Aufführungsbesprechung Mannheim: Die Winter-Konzerte zu Mannheim (1)

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Die Winter-Konzerte* zu Mannheim (1)

Das erste unserer diesjährigen Winter-Konzerte, am 15ten d. M.*, berechtigt zur Erwartung, daß dieses an sich so treffliche Institut dieses Jahr eine erfreulichere Ausbeute gewähren werde, als voriges Jahr der Fall war. Sichtbare Anzeichen bessern Einverständnisses zwischen der Hofmusik und dem bedeutendern Theile der hiesigen Dilettanten scheinen diese Hoffnungen zu verbürgen*), und mit Vergnügen ergreift Ref. dieses Jahr die Feder, welche er im vorigen Winter aus dem entgegengesetzten Grunde hatte unberührt liegen lassen, da er lieber schweigt, wo er des Lobenswerthen nicht genug findet.

Eine neue Simphonie (Bdur) des musikalischen Jean PaulBeethoven*, eröffnete den Abend; ein Werk, vom Componisten mit eben der Originalität und Energie ausgestattet, welche die frühern Produktionen seiner Muse bezeichnen, ohne der Klarheit durch Bizarrerien zu schaden, welche manches seiner Werke, vorzüglich z. B. seine Pastoral-Simphonie und seine Eroica, entstellen – ein Werk, welches an Genialität, Feuer und Effekt nur der frühern Simphonie Cmoll, an Klarheit nur der noch ältern Cdur nachsteht – an Schwierigkeit der Execution aber keiner; sie wurde – und dies ist immer kein unbedeutendes Lob – mit großer Kraft, nicht wenig Präzision, und nicht ohne Delikatesse aufgeführt; besonders wohlthätig wirkten die hier noch so gut besetzten Blase-Instrumente: und so war denn auch die Wirkung auf die Zuhörer erwünscht; das Publikum applaudirte jeden Satz, und bewies dadurch von neuem, wie empfänglich es für gute Ensembles ist.

Hr. Eisenmenger und Hr. Arnold trugen Solo-Konzerte* jeder auf seinem Instrumente mit der Virtuosität vor, welche man von diesen Künstlern längst gewohnt ist.

Den Beschluß machte Kapellmeister Himmels Trauer-Cantate auf den Tod Friedrichs von Preußen, eine Composition welche jüngst bey der Todtenfeier des hochseligen Großherzogs Carl Friedrich benutzt worden war, allgemeinen Eindruck gemacht hatte, und welche auch hier zu hören dem Publikum allerdings interessant und erwünscht seyn mußte, eine Composition freilich ohne sehr hohen artistischen Werthe, aber doch von sehr vielem Effekte, weil sie leicht faßlich für jeden, und melodiös, dabey die verschwenderisch starke Besetzung (zwey paar Horne, vier Fagotte, vier Flöten, die Posaunen gar nicht zu rechnen) glücklich benutzt ist, und das Ganze mit einem rauschenden, zum Theil auch feurigen Allegro schließt.

Am meisten der Auszeichnung werth möchte der erste Chor Cmoll seyn, dessen kurze Sopran-Solostellen „Opfert Thränen* ec.“ mit der einfachsten Horn-Begleitung erst in Es dann in Cdur Theilnahme und Rührung erwecken; und das kurze Quartett Gdur (Neuer Lebenshauch erscheint,) – Dann einzelne Stellen des Schluß-Chors, z. B.

Kinder, Gatten, Freunde, BrüderFinden ihre Theuern wieder:Jubelklang füllt ihre LiederStrahlenglanz ihr Angesicht.*

wo die Tonart As wohlthätige Wirkung hervorbringt. Die Ariette mit Chor Bdur 3/4

„Völker die ihn Vater nannten ec.“*

ist wohl etwas zu profan, besonders die wiederholenden Schlußformeln; und der Eingang derselben erweckt eine gar zu naheliegende Reminiscenz an das Duett im ersten Akte der Oper Axur* (gleichfalls B 3/4.) Auch die Baß-Ariette* ist etwas zu alltäglich und obenhin behandelt: Am wenigsten Wirkung that das Duett in Es*, da die Parthieen der 4 Fagotte und 4 Flöten nicht durchgängig mit zuverläßigen Subjekten besetzt, und auffallende Beweise von Unsicherheit Einzelner nicht vermieden werden konnten. Der Choral blos für Blase-Instrumente wurde ausgelassen, und wohl mit Recht, da er nur darauf berechnet ist, den Zeitraum auszufüllen, welchen die Einsenkung das Sarges und die damit verbundenen Ceremonien erfordern.

Im Ganzen sticht das heutige Konzert schon sehr zu seinem Vortheile gegen die vorjährigen ab, und wenn auf diesem Wege fortgefahren wird, wenn das zweite um eben so viel das erste übertrifft, und nach dieser Progression fortgefahren wird, so kann es dem so wieder aufblühenden Institute an Beifall nicht nur, sondern an reeller Theilnahme von Seiten des Publikums nicht, wenigstens gewiß nicht mit Recht, fehlen.

