Die Winter-Konzerte zu Mannheim (3)

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Die Winter-Konzerte zu Mannheim. (3)

Den 25ten Dezember 1811.

Auch das heutige Concert schmückte, wie die beiden erstern, wenigstens Ein vorzügliches und neues Ensemble-Stück: Beethovens hier noch nie öffentlich, sondern nur einigemale im hiesigen Museum gehörte Symphonie Cmoll*; Ein Glutstrom, der im ersten Satze als in sich selbst noch zurückgedrängtes nie ganz ausbrechendes Feuer erscheint, im Andante (mehr grandios als weich) nur zu höhern Kraft-Aeußerungen vorbereitend auszuruhen scheint, im 3/4 Tacte des Finale (ein ahnungsvolles pianissimo, nur durch einzeln aufstrebende bald wieder abbrechende Forte’s unterbrochen, und wieder in der Tonart Cmoll) immer mehr die Nähe des endlichen Ueberströmens seiner Macht verkündet, diese endlich nach einem langen spannenden Orgelpunkt auf der Dominante mit dem Eintritte eines breiten 4/4 Tactes in Cdur, in herrlicher Verklärung entfaltet, mit allem Aufwand der prachtvollsten Instrumentirung seinen stolzen Gang wie einen Triumphzug schreitet, die höchste Stufe der Erhabenheit erreicht, und, nach dem mächtigen und breiten, den End-Accord bis zur höchsten Befriedigung wiederholenden Schlusse, im Gemüthe des Zuhörers eine Erhebung zurückläßt, welcher sich der Total-Eindruck sehr weniger anderer Symphonieen vergleichen darf.

Mit wahrhaft einziger Genialität hat Beethoven hier die Contraste verschiedener Tact- u. Tonarten benutzt: – der erste Satz ganz auf ein Thema von 4 Noten auf 2 Tönen gegründet – die hier, und vorzüglich im Andante vorkommenden verlängerten Rhythmen – die im letztern (an sich zwar aus As) mehrmals erscheinenden vorläufigen Andeutungen der Tonart Cdur in den eingeflochtnen Trompetten-Themen, gleichsam voreilende Aufwallungen verhaltnen Muthes – der Anfang des Finale, noch in weicher Tonart, (zwar ziemlich schneller 3/4 Tact, aber darum doch nichts weniger als scherzo,) dessen anhaltendes Piano, in der Folge dessen Wiederholung im dürresten Pizzicato (hier nicht Haydnscher Humor, nicht Beethovensche Bizarrerie, oder Jean Paulscher „Bocksfuß“* sondern mit Besonnenheit berechnet auf Erhöhung der Spannung) – und nach diesem allen denn endlich das vereinte Eintreten aller Bedingungen, welche die höchste Befriedigung zu gewähren vermögen, der vollkommensten Tactart, der breitsten abgerundetsten Rhythmen, der reinsten und befriedigendsten Tonart! –

Die Aufführung war nichts weniger als gelungen zu nennen. Eine Probe mehr würde die Unsicherheiten und Zweideutigkeiten, welche sich bald hier bald dort äußerten, beseitigt haben. Ref. hofft, eine Wiederholung dieses Werkes werde bald dessen weniger getrübten Wiedergenuß gewähren. Auf diesen Fall will er denn im voraus bitten, das erste Allegro doch lieber noch etwas schneller, vorzüglich aber den breiten 4/4 Tact des Finale noch bedeutend langsamer zu nehmen. Der Charakter von Wildheit welcher dem letztern durch Raschheit der Bewegung aufgedrungen wird, ist dem Geiste desselben ganz fremd, entstellt dessen Majestät. Es ist keine Bataille, (wenn gleich ein hoher Sieg) – es ist nicht das Toben des stürmenden Kriegers; es ist das Ueberströmen überschwenglichen Kraftgefühls, bey dem in sich selbst doch ruhigen Bewußtseyn hoher Würde; es ist nicht die Größe der Leidenschaft welche sich hier ausspricht und Funken sprüht, sondern es ist der Geist in seiner höchsten Glorie erscheinend, Strahlen werfend und Glanz weit umher, aber hoch einherschreitend.

Mad. Werner* entwickelte in einer Szene von Paer reine Intonation, Geschmack im Vortrage, und viele Geläufigkeit in Rouladen; mehr aber als in dieser Arie riß sie im 2ten Acte in einem Duette welches sie mit Hrn. Werner* sang, die Zuhörer zu mehrmaligen lauten Beifalls-Aeußerungen hin. Es ist aber auch eine wahre und nur zu seltene Freude, ein so recht zusammen eingeübtes, in allen Stücken welchselseitig einverstandenes und aneinander gepaßtes Zusammenwirken zweier (oder mehrerer) Sänger zu hören, wodurch einzig ein Tonstück beim Vortrage aus Einem Gusse erscheint.

