Opern Claudine von Villa Bella sowie Petrarca und Laura, deren Partituren sich im Berliner Opernhausarchiv befanden (heute D-B, Mus ms. 11590/6 bzw. Mus. ms. 11590). Die Claudine wurde in Berlin einstudiert, allerdings erst 1818, und erlebte dort zwischen dem 30. April und dem 24. Juni d. J. insgesamt vier Aufführungen.

    XML

    Wenn Ihnen auf dieser Seite ein Fehler oder eine Ungenauigkeit aufgefallen ist,
    so bitten wir um eine kurze Nachricht an bugs [@] weber-gesamtausgabe.de.