Aufführungsbesprechung: Gastspiel von August Wilhelm Iffland im September 1811 in Mannheim (Teil 1/2)

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Hof- und Nationaltheater in Mannheim.

Am 25. September: Fridolin.

Am 26. September: Nathan.

Am 27. September: Versöhnung.

Am 29. September: Der gutherzige Polterer.

Iffland einmal nach so langer Zeit wiederzusehen*, hatten wir alle mit heißer Sehnsucht gewünscht; unser Wunsch ward am 25. Sept. erfüllt; Melpomenens und Thaliens Doppelpriester opferte beiden Musen in dem Tempel, wo er, wenn gleich nicht seine erste, doch seine höhere Weihe empfangen hatte, und reichte uns eine Schaale Kunst-Nektars, die wir nur zu schnell in dem Zeitraume einer halben Woche auszuleeren genöthigt waren, um des Genusses recht mit Muße froh zu werden; so Etwas sollte man, wie seltene Weine (um in der Allegorie, freilich ungleich, fortzufahren, denn ich komme vom Nektar auf den Wein) nur langsam schlürfen, und in großen Absätzen. Das ist der einzige Mangel der Schauspielkunst, dieser Kunst aller Künste, aber ein Mangel, der ihre Reize nur erhöht, daß sie nicht verweilt, daß sie nicht festzuhalten ist, und vorübergeht, wie alles Leben.

„ – Wie der Klang verhallet in dem Ohr,Verrauscht des Augenblicks geschwinde Schöpfung,Und ihren Ruhm bewahrt kein dauernd Werk;Schwer ist die Kunst, vergänglich ist ihr Preis,Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze.“

Ifflanden hat sie die Mitwelt geflochten, und ihm gelten Schillers herrliche Trostworte:

„ – Wer den Besten seiner Zeit genuggethan, der hat gelebt für alle Zeiten.“*

Ueber die Wahl von Ifflands Gastrollen will Ref. nur das bemerken: Es ist sonderbar, und die Frage verdiente eine Erörterung, warum große Schauspieler häufig höchst mittelmäßige, ja schlechte Stücke wählen, um daran ihre Kunst zu verschwenden, da sie doch, wollten sie sich einen trefflichen Dichter zur Seite stellen, unstreitig einen weit höhern Kunstgenuß verschaffen würden. Soll das Stück sie heben im Contraste? wollen sie heller glänzen im Schatten des Dichters? wollen sie zeigen, daß kein Machwerk so schlecht sey, keine Idee so todt, das nicht durch die Kunst des Schauspielers verklärt werden, die nicht durch sie ins Leben übergehen könnte? Dem sey wie ihm wolle, Iffland hat uns wirklich ein Beispiel davon geliefert, und uns in seinen drey Gastrollen (die vierte ist natürlich Nathan) durch die Lebendigkeit und scharfe Individualisirung der Charaktere (indem er zugleich Dichter und Schauspieler war) vergessen gemacht, wie matt und kläglich die Stücke selbst waren, deren Darstellung auch gewöhnlich in dem Schauspielhause eine starke Leere fühlen läßt.

Das Auszeichnende, welches Iffland zu einem so großen Künstler erhebt, ist natürlich hier wie in jeder Kunst, der Geist, mit welchem er eine jede Role auffaßt, und in einem Guße wieder gibt, wie er sie in seinem innern Spiegel gesehen hat; (viele Schauspieler haben freilich gar keinen solchen Spiegel, und sehen deshalb nichts) – nicht im Einzelnen das vollkommene Innehaben und Besitzen aller Kunstregeln, wie sie die Theorie aufstellt, sondern die Tiefe des Gemüths, womit er sie anwendet; mit einem Worte die Begeisterung, von welcher jeder ächte Künstler bey der Darstellung ergriffen seyn muß; Ref. behauptet auch dreist, daß Iffland in dem Augenblicke der Darstellung, besonders affektvoller Szenen, sich der kleinen Nüancen und Schattirungen in Ton u. Gebehrde nicht einmal deutlich bewußt ist, wodurch er seinem Spiele die tiefe Wahrheit aufprägt, wiewohl er sie alle früher bey dem Studium erkannt und sich zur vollkommenen Fertigkeit eigen gemacht haben muß; nur sein Genius bestimmt im Augenblicke über die Anwendung der vorräthigen Kunstmittel. Daher lassen sich zwar alle gedachte Einzelnheiten von ihm absehen und nachmachen, aber jener nicht; und der Plagiarius* ist nicht besser dran, als einer, der ein Buch stehlen wollte, und die einzelnen auseinander gesetzten Lettern beym Buchdrucker entwendete; er hat blos die auseinander gesetzten Lettern; das Buch aber ist die Seele. –

