Carl Maria von Weber und Johann Gänsbacher an Gottfried Weber in Mannheim
Darmstadt, Samstag, 23. Juni 1810

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Lieber Bruder in Musicam.

Das ist ein verflucht angenehmer Wisch aus dem anfänglich keinem Teufel klug wird, ihr habt ja ordentlich mit euren Federn gegen einander und gegen mich armen cantus Firmus contrapunctirt. Gott verzeihe es euch daß ihr mich eben an einer sehr großen wichtigen Arbeit gestört habt. denn das Geschreibsel hat mir, /: wie alles von euch :/ ludermäßige Freude gemacht, und nun habe ich kein Sizleder mehr bis der Seehund der Jürgel das Dings gelesen hat. du mußt wißen lieber Weber, daß ich eine Arbeit auf Voglers Verlangen unternommen habe, die mir viel Ruf, aber auch verflucht viel Hunde über den Leib hezen kann. Er hat daß ich auf Variation Stimmen zu schreiben vergeßen daß Sie für dich componirt, quält meine Seele wie eine unaufgelößte None, Er hat nemlich 12 Choräle von Seb: Bach verbeßert und umgearbeitet*, warum reißt denn du verdammter Kerl just weg wenn man Voglers Pastoral Meße aufführt? die bey Kühnel herauskommen, weist du daß ich dir das sehr übel nehme? und wozu ich einen Vergleichungs Plan und Zergliedrung beyder Arbeiten schreiben soll; der auch schon fertig ist, und den ich dir gar zu gerne zeigen möchte. – jezt schlägt es ½ 10 Uhr und um 10 Uhr spielt Vogler für uns Orgel, daher Valet bis Nachmittag. – Ich habe mit Vogler gesprochen, und du weißt er ist ein curioser Kauz, daher kurz daß er vor der Hand nicht zu euch kommen wird, da die Schönberger noch mehrere Gastrollen giebt*. Er war böse daß er nichts von der Aufführung der Past: Messe* gewußt, er wäre herüber gekommen. Ich habe ihm bey der Gelegenheit Euer Anliegen ans Herz gelegt, er hat sich aber noch nicht bestimmt darauf erklärt. gebt also den ersten Ton in Gottes Nahmen; sobald er sich entschließt zu reisen erfährst du es Augenblikligst. sein unruhiger Geist, daher* kann er nie lange voraus Entschlüße faßen. kommt Ihr doch herüber. die Adreße nach Leipzig ist. an die Redaktion der Zeitung für die Elegante Welt. ich bitte dich es bald zu thun*. den Aufsaz im Corresp:* habe ich nicht gelesen. werde ihn aber aufsuchen. so was eignet sich nicht recht für eine Zeitung. schreibe mir doch den Tag des Museums* bestimmt, vielleicht entschließt sich dann Vogler schnell, zu kommen. ich sterbe schon beynah hier. antworte mir doch auch auf meine Fragen in meinen Briefen.

Post prandium dupplex*. Das war ein Ohrenschmauß! Zum erstenmahle hörte ich heute den Orgldonnerer; ein wahrer Gott, wenn er die tausend Kehlen allein anstimmt; nicht bald ergriff mich etwas so mächtig; unus est Deus, unus est Voglerus.

ganze Thema war das ganze Thema. Wir dupten und stupten, jeder nach seiner Art fleißig; dabey ward die schöne Erinnerung an Manheim oft wiederholt. Das neueste ist, daß Weber diesen Augenblik von seinem g-a-c-d-d nach Hof abrufen, und mit weisen Depeschen dahin abgegangen ist abgieng. Außer unserem kleinen Kreis ist dieß eigentlich das intereßanteste in Darmstadt.

