Friedrich Rochlitz an Friedrich Kind in Dresden
Leipzig, Dienstag, 26. Februar 1811

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Ich setze mich auf meinen Stuhl, Ihnen zu schreiben, wie ich mich gar manchesmal auf den Ihrigen setzen würde, mit Ihnen zu plaudern, wenn wir an Einem Orte lebten – nämlich ohne alle andere Absicht, als eben einmal mit Ihnen zu plaudern, und unbekümmert und unbewußt, was herauskommen werde.

Zuvörderst herzlichen Dank für Ihren frischen, freundschaftlichen Brief, der ganz den alten, mir so lieben Ton, nicht blos anstimmt, sondern festhält. Mit einer Theilnahme, die ich immer gehabt, die aber durch mein eigenes häusliches Glück noch um vieles erhöht ist, lese ich Ihre frohen Ergießungen als Vater und Hausherr. Im ganzen Kreise meiner Bekannten finde ich kein einziges Haus, wo alles so übereinstimmte, alles ganz so wäre, wie es seyn soll, als das Ihrige.

Ein guter Gott erhalte Sie und die Ihrigen auf diesem Wege bis an’s Ende: dann ist’s der Mühe werth, ihn gemacht zu haben, und dann muß sich einmal auch der Wanderstab ruhig und gemüthlich bey Seite stellen lassen. Das alles, und vieles, was sich dabey von selbst versteht, fühle ich anhaltend, und so warm und innig, wie noch nie – selbst nicht als Bräutigam, oder angehender Ehemann und Hausvater. Vorige Woche beging ich meinen Jahrestag in dieser Beziehung. Es waren herrliche Stunden – so herrlich, daß ich davon lieber gar nicht sprechen mag; ich könnt’ es ja doch nicht genügend. Auch haben sich im letzten Monat noch einige große Epochen in meinem Hause angefangen: Minchen hat den ersten Ball betanzt, u. Georg ist als Privatist auf die Nicolai-Schule aufgenommen worden, und beydes zur großen Freude der jüngern und ältren dabey Intressirten abgelaufen. – Gesund und froh sind wir alle. Nachdem ich | jetzt mit den poetischen Blumen für bevorstehenden Frühling zu Stande bin, gehe ich an die realen für Connewitz. Der Garten soll mir werden, wie irgend einer, von nicht größrem Umfang! Ich will sogar alle gemeinen Gemüse und Obstarten ausgehen lassen: lauter Edles und Feines soll mir der liebe Boden tragen, und sauer soll mir’s dabey werden und hübsch Mühe machen, damit es mir recht lieb bleibt.

Genug, und zum Pflug! Der Brutus ist noch nicht ausgedruckt,* so fangen die Leute schon an, mir Angst zu machen – oder vielmehr, sie fangen an, dies zu versuchen, wiewol vergeblich. Vater Wieland, dem davon zu Ohren gekommen, will [dass] das Buch in Jena gedruckt wird, schreibt mir: ob ich denn nicht wisse, daß Cäsar N.s Gott sey – wie dieser ihm, in jener Weimarschen Unterhaltung, selbst erklärt? Selbst Böttiger’n hat der gutmüthige Papa aufgesungen, der nun warnet und sorgt. Ich meyne aber: Vater W. ist ein Siebenziger, und B. ein ächter Dresdner. Wenn man das Buch nur erst selbst gelesen hat, wird man wol andres denken. Noch haben wir ja kein Dekret: die röm. Geschichte soll nicht mehr bearbeitet werden! oder: die ganze Welt soll Cäsar’n als Gott anbeten, und seinen Gegner, nicht nur als solchen, sondern überhaupt, zum Teufel wünschen! Eine Erforschung meines Lebens, meiner Thätigkeiten und Verbindungen, kann das Buch veranlassen, wenn ein unwissender Schelm von Journalisten am rechten Orte davon Lärm machte: weiter aber nichts, so viel ich | irgend denken kann. Und jene Nachforschungen habe ich nie zu fürchten.

