Aufführungsbesprechung Prag, Ständetheater, 24. Juni 1814: Der Brief aus Cadix

Zurück

Zeige Markierungen im Text

Ständisches Theater in Prag.

Am 24. Juni wurde der Brief aus Cadix gegeben. Die Vorstellung war eine der gelungendsten, und erhielt allgemeinen Beifall. Dem. Böhler trat als Amalie auf. Ihr natürliches gefühlvolles Spiel offenbarte Anlagen, die für die Darstellung sentimentaler und tragischer Rollen, bei regem Fleiße und Nacheifrung guter Muster, einst die wahrste Ausbildung hoffen lassen. Das Publikum munterte das versprechende Talent der jungen Künstlerin mit lautem Beifall beim Abgange der dritten Scene im zweiten Act auf, die sie mit inniger Wahrheit darstellte. – Der Justitzrath Murrwall des Hrn. Liebich war eine jener seltenen Darstellungen auf der deutschen Bühne, in denen Kunst und Natur zur sprechendsten Wahrheit sich in Eine Kraft verschmolzen hatte, die Geist und Herz Aller erfreute und bewegte. Ohne hinter der Maske der trübsinnigen Laune eher vorzubrechen, bis sie dem edeln Menschenfreund entrissen ward, ließ uns die düstre Stimmung, die der Künstler mit tiefem Gefühl der inneren Regungen begleitete, nichts Zurückstoßendes empfinden, vielweniger (wie Ref. diese Rolle auf einem Hoftheater vergreifen sah) etwas Pedantisches sehen, sondern sie verhüllte nur die Sonne der Humanität dieses hochherzigen Gemüths, und ließ uns den Edeln von seiner ersten Erscheinung an verehren. Wie sich aber dann sein Herz gegen Mag. Milde öffnen muß, welche reiche Quelle der seltensten | Liebe gegen den verlorenen Bruder strömmte aus seinem Innern! – Die Erzählung dieses bangen Verlustes giebt des Künstlers meisterhafte Darstellungsgabe, so lebendig, daß wir mit dem Auge der Phantasie den Untergang des geliebten Bruders vor Augen zu sehen glauben, und seinen Haß gegen den Urhaber dieses unersetzlichen Verlustes, so wie gegen den unthätig geglaubten Sohn desselben mit ihm fühlen. Eben so verdienstlich entwickelt Hr. L. die Scene mit dem Burgemeister Holm in ihrem menschlichen Uebergange zur Theilnahme an dem Schicksale des Unglücklichen, bis zum wehmüthigen Bekenntnisse des Menschenfreundes: „Glauben Sie mir, es ist kein Vergnügen, einen Menschen zu hassen.“ – Und so tritt der vom Fürsten verkannte Sprecher des Bürgerstandes, mit der Glorie der Unschuld umgeben, zurück unter die Seinen, erträgt die boshafte Kälte und Fühllosigkeit des fürstlichen Commissairs mit musterhafter Geduld, bis der brave Milde den Spruch des Schicksaals über sein Leben in dem mit seinem letzten Groschen eingelösten Briefe bringt. Hier erwacht der Mensch bei der Bosheit des Commissairs, doch kühlt sich des Edlen Wuth nur in der Vernichtung des Leblosen ab. Das „Vergebens“ der Schiffsausrüstung schlägt ihn nun ganz zu Boden, bis ihn Entzücken über des Bruders Ankunft gewaltsam empor hebt, auf die Knie zum Danke gegen Gott stürzt, und er mit nassen Augen Milde bittet, den Brief zu vollenden. In dieser Scene und bis zu Ende des Stücks feiert der Künstler den Triumpf seines großen Talents, das nur vom innern Werthe bekräftigt, die Natur in dieser hohen Wahrheit darzustellen vermochte. Laute allgemeine Anerkennung des Publikums, und einstimmiges Hervorrufen lohnte des Künstlers Verdienst. – Die übrigen Rollen des Stücks waren sehr gut besetzt, und wurden mit vielen Fleiß gegeben. Bürgermeister Holm (Hr. Reineke) spielte mit reger Wahrheit, Mag. Milde (Hr. Manetinsky war ganz der sanfte Menschenfreund des Dichters, Fiskal Leopold (Hr. Löwe) gab seine Rolle mit Innigkeit und Feuer, der alte Christine (Hr. Gerstel) spielte mit herzlicher Theilnahme und Liebe gegen seinen unglücklichen Herrn, und der gefühllose Commissair wurde von Hr. Max so wahr gegeben, daß sich unser Inneres gewaltsam gegen diesen Menschenquäler empörte. Die Kinder Carl und Julchen Junghans spielten sehr natürlich.

Apparat

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Klare, Ina

Überlieferung

  • Textzeuge: Allgemeiner Deutscher Theater-Anzeiger, Jg. 4 (1814), Nr. 34, S. 135–136

Textkonstitution

  • „strömmte“sic!
  • „Urhaber“sic!
  • „vielen“sic!

      XML

      Wenn Ihnen auf dieser Seite ein Fehler oder eine Ungenauigkeit aufgefallen ist,
      so bitten wir um eine kurze Nachricht an bugs [@] weber-gesamtausgabe.de.