Nun ist der Wisch so angewachsen, daß ich ein Couvert drum machen muß. daher will ich lieber noch hersudeln was mir einfällt. Ich werde vielleicht Voglers Biographie* schreiben /: unter uns gesagt. :/ wenn ich nehmlich so viel Sizleder behalte. ich habe mit der Schönberger Bekanntschaft gemacht, weil ich Sie gerne in mein Concert in Frankf:* haben möchte wo sie Ende August wieder hingeht, zur Herbst Meße. da im Sommer ohne dieß nichts zu machen ist, so will ich mein Concert in Frankfurt auch bis zur Herbst Meße sparen, und dann in der günstigen Jahreszeit meinen Stab weiter sezen. Unterdeßen componire ich noch eins und das andre. Es ist aber als ob man in dem Darmstadt gar keinen ordentlichen Gedanken kriegen könnte ich bin wie vernagelt.      a propos wenn du in dem Aufsaz in die Eleg: Z:* etwas davon erwähnen könntest, daß ich auch in Litterarischer Hinsicht etwas zu leisten strebe, wäre es mir sehr lieb. aber nur bald.      Was hätte ich drum gegeben wenn du heute dagewesen und Voglers Spiel, und Vorlesung mit praktischen Beyspielen über seine Akustick gehört hättest. Gänsbacher schreibt ein kleines Operettchen*. sehr artige liebe Musik, und Beer contrapunctirt an Psalmen*. wenn ich mit V: verreisen sollte*, ist Gänsrich schon instruirt einige Hymnen zu capern.

Nun weiß ich nichts mehr, als daß ich dich herzlich liebe, daß ich hoffe von Vogler etwas für das Museum zu erhalten, und daß ich deine Frau und Bruder Dusch nebst Huth’s herzlich grüße. Schreib bald wieder an deinen Semper idem Weber.

Editorial

Summary

teilt mit, dass er mit der Zergliederung der Voglerschen Bach-Choräle beschäftigt sei; betrifft Harmonischen Verein; plant, eine Biographie Voglers zu schreiben; komponiere zur Zeit Verschiedenes; Zusatz Gänsbachers

Incipit

Das ist ein verflucht angenehmer Wisch aus dem anfänglich kein Teufel

Responsibilities

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Tradition

  • Text Source: London (GB), The British Library (GB-Lbl)
    Shelf mark: Add. 33610 f.46

    Physical Description

    • 1 Bl. (2 b. S. o. Adr.)
    • am oberen rechten Rand 1r Datumwiederholung von Gottfried Weber auf: “10 Juny 23”

    Corresponding sources

    • MMW I, S. 208–209 (Auszüge)
    • Shedlock, John South: “Letters from Weber to the Abbé Vogler and to Spontini”, in: Studies in Music by Various Authors. New York 1901, S. 243–246 (vollständig)
    • Bollert/Lemke 1972, S. 11–12 (unvollständig)

Text Constitution

  • “Er hat”overwritten
  • “und”crossed out
  • “abgegangen ist”crossed out
  • “Post prandium dupplex … intereßanteste in Darmstadt” auf 1r in der unteren Hälfte zwischen jeweils zwei Zeilen Webers eingeschobener Text von Gänsbacher.
  • Semper“Sepper” overwritten with “Semper

