Friedrich Wilhelm Jähns an Marie Lipsius
Berlin, Freitag, 16. März 1877

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Hochverehrtes Fräulein.

Schon wieder muß ich um Entschuldigung bitten, daß ich, nachdem mir von Ihnen erneute Zeichen Ihres gütigen Gedenkens meiner geworden sind, eine so geraume Zeit vergehen lassen mußte, ohne Ihnen den Dank auszusprechen, zu welchem bei jeder neuen Gabe ich mich Ihnen nur um so tiefer verpflichtet fühle. Nehmen Sie also meinen warmen Dank, so verspätet er erscheinen muß, um so nachsichtiger auf, darum bitte ich Sie herzlich! Die Arbeit dieses Winters war u. ist noch gar zu drängend u. jeder Tag zu voll gewesen, so daß ich erst heut dazu kommen kann, Ihnen von meiner Freude zu reden an der mit jeder neuen Auflage Ihrer Werke immer höher steigenden Vollkommenheit derselben. Außer der immer feineren Ausfeilung Ihrer „Studienköpfe" haben dieselben jetzt, was deren praktische Seite anlangt, einen neuen Werth erhalten, durch die beigegebenen Werk-Verzeichnisse, die in Bezug auf einige | Namen mit ganz besonderen Schwierigkeiten verknüpft gewesen sein müssen. Daß Sie mein Weber-Buch benutzten, hat mir eine wahre Freude bereitet und kann eine complicirte Arbeit einem wohl kaum lohnender und schmeichelhafter gedankt werden. Nehmen Sie noch ganz besonders meine herzlichste Erkenntlichkeit dafür entgegen! – Leider ist mein „Nachtrag" zu meinem „Weber" unter dem Druck der Winterarbeit momentan gänzlich ins Stocken gerathen; mit dem Frühling soll aber ernstlich wieder dran gegangen werden, obwohl er ganz zu keiner Zeit geruht hat. Die unter Xband hiebei erfolgende Studie war auch ein Störefried daran; aber sie war der Abschluß von Untersuchungen u. Bestrebungen, die sich bis 40 u. mehr Jahre von jetzt an zurück erstrecken, u. so ist der kleine unscheinbare AufsatzDer Freybrief" (Chrysander’sche Leipziger Musikal. Ztg. 1876 No. 48) eine Arbeit gewesen, die nur der Kenner zu beurtheilen wissen wird.* Ich konnte die vollständige Geschichte dieses Aufsatzes unmöglich geben, so interessant sie eigentlich erst dadurch | vielleicht geworden wäre, denn dazu ist der Gegenstand doch nicht bedeutend genug. Aber Sie werfen wohl dennoch einen Blick hinein u. lesen dann zwischen den Zeilen. Daß es sich in demselben um Aufhellung der Nummern 77 u. 78 meines „Weber" handelt, werden Sie natürlich sofort ersehen, aber auch das kann ich vorläufig mittheilen, daß die apokryphen No 162 u. 163 (die Operette „Die Verwandlungen" betreffend) damit uzugleich ihre Aufklärung erhalten haben, wie dies ebenfalls der „Nachtrag" bringen wird. Vielleicht wird mir in diesem Jahre die Freude, Sie nach langer Pause wieder zu sehen, obwohl leider wahrscheinlich auch nur wieder im Fluge. Denn je älter man wird. desto kostbarer werden die Tage u. wenn man 68 Jahre hinter sich hat, wird man Stunden u. Minuten-geizig. – „Nun Wie Gott will" – Ich bin zwar sehr vielseitig beschäftigt, dennoch gehört es zu meinen tiefsten Wünschen den „Nachtrag" gedruckt vor mir liegen zu sehen. Dann kann ich mindestens denken, „was Du hast thun können, das hast Du gethan!" – Und es war eine große Notwendigkeit; denn die Welt der Kritiker hat sich eben nicht sehr dankbar erwiesen einem von Deutschlands ersten Genien gegebenüber, | wenn dies freilich auch aus der unverzeihlichen Oberflächlichkeit der Studien folgt, die von solchen gemacht werden, die über das frischweg den Stab brechen, zu dessen Verständniß u. richtiger Würdigung eine ausgebreitete u. eindringliche Kenntniß gehört, entfernt von jeder Widersacherei u. Kaltherzigkeit. –

Wie freue ich mich, mit Ihnen zu reden, wenn es mir vergönnt sein sollte, bald einmal zu Ihnen zu kommen. Möge der Himmel es bald so freundlich fügen u. mir zugleich gestatten, Ihnen zu wiederholen, mit welch inniger Verehrung Ihnen ergeben ist u. bleiben wirdIhr
treu ergebenster
F. W. Jähns

Apparat

Zusammenfassung

Kommentiert die Neuauflage ihrer Studienköpfe, in denen jetzt Werkverzeichnisse hinzugefügt worden sind, dankt, dass sie im Falle Weber auf sein Werkverzeichnis zurückgegriffen habe. Bedauert, dass sein Nachtrag ins Stocken geraten ist, Schuld daran ist auch ein lange recherchierter und geplanter Aufsatz; hofft, sie in diesem Jahr sehen zu können.

Incipit

Schon wieder muß ich um Entschuldigung bitten

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz

Überlieferung

  • Textzeuge: Leipzig (D), Stadtgeschichtliches Museum, Bibliothek (D-LEsm)
    Signatur: A/813/2010

    Quellenbeschreibung

    • 2 Bl. (4 b. S.)

Textkonstitution

  • „bitten“unter der Zeile hinzugefügt
  • „meinen“über der Zeile hinzugefügt

Einzelstellenerläuterung

  • „… Kenner zu beurtheilen wissen wird.“„Der Freybrief“. Eine Oper von Jos. Haydn, Fritz v. Weber, Mozart und Carl Maria v. Weber, in: AmZ, N. F. Jg. 11, Nr. 48 (29. November 1876), Sp. 753–757.).

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