Herr Frey trug ein Violinkonzert von eigner Komposition* vor. Die weiche Kraft seines Tones, die Gleichheit und beinahe einzige Leichtigkeit seines Bogens, und die besonnene Einsicht mit welcher er sich in den verschiedenartigsten Sphären, als Konzertist, als Quartettspieler, als Anführer der Violinen im Orchester, und als Ripienist überall mit gleichem Kunsteifer bewegt, sind hier längst so anerkannt als sie auch dem größern Publikum zu seyn verdienten.

In einem Clarinett-Konzert, ebenfalls von eigener Composition, gab Hr. Ahl* neue Beweise, daß er an Lieblichkeit des Tones, in der Kunst, die Klänge seines Instrumentes in einander zu verschmelzen, worin er es schon so hoch gebracht hat, doch noch immer höhere Stufen erreicht.

Zwischen den Musikstücken deklamirte Hr. Kaibel mit Aktion, Mienenspiel und mehrmaligem Vor- und Zurücktreten um einen oder 2 Schritte, je nachdem mehr oder weniger aufzutragen oder zu imponiren war, Schubarts Hymne auf Friedrich d. Gr.*, König von Preußen. – Er hatte hieran vielleicht nicht gar gut – gewiß aber nicht vortheilhaft, gewählt. So hoch der Name Friedrichs auch in [diesen] Gegenden gefeiert ist, so ist doch ein gemischtes Publikum nicht immer gerade aufgelegt, eine lange Lobrede mit Aufzählung seiner Thaten, rühmlicher Erwähnung der Namen seiner berühmtesten Generale und Staatsmänner, Schwerin, Winterfeld* ec., mit ausharrender Aufmerksamkeit und Geduld zuzuhören, zumal an Orten, wo es sich mehr zum genießen als zum reflektiren versammelt. Eines größern und einstimmigern Beifalls hätte der Deklamator gewiß seyn können, hätte er eine der Balladen gewählt, deren er manche gar gut, oder z. B. die Legende vom h. Petrus und dem gefundenen Hufeisen*, welche er so vorzüglich und einnehmend zu sprechen pflegt. Gewiß hätte ein Vortrag dieser Art mehr das Publikum angesprochen, besonders das heutige, welches selbst während der Beethovenschen Symphonie das laute und halb laute Conversationführen nicht lassen konnte.

Dixi.*

G. Giusto.

Apparat

Generalvermerk

Zuschreibung nach Sigle

G. Weber integrierte diesen Text später, wie bereits die Kritiken über die ersten beiden Winterkonzerte (1811-V-79 und 1811-V-92), in gekürzter Form in seinen Bericht über das Winterhalbjahr 1811/1812 für die AMZ (1812-V-21 Teil 3). Die Rezeption der in der AMZ, Jg. 12, Nr. 40 (4. Juli 1810), Sp. 630–642, und Nr. 41 (11. Juli 1810), Sp. 652–659, von E. T. A. Hoffmann publizierten Rezension von Beethovens Sinfonie Nr. 5 c-Moll op. 67 ist nicht zu übersehen.

Entstehung

Überlieferung

  • Textzeuge: Badisches Magazin, Jg. 1, Nr. 257 (31. Dezember 1811), S. 1025–1026

    Einzelstellenerläuterung

    • „einigemale im hiesigen … Symphonie C moll“Wann Ludwig van Beethovens Sinfonie Nr. 5 op. 67 im Museum gegeben wurde, war nicht zu ermitteln; zum Programm des dritten Konzerts vgl. auch den Konzertzettel; zum Museum vgl. Kom. 1810-V-06.
    • „Jean Paulscher Bocksfuß“Der Vergleich von Beethoven mit Jean Paul war erstmals 1807 in einer Kritik der Eroica im Morgenblatt für gebildete Stände gezogen worden (vgl. auch 1811-V-79). Elisabeth Eleonore Bauer, Beethoven – unser musikalischer Jean Paul. Anmerkungen zu einer Analogie, in: Beethoven. Analecta Varia (Musik-Konzepte, Bd. 56), S. 94, sieht in dieser Äußerung G. Webers erstmals eine positive Abgrenzung Beethovenschen Formsinns gegenüber der Formlosigkeit Jean Pauls.
    • „Mad. Werner“Welche Szene von Ferdinando Paër Corona Werner gesungen hat, war nicht zu ermitteln.
    • „Duette welches sie mit Hrn. Werner“Corona und Friedrich Werner sangen ein Duett von Simon Mayr.
    • „Herr Frey trug … von eigner Komposition“Welches seiner Violinkonzerte Michael Frey spielte, war nicht zu ermitteln.
    • „Clarinett-Konzert, ebenfalls von … gab Hr. Ahl“Welches seiner Klarinettenkonzerte Friedrich Ahl spielte, war nicht zu ermitteln.
    • „Schubarts Hymne auf Friedrich d. Gr.“Christian Friedrich Daniel Schubart, Friedrich der Große. Ein Hymnus.
    • „… und Staatsmänner, Schwerin , Winterfeld“Die Generale Kurt Christoph von Schwerin (1684–1757) und Hans Karl von Winterfeld (1707–1757).
    • „die Legende vom … dem gefundenen Hufeisen“Johann Wolfgang von Goethe, Legende.
    • „Dixi.“Ich habe gesprochen.

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