Commentary

  • “Er hat nemlich … verbeßert und umgearbeitet”Erschien als: 12 Choräle von Sebastian Bach, umgearbeitet von Vogler, zergliedert von Carl Maria von Weber, Leipzig: C. F. Peters, PN 843; die Einleitung dazu siehe unter Weberschriften.
  • “Schönberger noch mehrere Gastrollen giebt” Marianne Schönberg traf nach längerem Gastspiel-Aufenthalt in Frankfurt zu drei Gastvorstellungen in Darmstadt ein; am 21. Juni trat sie als Belmont in der Entführung aus dem Serail auf, am 22. Juni als Loridan in Paers Camilla und am 25. Juni als Murney in Peter von Winters Unterbrochenem Opferfest vgl. Hermann Knispel, Das Großherzogliche Hoftheater zu Darmstadt von 1810–1890, Darmstadt 1891, S. 294 bzw. die Besprechung Carl Maria von Webers in der Rheinischen Correspondenz Nr. 179 vom 30. Juni 1810, S. 713–714).
  • “Aufführung der Past: Messe” In Mannheim .
  • “sein unruhiger Geist, daher” Hier hat Weber möglicherweise eine Zeile vergessen.
  • “es bald zu thun” Vermutlich ist der u. g. Aufsatz Ueber Heidelberg für die Zeitung für die elegante Welt gemeint, den Weber nochmals anspricht und der in Nr. 139 vom 13. Juli 1810, Sp. 1101–1103 erschien.
  • “Tag des Museums” In Nr. 172 der Rheinischen Correspondenz vom 23. Juni 1810 erschien eine kurze Anzeige, in der die ursprünglich für diesen Tag geplante Aufführung im Museum auf Montag, den 25. Juni verschoben wird.
  • “Post prandium dupplex”„nach dem zweiten Frühstück“.
  • “Voglers Biographie”Dieses Werk ist von Weber tatsächlich in Angriff genommen worden, wie auch der Brief Webers an Gänsbacher vom 9. Oktober 1810 bestätigt. Dass dieser Plan auch über Voglers Tod hinaus bestehen blieb, zeigen die Äußerungen in den Briefen an Rochlitz vom 16. Mai 1814 sowie an Joseph Fröhlich vom 20. Februar 1816. Vermutlich haben die enormen Arbeitslasten Webers in Dresden die Ausführung des Planes verhindert; unerklärlich bleibt aber der Verlust der Aufzeichnungen und Entwürfe zu dieser Biographie. Joseph Fröhlich schrieb 1845 in seiner Biographie des großen Tonkünstlers Abt Georg Joseph Vogler […] (Würzburg: Thein, 1845), S. 4, Anm. 1, Vogler habe die Materialien für die Ausführung dieses Werkes „schon im Jahre 1812 seinem würdigen Schüler Carl Maria von Weber gegeben, welcher es übernommen hatte, die Biographie Voglers zu schreiben. So sagte dieser [Vogler] zu dem Referenten, der ihn um die Mittheilung der erwähnten Materialien ersuchte. Sie müssen sich noch unter den Papieren des sel. v. Weber vorfinden.“ Vgl. dazu auch den Aufsatz über Abbé Vogler sowie (mit fraglicher Zuschreibung an Weber) den Artikel über Abt Voglers Jugendjahre.
  • “mein Concert in Frankf:” Die Pläne zu diesem Konzert ließen sich nicht verwirklichen, vgl. dazu Brief Webers an Gottfried Weber vom 23. September 1810, Brief Webers an Gottfried Weber vom 1. November 1810, Brief Webers an Nikolaus Simrock vom 3. November 1810 und Brief Webers an Johann Gänsbacher vom 7. Dezember 1810.
  • “dem Aufsaz in die Eleg: Z:” Vgl. dazu den Generalvermerk zum Aufsatz Ueber Heidelberg in der Zeitung für die elegante Welt, der nicht von Gottfried Weber, sondern von Johann Gänsbacher stammen dürfte.
  • “Operettchen” In den Denkwürdigkeiten (S. 38) bemerkt Gänsbacher zu dieser Komposition: „Da ich das Buch bey mir hatte und Voglers, Beers und Webers Ansichten, Kenntnisse und Erfahrungen mir dabey von großem Nutzen seyn konnten, begann ich noch in Darmstadt diese Arbeit, die bis auf ein paar Nummern fertig wurde, aber leider nie zur Aufführung kam.“ Zum Arbeitsfortschritt vgl. auch Gänsbachers Brief an die Gräfin Firmian vom 10. Juli 1810.
  • “Psalmen” Nach Becker (Meyerbeer), Bd. 1, S. 592, Anm. 67, 4 komponierte Meyerbeer 1810 den 130. Psalm für Chor und Orchester, sowie für die gleiche Besetzung die beiden Psalmen Des Ewigen ist die Erde und Erhebet, ihr Toren. Es ist jedoch zweifelhaft, ob diese Psalmen hier gemeint sind, denn Ende September schreibt Meyerbeer an Gänsbacher, er habe 12 italiänische Arietten und 6 Kanzonetten komponirt, meine 12 Psalme instrumentirt, und eine italiänische Scene geschrieben, vgl. Becker (Meyerbeer), Bd. 1, S. 76.
  • “verreisen sollte” Laut Tagebuch fuhr Weber am 27. Juni mit Vogler nach Frankfurt, am nächsten Tag weiter über Offenbach nach Hanau, wo Vogler am 30. Juni konzertierte und bei dieser Gelegenheit mit dem Großherzog (gemeint ist der Fürstprimas Karl Theodor Anton Reichsfreiherr Dalberg, der von 1810–1813 Großherzog von Frankfurt war) über Webers Oper Silvana sprach. Nach Gänsbachers Angaben hatte Weber bei diesem Konzert die Register zu dirigiren. Da Dalberg gegen Ende des Konzerts selbst zur Orgel kam, um Vogler ein Fugenthema zum improvisieren zu geben, wird er Weber bei dieser Gelegenheit kennengelernt haben, so dass Vogler vermutlich beim gemeinsamen Souper im Anschluss an das Konzert auf die Silvana hinwies (Denkwürdigkeiten, S. 38).

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