Max Maria von Weber an Ida Jähns in Berlin
Dresden, November 1848

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[…] Nun aber zu Ihrer Novelle „Die Bräute“. Die Bezeichnung „Novelle“, welche in der modernen Sprache gründlich mißbraucht wird, finde ich für diese Arbeit nicht richtig gewählt; es ist viel eher ein kleiner Roman. Novelle und Roman verhalten sich zueinander wie Ballade und Romanze. Der Unterschied ist fein aber deutlich und nur durch Mißbrauch der Worte verwischt. Die Novelle stellt rasch aufeinander folgende, frappante Fakta in überraschender Folge und unerwarteter Verschlingung vor Augen, ohne sich sehr um die Entwickelung der Handlung aus den Charakteren zu kümmern. Cervantes, Bocaccio sind dafür Muster. Die Neuzeit (Tieck) hat oft dramatisierte Metaphysik Novellen genannt und dabei die „unterhaltende Neuigkeit“ ganz aus den Augen verloren. Der Roman hingegen lehrt uns vor allem Personen kennen und lieben und gewinnt unser Interesse durch die Treue und Geisteskraft, mit der er aus den dargestellten Charakteren die Notwendigkeit der von ihnen erzählten Handlungen und der daraus resultierenden Verwickelungen ableitet. Die Novelle amüsiert durch Tatsachen; der Roman interessiert durch die Bestätigung des Menschengeistes […] Auf der Hand liegt, dass Ihre Arbeit der zweiten Gattung näher liegt als der ersten […] Sie wollen, dass ich offen sei, und ich bin es. – Der Hauptmangel Ihrer Arbeit ist, wie ich glaube, tief in Ihrer eigenen Wesenheit begründet; er entspringt aus Ihrer Eigenschaft, Dinge und Menschen zu schön wiederzuspiegeln; Ihre Hauptfiguren sind zu rein und vornehm. Fassen Sie irgend einen Menschen Ihrer Bekanntschaft, den Sie für Ihre Arbeit brauchen können, fest ins Auge, porträtieren Sie ihn schlechtweg, wie er ist, und suchen Sie womöglich ihn so zu sehen, wie er, nicht beim Tee und im Frack, sondern bei Bier und im Schlafrock ist, und dann lassen Sie uns einmal auch auf seine rauhe Seite einen Blick werfen. Das wird ihn uns mehr kennen und liebgewinnen lassen, als wenn wir ihn stets im Bratenrock und mit den Empfindungen auf der Zunge erscheinen sehen, die man eben in entfernt bekannten Damenkreisen äußert. Ebenso mit den Frauen! Die wollen wir (und besonders in einem von einer Frau geschriebenen Romane) nicht so sehen, wie wir sie täglich selbst bewundern können; sondern wir fordern einen Blick in das Allerheiligste, in das sonst kein Männerauge dringt, in die Plauderei zweier Mädchen im Boudoir oder im Tagebuche, kurz ins wahrhaftige Weiberherz, nicht wie es sich äußert, sondern wie es ist; denn da besteht gerade bei ihm doch ein großer Unterschied. Wer malen will, muß vor allem Nacktes zeichnen können, und wenn Frauen Menschen erscheinen lassen, sei es in Bild oder Wort, so müssen sie sich entschließen, den Menschen anzupacken, geistig wie körperlich. – Sie zeigen uns in Ihrem Buche, mit feinem Sinn gefaßt, die Handlungen Ihrer Personen; diese selbst aber sehen wir nicht immer dabei; denn für meine Empfindung mangelt Ihnen das Plastische. Hier vermögen einfache Epitheta alles, wenn sie, wie sich das bei Ihnen voraussetzen läßt, geschickt angewendet werden. „Ein elastischer Schritt, ein wiegender geschmeidiger Gang, eine runde Bewegung, ein entschlossenes Aufstehen, mit fliegender Röte, mit buschig zusammengezogenen Brauen“ – das sind schwache Beispiele für das, was ich meine, und ich glaube, dass solche Bezeichnungen, wenn sie gehäuft werden, die Darstellung immer malerisch und lebendig machen, weil sie zu Vorstellungen plastischer Art zwingen. Nur unter der Andeutung des Äußeren einer Person kommt die erzählte Rede derselben zu gehöriger Wirkung. Derbheit in den konkreten Schilderungen ist allzugroßer Delikatesse vorzuziehen; denn nur das Kräftige und Naturwüchsige ist schön […]

Apparat

Zusammenfassung

nimmt kritisch Stellung zu ihrer oben genannten Novelle

Incipit

. . . Nun aber zu Ihrer Novelle „Die Bräute“

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Frank Ziegler

Überlieferung

  • Textzeuge: Max Jähns, Friedrich Wilhelm Jähns und Max Jähns. Ein Familiengemälde für die Freunde, hg. von Karl Koetschau, Dresden 1906, S. 311–312

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