Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: 15. bis 22. Oktober 1818 (Teil 1 von 2)

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Donnerstags, den 15. Octbr. Zum Erstenmale: Joconde oder die Abentheurer, kom. Oper in drei Akten, Musik von Nicolo Isouard.

Da diese Oper bereits auf den meisten deutschen Theatern schon ist gegeben worden, so kann ich voraussetzen, daß auch der Inhalt derselben hinreichend bekannt ist, und daher meine kurzen Bemerkungen allein auf die Musik und die Darstellung auf hiesiger Bühne beschränken. Obgleich schon durch frühere Werke empfohlen, begründete der, für die französische Bühne und für sich selbst wirklich zu früh verstorbene Nicolo seinen Ruf vorzüglich durch seine bei allen Layen so sehr beliebte Oper: Cendrillon; ein Werk, welches ich, (und mit mir gewiß Alle, die sich nicht durch unwesentliche Zufälligkeiten blenden, und vom Schwindel des großen Haufens, d. h., derer die nicht wissen was eigentlich wahre Musik ist und seyn soll, mit fortreißen lassen), mag man mich auch einen Ketzer oder Pedanten schelten, durchaus in keiner Hinsicht unter die gediegnen oder gar klassischen Werke (mit welchem Epitheton man jetzt so freigiebig ist) zählen kann. Weit höher steht dieser Joconde an Lebendigkeit, Charakteristik, Plan und sorgsamer Ausarbeitung. Die Musik spricht heitres Leben aus, ist charakteristisch, größtentheils ächt theatralisch und mit Fleiß ausgearbeitet, nur aber mitunter gesucht und gekünstelt. Sehr gut ist die Ouverture, ganz im Charakter der Provencalen. Ferner das Duett im ersten Akt von Robert und Edile, das Quartett im zweiten Akt, von Robert, Joconde, Hannchen und Lukas nebst dem Finale desselben Akts. Der dritte Akt ist unbedeutend. Im Einzelnen finden sich indeß Aehnlichkeiten und Reminiscenzen, die sich eigentlich ein Componist in der Zeit der Blüthe seines Geistes, und noch in der Mitte seiner Laufbahn nicht sollte zu Schulden kommen lassen. So hat z. B. Das erste Terzett von Edile, Mathilde und Lysander: Zum Sieg &c. auffallende Aehnlichkeit mit dem Quartett in Boidieus: Tante Aurore, so wie gegen das Ende mit dem Terzett in Mehuls Schatzgräber und mehreres andere. Doch, man nimmt es jetzt damit nicht so genau, und bei Componisten die Vieles hören, viel und schnell, und dabei mehr für das große Publikum als für die Kunst schreiben, sind dergleichen Anklänge fast unvermeidlich. Die Darstellung war, ohne vollkommen zu seyn, genügend, und das Bestreben aller, der, einem Jeden zugetheilten Rolle ihr Recht zu thun, achtungs- und lobenswerth, auch wo es nicht allemal gelingt. Das Ganze ist sehr combinirt, und erfodert (wie alle französische Lustspiele und kleinere komische Opern) ein durchaus rasches lebendiges Ineinandergreifen, worin nun freilich, wie jeder Unpartheiische mir zugestehen wird, die Franzosen vor allen Nationen einen Vorrang behaupten. Doch auch hierin konnte man bei dieser Darstellung größtentheils zufrieden seyn. Was in Hinsicht des Gesanges im Einzelnen hier und da zu wünschen übrig blieb, wurde durch Präcision und rasches Eingreifen in den Ensemble’s vergütet, was wir vorzüglich unserm trefflichen K. M. von Weber zu danken haben, der auch als Director zum Muster dienen kann.

F.

Sonnabend, am 17. Oct. Maometto.

Sonntag, am 18. Oct. Die Verwandtschaften Lustsp. in 5 Akten, von Kotzebue. Mit vielem Leben und gewinnender Wahrheit.

Montag, am 19. Stille Wasser sind betrüglich. Lustsp. in 4 Akten, nach dem engl. v. ¦ Schröder. Die beiden Demoiselles Radicke vom Theater zu Lemberg gaben die Baronin und die Antonette als Gastrollen. Bei dem Verfolg ihrer Gastspiele mehr von ihnen.

