Aufführungsbesprechung Braunschweig: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber, Januar 1822

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Braunschweig. Ausser dem, was das Theater uns an neuen Opern dargeboten hat, lässt sich nicht viel Bedeutendes im Gebiete der Mu¦sik aus dem vergangenen Vierteljahre von hier anführen.

[…]

| An neuen Opern hörten wir, nach der Zurückkunft des Hrn. Kapellmeisters Wiedebein aus Italien, vorzüglich Glucks Meisterwerk Iphigenia in Aulis, welches mit ausnehmendem Fleisse einstudirt war und wobey unsere, in der letzten Zeit meist an Rossini’sche Compositionen gewöhnte Sänger sehr rühmlich bewiesen, wie es ihnen keineswegs fremd geworden sey, ächt deklamatorische Musik vorzutragen. Dem. Fischer war eine sehr würdige Iphigenia, Hr. Wehrstedt ein trefflicher Agamemnon, Hr. Cornet, mit gänzlicher Entsagung seiner Lieblingsmanieren, ein Achilles, wie Gluck ihn fordert, und die Herren Stotz und Berthold, als Patroklus und Kalchas, behaupteten ebenfalls ihren Platz auf eine rühmliche Weise. Die Chöre waren so fest eingeübt, wie wir dergleichen lange nicht gehört hatten, und es that dem wahren Musikkenner recht wohl, eine ältere klassische Musik, welche durch so viele neuere Effektwerke nie verdrängt werden wird, in diesem Sinne und Geiste aufgeführt zu hören. Rossini’s Othello wurde nach Herrn Wiedebeins Rückkunft in den früher ausgelassenen Recitativen nachstudirt, wollte sich aber eben so wenig, wie dessen diebische Elster auf dem Repertoir festsetzen. Dagegen wurde Spontini’s Vestalin, welche hier von innen und aussen gleich grossartig ausgestattet ist, und an ächt klassisches Werk und Wesen erinnert, mehreremale wiederholt, so wie denn diese Oper eine wahre Zierde der hiesigen Bühne ist. – Den ungewöhnlichsten Beyfall erhielt jedoch in der neuesten Zeit Carl Maria von Webers überall mit Triumph auf die Scene gebrachter Freyschütz, ein vom ersten Takte der Ouvertüre bis zum letzten des Schlusschores so genial, käftig und im deutschen Geiste durchgeführtes Werk, dass wir demselben, ausser Mozart’schen Opern, namentlich was die Phantasie betrifft, nichts ähnliches an die Seite setzen können. Die Aufführung dieser Oper übertraf, in Vereinigung mit dem Scenischen, Alles, was wir in ähnlicher Weise bis jetzt gesehen hatten, und es dürfte wohl am rechten Platze seyn, das un¦gemeine Verdienst des Directors der hiesigen Bühne, des Hrn. Dr. Klingemann, welches er bey Herstellung dieser Oper auf eine neue und überraschende Weise bewährte, hier anzuerkennen, da es nur wenige deutsche Bühne[n] geben möchte, die sich eines so kunstsinnigen und praktisch-geübten Führers zu erfreuen haben. Es stand in dieser Oper alles auf seinem richtigen Platze, und man sah deutlich ein, wie jedes Einzelne in seiner Verbindung aus einem allgemeinen Gesichtspunkt angeordnet war. – Noch nie haben wir Hrn. Cornet als Max so einfach und doch so das Herz ansprechend vortragen gehört; Hr. Wehrstedt war ein wilder, kräftiger Casper; Dem. Fischer eine sehr liebliche Agathe und Mad. Schmidt ein neckisch-freundliches Aennchen. Nicht minder verdienen die Herren Günther, (Kilian) Berthold (Erbförster) und Gerber (Fürst) genannt zu werden, und selbst Hr. Devrient der jüng. versuchte sich nicht ganz ohne Glück (wenn man auch hin und wieder dem schüchternen Anfänger nachsehen musste) in der kleinen Partie des Eremiten. Die Chöre griffen bey den meisten Vorstellungen trefflich in einander, besonders musste der Jägerchor im dritten Akte jedesmal wiederholt werden, auch die Ouverture, ein Meisterstück von charakteristischer Durcharbeitung, erhielt fast immer am Schlusse ein lebhaftes, hier sonst ungewöhnliches Bravo. Die Scenerie war meisterhaft gestellt; und wenn es auch hier nicht der Ort ist, darüber weitläufig zu werden, so muss Referent doch bemerken, dass namentlich das wild und schauerlich Romantische in der Wolfsschlucht so zu dem innern Tone des Werkes eingriff, dass der ungemeine Effekt, den das Ganze machte, dadurch ausnehmend befördert wurde. Die Oper ist bereits vierzehnmal gegeben worden, und man verspricht sich noch neue Genüsse nach der künftigen Wiederholung derselben, da mehrere eingetretene Urlaube der Sänger und Sängerinnen für die nächste Zeit eine Unterbrechung gemacht haben. – […]

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbesprechung Braunschweig: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber (ab EA 17. Januar 1822): Sp. 377–378

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Fukerider, Andreas

Überlieferung

  • Textzeuge: Allgemeine Musikalische Zeitung, Jg. 24, Nr. 23 (5. Juni 1822), Sp. 375–379

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