G. Giusto.

[Originale Fußnoten]

  • *). Es war an diesem Tage nicht nur das Orchester bedeutend verstärkt, sondern auch in Beziehung auf Gesang ward den Zuhörern das so selten gewordene Vergnügen zu Theil, Madame Weber, welche seit einigen Jahren von den hiesigen Hofmusik-Akademien sich zurückgezogen und ihr Talent ausschließlich den musikalischen Aufführungen im Museum gewidmet hatte, die erste Sopran-Parthie wieder übernehmen zu sehen. d. H.

Apparat

Generalvermerk

Zuschreibung nach Sige; Sigle

Kommentar: Der Text ist der Beginn einer Serie von drei Kritiken über die Winterkonzerte in Mannheim 1811 (Fortsetzung mit 1811-V-92 und 1811-V-96). Zugleich ist er der Auslöser des sogenannten Diamone-Streits, da eine eingesandte Kritik über dieses Konzert von dem Verleger Kaufmann zunächst nicht abgedruckt wurde, um G. Webers Kritik veröffentlichen zu können, dann jedoch um ein Vor- und Nachwort erweitert als Extrabeilage Nr. 7 zu Nr. 236 (5. Dezember 1811) des Badischen Magazins erschien (vgl. Abdruck im Kom. in Weber-Studien, Bd. 4/1, S. 359–361, Text [I]). Der Kritiker A. Diammone (der in den weiteren Veröffentlichungen als Diamone wiedergegebene Name ist vermutlich in Anlehnung an das griechische διαμονή = Beständigkeit gewählt) lobt die aufgeführten Werke von Beethoven und Himmel, kritisiert aber die beiden Solisten Eisenmenger und Arnold. An Auguste Weber bemängelt er, daß sich ihre etwas durchgreifende Stimme […] besser in einer Kirche als in einem Saale ausnehmen würde. Im Nachwort zu seiner Kritik dechiffriert er dann G. Weber als Giusto; dieser reagierte, in dem er Carl Courtin öffentlich als Diamone dechiffrierte (1811-V-88). Zum weiteren Fortgang des Diamone-Streits vgl. Lemke, S. 293ff. bzw. die Wiedergabe der Dokumente im Kom., Text [I] bis [IV] in Weber-Studien, Bd. 4/1, S. 359–362. G. Weber übernahm diesen Text später in gekürzter Form in seinen Bericht über das Winterhalbjahr 1811/1812 für die AMZ (1812-V-21 Teil 1).

Entstehung

Überlieferung

  • Textzeuge: Badisches Magazin, Jg. 1, Nr. 225 (22. November 1811), S. 897–899

    Einzelstellenerläuterung

    • „Winter-Konzerte“Zur Geschichte der Winterkonzerte vgl. Matthias Roth, Die Entstehung eines bürgerlichen Musiklebens in Mannheim als Voraussetzung der Heidelberger Musikkultur im 19. Jahrhundert, in: Musik in Heidelberg 1777–1885, Heidelberg 1985, S. 30–31 und Lemke, S. 32, Anm. 86.
    • „15ten d. M.“15. November 1811; vgl. den Konzertzettel.
    • „neue Simphonie ( … Paul – Beethoven“Der Vergleich Beethovens mit Jean Paul war erstmals 1807 in einer Kritik der Eroica im Morgenblatt für gebildete Stände gezogen worden; zu diesem Topos vgl. Elisabeth Eleonore Bauer, Beethoven – unser musikalischer Jean Paul. Anmerkungen zu einer Analogie, in: Beethoven. Analecta Varia (Musik-Konzepte, Bd. 56), S. 83–105.
    • „Hr. Eisenmenger und … Arnold trugen Solo-Konzerte“Laut Konzertzettel spielte Erasmus Eisenmenger ein Violinkonzert von Giovanni Battista Viotti und Hugo Arnold zusammen mit Christian Dickhut ein Konzertino für Fagott und Horn von Franz Danzi. Da der Hornist Dickhut nicht erwähnt ist und auch in der zweiten Kritik von Diamone nur von einem Konzertino für Fagott von Danzy (Extrabeilage Nr. 7) die Rede ist, wurde das Programm möglicherweise kurzfristig geändert.
    • „„Opfert Thränen“T. 21ff.
    • „Kinder, Gatten, Freunde, … Strahlenglanz ihr Angesicht.“ T. 61ff.
    • „Ariette mit Chor … nannten ec .“Der Satz ist im Erstdruck nicht enthalten.
    • „Axur“Weder in Axur, noch in Tarare von Antonio Salieri ist im ersten Akt ein Duett in B-Dur enthalten, so daß es sich vermutlich um eine in Mannheim gespielte Einlage handelt.
    • „Baß-Ariette“ „Völker, deren Glück und Friede“.
    • „Duett in Es“Duett Sopran und Tenor „Er ist nicht mehr“.

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