Georg August von Griesinger an Carl August Böttiger in Dresden
Wien, Mittwoch, 28. November 1821

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Verehrtester Freund,

Der Freund den ich wegen des artistischen Notizenblatts zu Rechte zog, gab mir wenig Trost. Er findet daß der Zwek desselben nicht hinlänglich ausgedrükt sey; ob es nämlich nur ein Anzeigen aller Novitäten im Kunstfache seyn, oder dieselben auch beurtheilen solle? In ersterer Hinsicht wäre ein Blatt wie es Frankreich in seiner vortrefflichen Bibliographie hat, wovon in Paris wöchentlich ein oder zwei Bogen erscheinen, für Deutschland allerdings wünschenswerth; nur centralisire sich in Deutschland nicht alles in Einer Hauptstadt wie in Paris. In zweiter Hinsicht kenne er in Wien nur Einen oder zwei, welche im Stande wären nicht blos Dilettanten sondern wahre Kenner befriedigendes Urtheil über vorzügliche Gemählde, Kupferstiche p. p. zu fällen. Des Kunstgeschwäzes sey nie mehr gewesen als jezt, aber dadurch mache die Kunst selbst keine Fortschritte, und das Publikum bezeuge sich auch ziemlich lau dabei; das dem Morgenblatt beigefügte Kunstblatt gebe oft große Blößen. Die Wenigen welche hier etwas Gutes und Gründliches liefern könnten, seien gar nicht zum Schreiben zu bewegen. Ellmauer* | und Consorten wären rüstiger mit der Feder, aber auch mager an innerem Gehalt. Endlich wiederholte er, daß hiesige Kunsthandlungen ihre VerlagsArtikel gewiß nicht zur Recension nach Dresden einschicken würden.

ich wiederhole Ihnen dieses ebenfalls als treuer Referent, ohne mir ein Urtheil anzumaßen, ob mein Freund Recht hat oder nicht.

Die Fee aus Frankreich* ist jezt ein sehr beliebtes Cassenstük im Kasperle*, ganz auf die hisige Localität berechnet, voll komischer Situationen, in denen Raimund das Zwerchfell der ernsthaftesten Zuschauer erschüttert*.

Heute führt man wieder das Bild auf; der Freischüz wurde vorgestern wieder gegeben*. Lectio lecta placat

Leben Sie wohl. Ihr Gr.

Editorial

Responsibilities

Übertragung
Capelle, Irmlind

Tradition

  • Text Source: Dresden (D), Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek (D-Dl)
    Shelf mark: Mscr. Dresd. h 37:4, Bd. 64, Nr. 95

    Commentary

    • “… zum Schreiben zu bewegen. Ellmauer”Joseph Elmauer, Bibliothekar an der Wiener Akademie der bildenden Künste.
    • “… Die Fee aus Frankreich”Die Fee aus Frankreich oder Liebesqualen eines Hagestolzen, Zauberspiel mit Gesang in zwei Akten von Wenzel Müller, Uraufführung am 23. November 1821 im Leopoldstädter Theater.
    • “… sehr beliebtes Cassenstük im Kasperle”Gemeint ist das Theater in der Leopoldstadt.
    • “… Zwerchfell der ernsthaftesten Zuschauer erschüttert”F. Raimund spielte den Spindelbein; vgl. Allgemeine Musikalische Zeitung mit besonderer Rücksicht auf den österreichischen Kaiserstaat, Jg. 5, Nr. 100 (15. Dezember 1821), Sp. 796.
    • “… Freischüz wurde vorgestern wieder gegeben”Die achte Wiener Freischütz-Aufführung fand am 27. (nicht 26.) November 1821 statt.

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