Daß Sie zu Ostern nicht zurükblicken, ist schön und löblich, da Sie mit den Tulpen 7 beschließen,* werden Sie diese Zahl wieder zu Ehren bringen. Denken Sie bey der Roswitha an jene poetische und liebenswürdige Nonne? Geben Sie vielleicht auch ihr Leben und ihre Gedichte? Dies hab’ ich einmal selbst gewollt, und liegt es nicht in Ihrem Wege, so thät’ ichs wol noch einmal. *

Wenn nicht unser Arzt verlangte, daß meine Frau nächsten Sommer in ein Bad gehen sollte, kämen wir auf einige Wochen nach Dresden, und da wolten mir Ihre Sprödigkeit schon bändigen – denn eine Sünde ists doch immer, daß Sie mit den Ihrigen voriges Jahr so geraume Zeit hier, und so wenig bey uns waren! Da wir nun aber wol jener Anforderung werden nachgeben müssen, thun wir Ihnen einen andern Vorschlag: Kommen Sie wieder hieher, und, will es ja nicht anders seyn, kommen Sie allein: aber ziehen Sie zu uns nach Connewitz! Das schönste Zimmer, oder, wenn Sie das nicht wollen, jedes andere steht Ihnen zu Diensten, und Sie leben mit uns, wie wir eben selbst leben. Die Stadt ist nahe genug, um mit mir oder ohne mich, so oft Sie wollen, dahin wandern zu können. Ich stehe Ihnen mit Leib und Seele dafür, es soll Ihnen gefallen, und die Zeit wird Ihnen nicht lang werden. Nun, wie wär’ das? Eingeschlagen?

Sobald Ihre Roswitha fertig ist, lassen Sie sie mir zukommen, und erwarten Sie ein Gleiches mit meinen | Denkmalen.* Ich freue mich auf alles, was von Ihnen kömmt, das wissen Sie; und ich bin neidisch, wenn irgend Etwas, das Sie mittheilen, Andern eher bekannt wird, als mir. Becker’n* habe ich für das nächste Jahr nichts gegeben – überhaupt nichts in Taschenbücher. Ich wende die Zeit, die ich sonst zu dergl. Kleinigkeiten verbraucht, jetzt lieber auf andre Liebhabereyen: Garten, Kunstsachen u. dgl.

Nun Adieu! Meine Frau grüßt Sie und Ihre treffliche Friederike aufs freundlichste. Auch an Jungfer Meta mit den klugen, bescheidenen Augen unsern Gruß. Von Herzen Ihr
R.

Apparat

Zusammenfassung

persönliche Mitteilungen und Information über eigene literarische Arbeiten und Kommentierung von Kinds neuesten Publikationen; Einladung an Kind nach Connewitz

Incipit

Ich setze mich auf meinen Stuhl, Ihnen zu schreiben

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz

Überlieferung

  • Textzeuge: Düsseldorf (D), Goethe-Museum (D-DÜk)

    Quellenbeschreibung

    • 1 DBl. (4 b. S. o. Adr.)

    Einzelstellenerläuterung

    • „… Brutus ist noch nicht ausgedruckt,“Erschienen in der Sammlung von Friedrich Rochlitz, Denkmale glücklicher Stunden, Th. 2, Leipzig, Züllichau, Freystadt: Darnmann, 1811, S. 3–186 (zu einer früheren Skizze vgl. ebd., S. X). Laut Wielands Briefwechsel, Bd. 18 (Okt. 1809 – Jan. 1813), T. 1. Text. Bearb. von Klaus Gerlach u. Uta Motschmann, Berlin 2004, S. 243f., Nr. 217 u. Anmerkungen, Bd. 18, T. 2, Berlin 2005, S. 208f. existierte angeblich ein nicht nachweisbarer Einzeldruck bei Frommann in Jena aus demselben Jahr.
    • N.sAbk. von „Napoleons“.
    • „… mit den Tulpen 7 beschließen,“Friedrich Kind, Tulpen, Bd. 1–7, Leipzig: Hartknoch 1806–1810.
    • „… thät' ichs wol noch einmal.“Friedrich Kind, Roswitha, Bd. 1–4, Leipzig: Hartknoch 1811–1816.
    • „… Gleiches mit meinen Denkmalen .“Friedrich Rochlitz, Denkmale glücklicher Stunden, Leipzig, Züllichau, Freystadt: Darnmann 1810–1811.
    • „… bekannt wird, als mir. Becker'n“Wilhelm Gottlieb Becker, Taschenbuch zum geselligen Vergnügen, erschien seit 1791 in wechselnden Leipziger Verlagen, 1809–1814 bei Gleditsch.

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