– „Wie er räuspert und wie er spuckt,Das habt ihr ihm glücklich abgeguckt;Aber sein Genie, ich meyne, sein Geist –“*

Auch kömmt es Ref. eben deshalb sehr wahrscheinlich vor, was man von Iffland erzählt, daß er eine geraume Zeit vor Anfang des Stückes völlig costümirt auf der Bühne herum gehe, ohne ein Wort zu sprechen, und blos beschäftigt, sich in den Geist seiner Role zu versetzen, und eben so während der Zwischenakte alles vermeide, was ihm das Abwerfen seiner Individualität erschweren könnte: daher ist er denn auch nie zerstreut und außer seiner Role, wenn er gerade nichts zu sagen hat, wie so viele Schauspieler, welche, sobald sie der Dichter schweigen läßt, nicht mehr wissen, wie sie sich auf der Bühne gebehrden sollen, bis das Stichwort wieder einfällt, und häufig aus Gründen eine Augen-Unterredung mit dem Soufleur anknüpfen, oder, wie Ref. sehr in der Nähe bemerkt hat, in einer tragischen Role dumm vor sich hinsehen, und in einer komischen oft gar das Lachen nicht halten können, wodurch die Täuschung nicht wenig einbüßt. Iffland spielt nicht seinen Charakter, sondern er ist jedesmal das, was er im Stücke seyn soll, weil er von seiner Role durchdrungen ist; daher Ref. überzeugt ist, daß es ihm bey seiner klaren lebendigen Anschauung des Charakters leichter wird, diesen mit so vieler Natur und Wahrheit zu geben, als Andern, ihre unnatürliche Verzerrungen und Verunstaltungen hervorzubringen, die sich so wenig lohnen und so häufig Ekel erregen.

Man wird nach dieser vorausgeschickten Ansicht auch keine ins Detail gehende Beurtheilung von Ifflands Spiele erwarten; gerade weil das Wesen desselben nicht in diesem sondern nur im Ganzen zu finden ist. Das Leben eines Körpers durch Anatomie aufsuchen, heißt eben diesen tödten, und das Leben entflieht wenn man es mit dem plumpen Secir-Messer ertappen will: unsichtbar und unbetastbar schreitet es über dem entseelten Leichnam hin. Schauspieler welche Fragmente liefern, lassen sich fragmentarisch beurtheilen; das Ganze lebt nur in der Anschauung. Daher will Ref. nur wenige Momente seines Spiels bey einzelnen auffallenden Situationen mit Hinsicht auf das Ganze ausheben, welche gleichsam als Ruhepunkte des Gedächtnisses den Leser an seinen gehabten Genuß erinnern mögen, damit er sich desto leichter wieder das Ganze vor die Seele führe.

der Beschluß folgt

Apparat

Generalvermerk

Zuschreibung nach Sigle; der Text ist außerdem enthalten im Nachlaß Duschs (GLA Karlsruhe, N. v. Dusch 8)

Kommentar: Dusch faßte Ifflands Gastspiel kurz zusammen im Morgenblatt (1811-V-70), G. Weber in der Zeitung für die elegante Welt (1811-V-74). Zur Versöhnung vgl. auch Duschs frühere Kritik (1811-V-21). G. Weber teilte Meyerbeer am 4. Oktober 1811 mit: Den Iffland haben wir im Bad. Mag[azin] gehörig gerecensoren wirsts mit Pläsir lesen, Becker (Meyerbeer), Bd. 1, S. 124.

Entstehung

Überlieferung

  • Textzeuge: Badisches Magazin, Jg. 1, Nr. 182 (3. Oktober 1811), S. 726–727

    Einzelstellenerläuterung

    • „Iffland einmal nach … langer Zeit wiederzusehen“August Wilhelm Iffland war 1796 von Mannheim nach Berlin gegangen, sein letztes Gastspiel in Mannheim hatte er im September 1804 gegeben.
    • „„ – Wie … für alle Zeiten.““Vgl. den Prolog zu Wallensteins Lager zur Wiedereröffnung der Weimarer Schaubühne 1798, in: Friedrich von Schiller, Wallenstein, hg. von Hermann Schneider und Lieselotte Blumenthal, Weimar 1949 (Schillers Werke, Bd. 8), S. 4. Dusch hat zwischen den beiden Zitaten aus der dritten Strophe sechs Verse ausgelassen.
    • „Plagiarius“Dusch geht auf die Problematik des Plagiats ausführlich in seiner Kritik über das Gastspiel von Albert Gern ein; vgl. 1811-V-77.
    • „– „Wie er … sein Geist –““Vgl. die Worte des ersten Jägers in: Friedrich von Schiller, Wallensteins Lager, in: Wallenstein, a. a. O., S. 19 (Szene 6).
    • aufsuchenrecte „aufzusuchen“.

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