Aufführungsbesprechung Mannheim: „Julius Cäsar“ von William Shakespeare am 28. Januar und „Zaire“ von Christian Ernst Graf von Benzel-Sternau nach Voltaire am 17. Februar 1811 in Mannheim (Teil 2/2)

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Hof- und National-Theater in Mannheim. Julius Cäsar und Zaire.

(Beschluß)

Brutus wurde von Hrn. Eßlair mit Kraft und Würde besonders in den letztern Aufzügen gegeben. Hr. Müller als Cassius (ein eben so vollkommen gezeichneter Charakter, aber der in der Darstellung noch mehr Schwierigkeiten darbietet als Brutus) blieb tief unter ihm; er dehnt zu viel, ist nicht Herr über sein Aeusseres, und die Bestimmtheit der Sprache, die besonders hier so nothwendig gewesen wäre, vermißt man ganz. In dem heftigen Wortwechsel mit Brutus* am Anfange des vierten Aktes wurde sein Spiel wärmer als gewöhnlich, und die Szene gelang im Ganzen. An Mad. Eßlair bemerkte Ref. die schon oft gerügten Fehler heute weniger, und sie befriedigte als Portia. Auch Hr. Mayer gab die Rolle des Antonius mit Beifall, wiewohl er die feine Verstellung die in diesem Charakter liegt, nicht genug heraushob. – Ref. bemerkt im Vorbeigehen über das Hinweglassen mehrerer Personen, welches der Mangel des Personale nothwendig machte, daß es doch wenigstens gut gewesen wäre die Rolle des Octavius auf irgend eine Weise zu besetzen, da dieser im historischen Gemälde so wesentlich erscheint! – Der aufsteigende Rauch als Nebel bei der ersten Erscheinung des Geistes* war von herrlicher Wirkung; nur ist es schade, daß man so bald dessen irdischen Ursprung gewahr wurde. Daß man den Geist zum drittenmale sichtbar werden läßt, als Brutus sich entleibt,* ist gegen die Intention des Dichters, und wenigstens hätte er auf die Art erscheinen müssen, daß Brutus selbst ihn nicht bemerkt, gleichsam als über ihm schwebender Rache-Engel in der Stunde des Todes, nur für den Zuschauer sichtbar.

– Bei der Erscheinung Zaire’s von Voltaire auf unserer Bühne kann sich Ref. nicht enthalten, dem so rühmlich bekannten und schätzenswerthen Bearbeiter derselben die Worte Schillers an Göthe:*

„– Nicht in alte Fesseln uns zu schlagenErneuerst du dies Spiel der alten Zeit“

und

„Nicht Muster zwar darf uns der Franke seyn,Ein Führer nur zum Bessern soll er werden,Er komme wie ein abgeschiedner GeistZu reinigen die oft entweihte SzeneZum würd’gen Sitz der alten Melpomene.“

zuzurufen; in diesem Sinne ist die Erscheinung erfreulich, und unsre beiden größten Dichter sind dem Verfasser im Beispiel vorangegangen. – Die Wahl der Zaire von Voltaire war äusserst glücklich, und sie scheint Referenten mehr einer Bearbeitung werth als Mahomet, ein Stück, welches bei allen einzelnen Schönheiten tiefen Mißton in der Seele zurückläßt. Zaire im Kampfe zwischen Religion und Liebe, erregt inniges Mitleid und die Leidenschaft redet aus ihr mit feuriger Stärke; weniger Interesse erregt Orosman im ewigen Schwanken zwischen Stärke und Schwäche, und seine Eifersucht erscheint nicht genug motivirt; aber wahrhaft edle, herrliche Charaktere sind dagegen Lusignan und Nerestan, und die christliche Religion erscheint in vollem Heiligenschein. – Was die deutsche Bearbeitung dieses Stückes betrifft, so bedauert Referent, daß ihm dieselbe blos aus der hiesigen Darstellung bekannt und es ihm folglich unmöglich ist, sich in das Detail derselben einzulassen. Im Ganzen ist der Geist der französischen Tragödie in unsre Sprache mit Kühnheit übertragen, und manche Stellen schienen dem Referenten (dem das Original lebendig vorschwebte) durch die deutsche Bearbeitung noch zu gewinnen; einige Härten in der Versifikation verdienen um so weniger bemerkt zu werden, als dergleichen oft in der Uebertragung aus einer andern Sprache schwer zu vermeiden ist, und überhaupt die Harmonie des Versbaues dem Geiste des Ganzen untergeordnet sein muß. –

Die hiesige Darstellung war nicht so vollkommen; Herr Eßlair befriedigte, nicht wie gewöhnlich, als Orosman; seine Kraft vereinigt sich schwer mit Zartheit, ein Herkules nimmt sich schlecht aus am Spinnrocken einer Omphale.* Mad. Eßlair war äusserst kalt, und sprach mit einer unangenehmen Nüchternheit selbst da, wo das Feuer der Leidenschaft sie hinreißen sollte; besser und heute vielleicht der Beste war Herr Mayer als Nerestan. Herr Prandt als Lusignan befriedigte gleichfalls.

Die Aufführung dieses Stücks so wie auch wahrscheinlich jene von Shakespear’s Julius Cäsar verdankt Mannheim dem Verfasser des goldnen Kalbes*, und man schmeichelt sich mit der Hoffnung, demselben ins künftige noch mehr in theatralischer Hinsicht zu verdanken. Bei dem Einflusse eines solchen Mannes kann die Bühne nur gewinnen.

The Unknown.

Apparat

Generalvermerk

siehe Generalvermerk Aufführungsbesprechung Mannheim: „Julius Cäsar“ von William Shakespeare am 28. Januar und „Zaire“ von Christian Ernst Graf von Benzel-Sternau nach Voltaire am 17. Februar 1811 in Mannheim (Teil 1/2)

Entstehung

Überlieferung

  • Textzeuge: Badisches Magazin, Jg. 1, Nr. 8 (8. März 1811), S. 31–32

    Einzelstellenerläuterung

    • „heftigen Wortwechsel mit Brutus“Szene IV/3.
    • „ersten Erscheinung des Geistes“Szene IV/3.
    • „den Geist zum … Brutus sich entleibt,“Szene V/5.
    • „Worte Schillers an Göthe :“Friedrich von Schiller, An Göthe als er den Mahomet von Voltaire auf die Bühne brachte; vgl. Gedichte, hg. von Norbert Oellers, Weimar 1982 (Schillers Werke, Bd. II/1), S. 404 (Z. 101–102) und 406 (Z. 104–108). Dusch läßt hier, in der er seyn aus werden geändert hat, drei Verse aus.
    • „Herkules nimmt sich … Spinnrocken einer Omphale.“Anspielung auf den Mythos, wonach Herkules drei Jahre der Omphale dienen und für sie spinnen mußte.
    • „Verfasser des goldnen Kalbes“Karl Christian Ernst Graf von Benzel-Sternau wurde durch seinen vierbändigen Roman Das goldene Kalb (Gotha 1802–1804) bekannt. Offensichtlich gab es in Mannheim Gerüchte, Benzel würde Intendant des Theaters werden; vgl. den Brief von C. M. v. Weber an G. Weber vom 22. März 1811: Wenn Penzel Intendant würde, das wäre ein Freßen für uns, da käme ich vielleicht nach M:.

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