Carl Maria von Weber an Hinrich Lichtenstein in Berlin
Tonna, Samstag, 17. September 1814

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Mein lieber guter Bruder!

Ich brauche dir wohl nicht erst zu versichern wie wehe mir der Abschied von dir, und meinem guten Berlin überhaupt that, und wie wohlthätig diese Epoche auf meinen Geist und Körper gewirkt hat. ich fühle Drang und Lust zu Arbeit in mir, und meine Ideen haben ihren alten lebendigen Kreislauf wieder begonnen, der Jahr und Tag so erdrükt und abgestumpft war. Meine gröste Sorge sey nun dieses gute Resultat auch zu erhalten, und ich panzre mich im Voraus gegen Übel und Verdrüßlichkeiten aller Art. – das schändliche Regen und Sturm Wetter in dem ich d: 5t Abends abfuhr, verfolgte mich bis Leipzig d: 7t früh um 8 Uhr, und diese 2 Nächte werden lange in meinem Andenken bleiben. Gabains bey denen ich d: 8t zu Mittage aß grüßen dich bestens, und sind noch ganz die Alten. dem H: Hofmeister der mir die Lieder nachgestochen hat,* war ich so glüklich auch ein nachträgliches Honorar von 4 Fried: d: zu erpreßen, und das waren meine ganzen Geschäfte, die Vorbereitungen zu einem Concert auf d: 4t 8ber auf der Rükreise abgerechnet.

d: 8t Abends 10 Uhr fuhr ich nach Weimar wo ich d: 9t um 3 Uhr Nachmittags von eben so schlechtem Wetter begleitet ankam, und zu meinem großen Verdruße erfuhr daß die Großfürstin pp d: 11t schon nach Wien abreise. ich sprach Sie d: 10t noch, und reiste ebenfalls d: 11t ab nach Gotha, nachdem ich vorher mit Mühe und Noth das rükständige Honorar für Silvana eingetrieben hatte*, und ich also diese ganze Reise, als eine Executions Geschichte ansehen kann.      in Gotha fand ich den Herzog auch nicht, dafür aber Briefe von Liebich, die mich himmelhoch beschworen vor d: 29t huj: nach Hause zu kommen, da der Michaeli Termin, wegen neu zu schließender, und aufzukündigender Kontrakte, auf mehrere Jahre ein wichtiger Zeitpunkt sei. dieß alles machte etwas verdrüßlich und ich muß also nun mein Concert in Leipzig im Stiche laßen und von hieraus gerade nach Prag wandeln. d: 12t suchte ich den Herzog hier auf, wo er noch die Schwefelbäder brauchte, und wurde mit aller ordentlichen Liebe und Freude empfangen.

Noch denselben Tag gelang es mir Rombergs Angelegenheit aufs Tapet zu bringen, und dem Herzog darnach den Mund wäßerigt zu machen. Er war gleich mit allem zufrieden, da ich aber weiß daß des Herrn Stimme an jedem Hofe, höchstens die halbe Stimme ist, so wartete ich das Herauscitiren des Grafen Salisch des Intendanten ab, und machte Gestern mit ihm und S: Durchlaucht die Geschichte ab. ich bitte dich daher beyliegenden Brief an Romberg zu lesen, zu siegeln zu übergeben, und – sollte er schon weg sein, sogleich nachzuschikken.

Hier auf dem alten Schloße der Grafen von Gleichen, lebe ich in der stillsten Einsamkeit, und sehe Niemand als den Herzog. | diese Ruhe, in der ich mich so recht sammeln kann, wo die Vergangenheit mit ihrem Treiben und Drängen noch einmal als Schattenspiel an meiner LebensWand vorüber tanzt, – ist mir recht wohlthätig um neue Kräfte und feste überlegte Entschlüße für das bald wieder sich erneuernde TreibJagen im alten Geschäfts Drange zu faßen. d: 13t habe ich 2 Lieder von Körner 4stimmig comp: und gleich recht schmerzlich gefühlt daß ich nicht in Berlin wäre, wo ich sie hätte gleich probiren und hören können.

Morgen geht es nach Gotha zurük. d: 20t spiele ich im Concert bey HofeT, und den 21t gehts fort nach Altenburg, wo ich d: 23t Concert zu geben denkeT und 26t wahrscheinlich ins HauptQuartier Prag einrükken werde.

Wollank den ich immer wo unterwegens zu ertappen hoffte ist wohl nun auch wieder zurük.

Grüße Ihn und alle Freunde recht herzlich von mir.      Schreibe mir wenn du Zeit und Lust hast, und vergieß nicht hübsch die Neuigkeiten unsres Bekannten Kreises zu referiren.

Lebe wohl und Gesund und habe 1000 Dank nochmals für deine liebevolle Brüderliche Aufnahme die ich so wie die Zeit unseres Zusammenwohnens unter die schönsten Errinnerungen meines Lebens sezze, und behalte so lieb wie ich dich dein treuester Bruder
Weber.

Apparat

Zusammenfassung

fühlt sich durch Berlin-Aufenthalt schöpferisch angeregt; berichtet von Reisen nach Leipzig, Weimar, Gotha; erwähnt Vermittlung für A. Romberg; weitere Reisepläne

Incipit

Ich brauche dir wohl nicht erst zu versichern wie wehe

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Leipzig (D), Leipziger Stadtbibliothek – Musikbibliothek (D-LEm)
    Signatur: PB 37 (Nr. 7)

    Quellenbeschreibung

    • 1 Bl. (2 b. S. o. Adr.)

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • Rudorff: Westermanns illustrierte deutsche Monats-Hefte, 44. Jg. (1899), 87. Bd., S. 30–32
    • Rudorff 1900, S. 40–43

    Einzelstellenerläuterung

    • „… mir die Lieder nachgestochen hat,“Hofmeister hatte 1814 ohne Wissen des Komponisten ein Heft mit „Vier Gesängen“ Webers publiziert (Verlagsnummer: 297): zwei Lieder nach Texten von Reinbeck sowie zwei Arien (Nr. 2 und 5) aus Abu Hassan.
    • „… Honorar für Silvana eingetrieben hatte“Weimarer Erstaufführung am 17. Februar 1814, Wiederholungen am 19. Februar und 26. März 1814; vgl. die Theaterzettel im Landesarchiv Thüringen, Bestand Kunst und Wissenschaft – Hofwesen Nr. A 10419/2, Blatt 76, 77 und 93.

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