Dienstag, am 20. Oct. Joconde.

Mittwoch, am 21. Oct. Maometto.

Donnerstag, am 22. Oct. Zuerst die Heimkehr, von E. v. Houwald, Trauerspiel in einem Akt. Dann Violinen-Concert nach Rhode, gespielt von Karl Maria von Bocklet aus Prag. Zuletzt hier zum erstenmal: Der unterbrochene Schwätzer, Lustspiel in einem Akt, von Contessa.

Eine wohlbesetzte Tafel mit schmackhaften Schüsseln, von dankbaren Gästen genossen! Alles, was billige Anerkennung des kleinen Trauerspiels schon bei der ersten Aufführung aussprach, bestätigte sich auch dießmal. Alle dabei betheilten Schauspieler gnügten durch erfreuliches Zusammenspiel und tieferes Erfassen der eben so wahr gedachten, als fern ausgesprochenen Situationen. Mad. Hartwig sprach und spielte in den zwei Geständnißscenen an den vermeinten Fremden erst allein, und dann, wo sie vor allen ihre Wahl bestimmt, mit so ergreifender Wahrheit, daß die Rührung mehr durch gemüthliche Zeichen, als bloßes Klatschen sich allgemein bemerkbar machte. Nur möchten wir die treffliche Künstlerin bitten, gewichtige Schlußworte nicht mit sinkendem Tone fallen zu lassen, als: und ich war fern, oder: er aber schwieg. Hr. Kanow gab den Förster Wolfram mit verständiger Mäßigung seiner Kraft, wodurch sein gutes Organ erst wahren Wohllaut erhält. Grade so muß dieser redlich liebende Waidmann, der seinen Geburtstag mit Bibellesen anfängt, erscheinen, wenn Dorners Vorwurf: „und hört ihr dieß denn so gelassen an?“ nicht auch von den Zuhörern gemacht werden soll. Herr Werdy nahm seine schwierige Rolle heute noch leidenschaftlicher. Minder schroff, was man in andern Verhältnissen wohl gewünscht haben könnte, wäre freilich sentimentaler und also auch für die Mehrzahl gefälliger, aber weniger im Charakter gewesen, dessen bis zum Mordanschlag gesteigerte Heftigkeit nur dadurch erklärbar wird. Dieß mag indeß die Bemerkung nicht ausschließen, daß da, wo er schmilzt, wo der Entschluß aufdämmert, selbst Platz zu machen, nicht manches noch weicher, zarter hätte ausgehaucht werden können. Die trefflich motivirte Scene, wo der Becher, von Johannen selbst kredenzt, zum alles entscheidenden Schicksalsbecher wird, that heute ihre volle Wirkung. Schade, daß gleich Anfangs, wo die Tochter, von Dem. Tilly brav dargestellt, so sinnige Deutung über die Blumensprache beim Flechten des Geburtstagkranzes ausspricht, die ersten Verse fast ganz verloren gingen. Die Dichter sollten, wo beim Aufrollen des Vorhangs die ersten Unterredner sitzen, also ruhiger zu sprechen haben, durchaus einige Reihen vorausschicken, die gleichsam als enfans perdus vorangestellt werden könnten. So wie die Sachen einmal stehn, können beim Anfang weder die Schauspieler noch die Zuhörer des Stimmhammers entbehren. – Uebrigens hat uns diese mit so viel Liebe und Treue ausgeführte Wiederholung aufs Neue überzeugt, daß wo die Situation so wahrhaft tragisch ist, der bis zum hochtragischen gesteigerte Vortrag auch in einer Jägerhütte nicht zu pathetisch ist. Oder soll etwa die Kunst in der Natürlichkeit untergehn?

Böttiger.

(Der Beschluß folgt.)

Editorial

Authors

Summary

Aufführungsbesprechung Dresden, Hoftheater: 15. bis 22. Oktober 1818 (Teil 1 von 2), dabei besonders über “Joconde oder die Abentheurer” von Isouard und “Der unterbrochene Schwätzer” von Contessa. Der zweite Teil folgt in der nächsten Ausgabe.

Creation

Responsibilities

Übertragung
Albrecht, Christoph; Fukerider, Andreas

Tradition

  • Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 2, Nr. 265 (6. November 1818), f 2v

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