Friedrich Rochlitz an Friedrich Kind in Dresden
Leipzig, Montag, 9. Juli 1821

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Der Mensch denkt, Gott lenkt! Da hatte ich denn mich so sehr gefreuet, Ende Junii in Dresden, und vor Allem bey Ihnen zu seyn, nach einigen Tagen mich in Schandau anzusiedeln, was ich auch von Seiten meiner Gesundheit wahrlich bedurfte, zumal da ich seit mehr als zwanzig Jahren auch nicht Einen Frühling und Sommer in unserer dumpfen Stadt zugebracht hatte; dort stehet unser gemiethetes Haus leer und bereitet; der Wagen war bestellt und gerüstet; das Einpacken begonnen: und nun wird urplötzlich meine Frau von einem lebensgefährlichen Seitenstech-Fieber, das hernach in eine Brustentzündung überging, befallen; und über mich kömmt, statt der Freude, Sorge und Noth, statt der freyen Bewegung in weiter Natur trübe Haft in enger Stube, statt der Freunde fröhlichem Zuspruch ein beklommenes Zusprechen von mir an meine Kranke, statt der erhofften Beschäftigung im geistigen Beruf nur höchst unerwartete in kleinlichen Angelegenheiten des verworrenen täglichen Treibens. Da heißt’s: Geduld! Und, Gott sey Dank, ich habe sie mir auch nicht eine Stunde rauben lassen, und will sie festhalten, wie lange ich ihrer auch noch bedürftig bleiben möge. Denn noch immer läßt sich da kein Ende absehen. Zwar sind die Hauptübel gehoben; aber die allergrößte Schwäche und eine kaum glaubliche Reizbarkeit der Kranken, die ihr zurück geblieben, wollen noch nicht weichen, ja noch nicht abnehmen: und so bleibt mir gar nichts, als, neben treuer Pflichterfüllung, Ergebung und – nun eben Geduld. Wann ich nun Schandau, wann ich Sie sehen werde, das weiß ich nicht. Wen von unsern | gemeinschaftlichen Bekannten und Freunden Sie sehen, dem theilen Sie dies mit. Mehrere erwarten mich; und ich kann unmöglich jenes mein Lamento mehr als einmal durchsingen. Auch zum diesmaligen Vortrag sage ich nun: Amen! und führe nur noch die an, welche zu sprechen ich vornehmlich versprochen hatte: Tieck, Böttiger, Fanny Tarnow, Weber – ohne damit jenes „wenn Sie sie sehen“ wiederrufen zu wollen. –

Inzwischen bin ich Ihnen wieder monatlich Dank schuldig geworden für Ihre Muse.* Es stehet doch viel Anziehendes darin, und möchte man nur schmälen, daß der Herausgeber nicht öfter auftritt, wüßte man nicht, daß dieser sonst so vieles thut und erschafft und ausbildet. Wo er aber kömmt, kömmt er liebenswürdig; ich beziehe mich z. B. auf das geistreich-possierliche Gedicht wahrscheinlich an die Sylvester-Freunde.*

Daß es Ihnen und Weber’n in Berlin so ausgezeichnet gelungen, freuet mich herzlich, wenn ich mir’s auch gar nicht anders gedacht hatte.* Es müßte ja sonst mit Kräutern zugegangen seyn! aber zuweilen geht’s doch nicht mit Kräutern zu. Ich weiß übrigens nur etwas davon aus der ersten Nachricht in den Berliner Zeitungen.* Was ist das aber mit Webers „Wermuthstropfen?“ und war dieser werth, von ihm selbst öffentlich beachtet zu werden?*

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Wie es mit dem Verkauf meiner „Auswahl“ stehet, weiß ich nicht*: aber tüchtige Leute schrieben mir – freylich bisher nur privatim – überaus zufrieden mit meinem Bemühen. Vor Allem Papa Göthe. Wäre ich jung, so könnte ichs schwerlich lassen, seinen Brief wenigstens Freunden mitzutheilen: so mag er mit den andern blos an meine Erben kommen. Aber freuen darf michs; und Ihnen gestehen, daß michs freut, darf ich auch.*

