Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 19. März 1817

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Am 19. März: Tancredi, Melodramma eroico von Rossini. Zum Erstenmal hörten wir hier diese Oper, welche in Wien sowohl als in ganz Italien mit ungemeinen Beifall aufgenommen wurde, und lebhaft erfreuet war gewiß jedes von dieser trefflichen Aufführung, wo alle rühmlich wetteiferten und wo auch das Auge durch das ausdrucksvolle Spiel, die herrlichen Costumes und die sehr passenden und schönen Dekorationen eben so befridigt wurde wie das Ohr durch die liebliche, an Interesse immer steigende Musik, die frühlingshell, vom jugendlichen Feuer durchhaucht, oft wahrhaft hinreissend ist. Das Rossini, der jüngste von Italiens Tonsetzern, bei so großem Talent und so vielem Geschmack, doch nicht tiefer in die Geheimnisse seiner Musik einzudringen strebt, daß er sich so oft kein Gewissen daraus macht von Andern zu leihen, und daß eben daher seine Werke nie in voller Genialität hinströmen können, nie von gleicher Flamme durchglüht und zu einem originellen Ganzen verschmolzen sind, dies wird der Kenner freilich stets mit Recht bedauern, aber man hört ihm zu wie einem geschmackvollen und jugendlichglühenden Improvisateur, und da begreift man leicht wie er ein Liebling seiner Zeit seyn kann, ob er gleich nur der Zeit, nicht der Unsterblichkeit angehört. Wir behalten es uns vor, nach einem zweiten Hören noch ausführlicher die Musikstücke dieser Oper, welche unstreitig die allervorzüglichste Rossini’s ist, durchzugehen. Heute nennen wir nur als besonders schön und effektvoll: das erste Duett von Tancred und Amenaide, das herrliche Finale des ersten Aktes, wo besonders die Stelle für die 4 Singstimmen ¦ allein, wundervoll schön ist, die ganze Scene im Kerker, wo sowohl die erste Arie Amenaidens als das Duo von Tancred und Argirio und besonders die zweite große Arie Amenaidens mit dem Chor hintreffend und ausdrucksvoll sind, das tiefgefühlte nächste Duett Tancred’s und Amenaidens, und die letzte große Scene und Arie Tancred’s. Eine sehr erfreuliche Erscheinung war es, den trefflichen Kirchensänger Signor Sassaroli in dieser Rolle endlich einmal wieder auf dem Theater zu sehen, da er nicht allein durch den seltnen Umfang seiner Stimme, sondern auch durch seinen schönen Vortrag und sein würdevolles, edles und inniges Spiel, eine wahre Zierde der Bühne ist. Er überwand schnell die Befangenheit der Ungewohntheit, die man erst, mehr an der gedämpften Stimme als am Spiel, bemerkte, und gab diese angreifende Rolle mit eben so viel Gefühl als Anstand. Ist uns auch die Altstimme bei einer Heldenrolle etwas Ungewohntes, so ist doch nicht zu läugnen, daß sie in musikalischer Hinsicht wunderschöne Wirkungen hervorbringt, da sie so mild und kräftig zugleich, zwischen Sopran und Baß steht; sie bringt nicht allein eine Farbe mehr in das Tongemälde, sondern auch ein sanfteres Verschmelzen aller übrigen Stimmen wird durch sie, die Seelenvolle, bewirkt; wer würde dieser höhern Schönheit nicht gern die rohe Wahrscheinlichkeit aufopfern! Sigra. Sandrini sang und spielte mit dem tiefstem Gefühl und der ächtesten Kunst; Sigr. Tibaldi spielte sehr brav und stand außerordentlich gut bei Stimme. Alle Zuhörer sehen gewiß mit Freude der nächsten Aufführung entgegen und erkenne dankbar was für diese Oper gethan wurde.

C.

Apparat

Entstehung

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 79 (2. April 1817), Bl. 2v

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