Friedrich Rochlitz an Louis Spohr via Hendrik Christiaan Kleine in Amsterdam
Leipzig, Mittwoch, 1. Oktober 1817

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A

Monsieur Kleine*

Directeur de Musique

Amsterdam

Pour Mr. Louis Spohr

Ew. Wohlgeb.

haben mein voriges Schreiben vollkommen so aufgenommen, wie ich erwartet hatte; und so bedarf es künftig weder von mir, noch von Ihnen, der Zusicherungen von Theilnahme u. dgl. Vielmehr komme ich jetzt, zumal da ich, wie leider überhaupt, von nöthigen, wie von eigentlich unnöthigen, darum aber doch unabwendbaren Beschäftigungen fast erdrückt werde – sogleich auf die beyden Angelegenheiten, worüber Sie meinen Rath verlangen. – In Prag, wo so Wenige schreiben können, und von den Wenigen kaum Einge schreiben mögen, besitzt, wie Sie mit Recht vermuthen, die musik. Zeitg seit mehern Jahren keinen Correspondenten, u. kann jetzt auch keinen erreichen. Alle vielfältige Bemühung ist vergebens gewesen. Zwar giebt’s Herren, die zuweilen sich selbst und einen Gevatter ausposaunen möchten: aber das kann nicht angenommen werden. Als Mar. v. Weber noch dort war, und ich erfuhr, Ihr Faust sey eben auf die Bühne gebracht, schrieb ich diesem um Nachricht darüber für jene Zeitg: er versprach sie, gab sie aber nicht. Als er weg und vorerst nach Berlin ging, besuchte er mich, versprach, auf mein Erinnern von neuem, hat aber noch heute nichts gethan. Auch hat Ihr Faust zwar einen günstigen, doch nicht eben ausgezeichneten Erfolg gehabt; was aber durchaus nicht gegen ihn selbst sprechen soll, denn ich kenne den jetzt so verdumpften Sinn der Prager – doch aber ihm (dem Faust) in der allgemeinen Meynung, wie sie bey der großen Masse vor Kenntnis des Werks aus den öffentlichen, eleganten und nichteleganten Klatschbuden sich zu bilden pflegt, nachtheilig geworden ist. Schriebe Weber wirklich darüber, so würde das von guter Wirkung seyn; sonst aber (oder auch, bey jenem,) wäre mein Rath, Sie schrieben dem Grafen Brühl nach Berlin, und brächten dort eine möglichst gute Auffführung. Machte da, eben da, das Werk bedeutendes Glück, wie ich nicht zweifle: so würde es dann gewiß auf den meisten Theatern gewünscht werden. Der Faust Klingemanns, der, wie er nun auch seyn mag, überall eingeführt ist u. eine gewisse Art des Effects allerdings hervorbringt, erschwert dem Ihrigen ebenfalls den Eingang. Erlauben Sie mir dabey eine Frage! Sie erklären ihn für Ihre beste Arbeit: gehet es Ihnen auch nicht, wie mehren andern Künstlern, daß sie sich in so fern selbst verkennen, als sie von Einer Seite durch ihre innerste Natur, von der andern durch ihren Vorsatz geleitet werden, und nun, was sie dort leichter erringen, dem ungerecht nachstellen, was sie hier schwerer zu Stande bringen? Ich – nach alle dem, was ich von Ihren Werken kenne – ich glaube, Ihre eigentliche Heimath ist, wie J. Haydns u. Beethovens, in der Instrumentalmusik. Da vermögen Sie aber auch alles, wenn Sie nur wollen. Einen schönen u. neuen Beweiß dafür habe ich erst in diesen Tagen mir wieder verschafft, indem ich mir Ihr Concert aus E moll (bey Peters) in Partitur setzen lassen, damit ich etwas Ordentliches und Ausführliches – wie weit dies bey Werken dieser Gattung überhaupt in meinen Kräften ist – darüber sagen könne. Sie werden meine Anzeige sobald zu lesen bekommen, als sich Platz finden will; wenigstens noch in diesem Jahre: u. ich wünsche, daß Sie damit zufrieden seyn mögen.* – Über die zweyte Ihrer Angelegenheiten kann ich kurz seyn. Der König v. Preußen hat, wie Sie nun aus öffentl. Blättern wissen werden, in Paris Spontini’n zum Kapellmeister angenommen. Jene öffentliche Aufforderung, Webers wegen, war wol nur eine Manipulation seiner Berliner Freunde. Auch glaube ich nicht, daß W. von Dresden wegginge; wenigstens würde ichs ihm sehr verdenken: denn, wie er sich in Achtung, und sonst auch, zu setzen gewußt hat, kann sich ein wahrer, und nicht mehr in eitlem Zujauchzen u degl. lebender Künstler billiger Weise kaum eine bessere Stelle wünschen. Ihnen würde es aber dort schwerer geworden seyn, Polledro’s wegen. – Da ich aber nun Ihre Gedanken u. Wünsche über diesen Punkt kenne, werde ich, im Fall ich künftig etwas Ähnliches erführe, Ihnen Nachrichten geben, und Mittel u. Wege, weiß ich sie selbst, gleichfalls. Unser alter, wackrer Schicht wird stumpf, u. ein Schlagfluß scheint ihm nachzuschleichen, der ihn einmal schnell anpacken kann; Schneider erhält dann wahrscheinl. seine Stelle an der Schule: möchten Sie dann Director unsrer neuen, schönen | Oper werden? Schneider ist außerdem auch noch Organist an der Thomaskirche, was er als Cantor nicht bleiben könnte. – Und nun noch ein Wort, das Sie mir ja nicht mißdeuten dürfen: Muthen Sie mir nicht zu, oft und viel zu schreiben, ich arbeite, oder sitze doch mich ohnehin in ein frühes Alter, und muß mich zurückhalten.

Mit Hochachtung und Freundschaft Sie begrüßend
Rochlitz

Apparat

Zusammenfassung

u. a. über Webers Besprechung von Spohrs Faust: R. hat ihn schon mehrfach darum gebeten, Weber habe versprochen, den Wunsch zu erfüllen, aber nichts geliefert; glaubt nicht, dass Weber nach Berlin gegangen wäre, wohin jetzt Spontini berufen wurde; Weber habe in Dresden gute Verhältnisse, für Spohr seien sie wegen Polledro eher ungünstig; hofft, Spohr bei Schichts Tod auf die Nachfolge Friedrich Schneiders zu platzieren

Incipit

Ew. Wohlgeb. haben mein voriges Schreiben vollkommen so aufgenommen

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz

Überlieferung

  • Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Signatur: Mus. ep. Spohr-Correspondenz 2, 145

    Quellenbeschreibung

    • 1 Bl. (2 b. S.)

    Provenienz

    • 1903: Slg. Donebauer Prag

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • Rychnovsky, Ernst, Ludwig Spohr und Friedrich Rochlitz. Ihre Beziehungen nach ungedruckten Briefen, in: SIMG, Jg. 5 (1903/1904), S. 262–264

Textkonstitution

  • „(dem Faust)“über der Zeile hinzugefügt
  • „öffentliche“über der Zeile hinzugefügt

Einzelstellenerläuterung

  • „… Monsieur Kleine“Hendrik Christiaan Kleine (1785–1839), Geiger und Mitdirektor der Gesellschaft Eruditio musica in Amsterdam.
  • „… Sie damit zufrieden seyn mögen.“Die Rezension erschien in der AmZ, Jg. 19, Nr. 42 (15. Oktober 1817), Sp. 725–728.

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