Ich erinnere mich nicht, ob ich Ihnen schon vom 2ten Bd meiner „Mittheilungen“ geschrieben habe.* Da ich diesmal, aus Mangel an Raum, nur eine ganz kleine Nummer beysteuere, so darf ich gerade heraus sagen: er wird reich und ausgezeichnet, viel bedeutender als der erste, mit dem man doch auch zufrieden seyn konnte. So bin ich denn, fast ohne daß ichs wollte, und ganz anders, als ich dachte, wieder in den literarischen Verkehr hineingekommen, und schwimme und wade darin, aber gern und vergnügt. – An der 2ten Lieferung meiner Auswahl wird frischweg gedruckt. Der Herr gebe seinen Seegen! –

Nun lassen Sie mich aber auch erfahren, wie es Ihnen geht, was Sie auf dem Ambos haben, und was Sie im Schilde führen. Kömmt’s wirklich zum Cid?T Und soll ich meinen alten Refrain vom Raphael wieder anbringen?

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Ich wurde hier gestört und einige Stunden abgehalten. Indeß habe ich Ihnen auch genug vorgeplaudert, und möge nur noch mein freundschaftlicher Gruß an die lieben Ihrigen hier stehen! Von Herzen
Ihr
Rochlitz.

Apparat

Zusammenfassung

Infolge der Krankheit seiner Frau kann er vorerst – wie geplant – nicht nach Dresden reisen, kommentiert den Freischütz-Erfolg in Berlin, erwähnt einen Brief von Goethe, den er bekommen habe, berichtet über den Fortgang seiner jüngsten Publikationen und fragt nach Kinds literarischen Plänen

Incipit

Der Mensch denkt, Gott lenkt!

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Düsseldorf (D), Goethe-Museum (D-DÜk)

    Quellenbeschreibung

    • 1 DBl. (4 b. S. o. Adr.)

    Provenienz

    • Stargardt, Der Autographensammler, Kat. 409 (1938), Nr. 324

Textkonstitution

  • „eine“über der Zeile hinzugefügt
  • „nicht“durchgestrichen

Einzelstellenerläuterung

  • „… schuldig geworden für Ihre Muse.“Die Muse. Monatsschrift für Freunde der Poesie und der mit ihr verschwisterten Künste, hg. von Friedrich Kind. Jg. 1.2. 1821–1822.
  • „… Gedicht wahrscheinlich an die Sylvester-Freunde.“Vermutlich das Gedicht „Vielfache Untreue“ (Für eine Gesellschaft von Dichtern und Dichterfrauen) im 2. Heft des 2. Bandes, May 1821, S. 90–95 gemeint.
  • „… gar nicht anders gedacht hatte.“Die Äußerung bezieht sich auf die Uraufführung des Freischütz am 21. Juni 1821 in Berlin.
  • „… Nachricht in den Berliner Zeitungen.“Erste Rezensionen erschienen am 21. Juni 1821 sowohl in der Königlich privilegirten Berlinischen Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen als auch in Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen.
  • „… selbst öffentlich beachtet zu werden?“Hierbei handelt es sich um das Spottgedicht von Friedrich Förster, das gegen Spontinis Olympia gerichtet war und von dem sich Weber in der Presse distanziert hatte, vgl. die Danksagung für die UA des „Freischütz“ in Berlin, erschienen im Berliner Intelligenz-Blatt, Heft 147 (20. Juni 1821), S. 3372–3373.
  • „… “ stehet, weiß ich nicht“Auswahl des Besten aus Friedrich Rochlitz’ sämmtlichen Schriften. Vom Verfasser veranstaltet, verb. und hg., Bd. 1–6, Züllichau, Darnmann 1821–1822.
  • „… michs freut, darf ich auch.“Goethes Brief vom 21. Juni 1821 ist gemeint, vgl. Goethes Briefwechsel mit Friedrich Rochlitz. Hg. Woldemar Freiherr von Biedermann, Leipzig 1887, S. 248f. dort mit 21. Juni 1811 datiert.
  • „… „ Mittheilungen “ geschrieben habe.“Jährliche Mittheilungen [1]-3., Leipzig: Cnobloch 1821–1823.

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