Felix Mendelssohn Bartholdy an Karl Theodor Winkler in Dresden
Leipzig, Montag, 3. Dezember 1838

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Herrn Herrn Hofrath Th. Winkler Wohlgeboren in Dresden

muß ich vor allem um Entschuldigung bitten, daß ich, Ihnen persönlich unbekannt, mir die Freiheit nehme, diese Zeilen an Sie zu richten; doch hoffe ich, daß Sie es des Anliegens wegen, das der Grund meines Schreibens ist, gütigst verzeihen werden. Es ist hier der Wunsch entstanden, Weber’s herrliche Musik zu Preciosa, welche man hier nur sehr selten und vollkommen gut ausgeführt niemals auf der Bühne hört, in den Konzertsaal zu verpflanzen, um die schönen Töne nicht nach und nach ganz verschwinden zu lassen. Man hat das Beispiel von Beethoven’s Musik zu Goethe’s Egmont, welches ebenfalls vor Jahren durch ein Gedicht von Mosengeil* verbunden, seitdem immer mit Beifall hier in den Konzerten gegeben worden ist, und obwohl mir die Art, wie darin die einzelnen Musikstücke erklärend herbeigeführt werden, persönlich niemals zugesagt hat, so bin ich einestheils darin mit dem hiesigen Publikum im entschiedenen Widerspruch, anderntheils ist wohl die Frage, ob durch eine bessere, sinnigere Dichtung die Wirkung nicht viel größer sein würde. Eine solche zu Weber’s Preciosa zu erhalten, ist nun der Wunsch, der von mehreren Seiten her diesen Winter ausgesprochen worden ist*; nach der Ouverture müßte das Gedicht anfangen, in das Melodrama übergehen (das nicht fehlen dürfte) und so alle die reizenden Chöre, Lieder, die Tanzmusik, die Entreacts zu einem Ganzen verflechten, das etwa den zweiten Theil eines Konzerts ausfüllte. Ich habe nun den Auftrag bekommen, Sie, hochgeehrter Herr, zu fragen, ob Sie eine solche Arbeit wohl übernehmen würden? Wenn Ihnen die Idee überhaupt nicht zusagte, wäre es freilich unmöglich, aber wo nicht, so könnte gewiß Niemand besser ein solches poetisches Gewand erfinden, als Sie, der Sie Weber’s Werke wie seine Person lieben und ehren, und der Sie so recht in seinen Geist dabei eingehen könnten.

Doch bitte ich Sie, der Sache gegen Niemand zu erwähnen, da man es hier gern geheim zu halten wünscht; wenn Sie mir eine baldige Antwort zukommen ließen, so würden Sie mich sehr verbinden. In jedem Falle hoffe ich, Sie verzeihen mir die Belästigung, die ich Ihnen verursache und genehmigen die vollkommene Hochachtung

          Ihres ergebenen Felix Mendelssohn-Bartholdy.

Apparat

Zusammenfassung

erbittet für eine geplante Aufführung in Leipzig eine Textneufassung der Preciosa für den Konzertgebrauch

Incipit

Ew. Wohlgeboren muß ich vor allem um Entschuldigung bitten

Überlieferung

  • Textzeuge: L. H., Ein Brief Felix Mendelssohn-Bartholdy’s, in: Tägliche Rundschau, Jg. 2, Nr. 264 (10. November 1882), S. 1065

    Einzelstellenerläuterung

    • „… durch ein Gedicht von Mosengeil“Der Konsistorialrat Friedrich Mosengeil (1773–1839) schuf seine „declamatorische Begleitung“ zu Beethovens Musik für eine Aufführung in Meiningen und sandte sie am 11. Dezember 1819 Goethe zu (vgl. Goethe-Briefregestnummer 8/1143). Die Texte fanden bereits am 8. März 1821 in Leipzig Verwendung (19. Abonnementskonzert im Gewandhaus, Sprecher: Eduard Stein); vgl. AmZ, Jg. 23, Nr. 15 (11. April 1821), Sp. 240 sowie Nr. 22 (30. Mai 1821), Sp. 392 inklusive Beilage Nr. III.
    • „… diesen Winter ausgesprochen worden ist“Eine Konzertaufführung der Preciosa mit verbindenden Zwischentexten wurde am 30. Oktober 1843 im Leipziger Gewandhaus gegeben; vgl. AmZ, Jg. 45, Nr. 45 (8. November 1843), Sp. 816. Weitere Verbreitung fanden allerdings erst Otto Inkermanns (Pseud. C. O. Sternau) „verbindende Texte“ zu Preciosa, die ab 1850 eine regelrechte Renaissance des Werkes auslösten; vgl. WeGA, Serie III, Bd. 9, S. 259–261.

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