Carl Maria von Weber an Gottfried Weber in Mainz
Prag, Freitag, 2. Februar 1816

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Herzlieber Bruder!

Habe ein mal lange wieder nicht mit dir auf dem Papier geplaudert, an dem Papier in Gedanken aber unzähligemal, wenn ich so allein hokte und arbeitete, und Freundes Rath und freudige aufmunternder Theilnahme bedurft hätte.      Hab in der Zeit manch tüchtiges geleistet und zu Tage befördert. deßhalb wirst du nicht brummen wenn ich nicht eher dazu kommen konnte es dir mitzutheilen.      Nun also zu meiner alten Erzählungsweise nach dem Tagebuche in der Ordnung zurük.

d: 16t 7b 1815 schrieb ich dir zum leztenmale. kurz darauf hatte ich manche harte LebensProbe zu bestehen, welches mich um so mehr angriff, als meine nach der Reise aufgehäuften DienstGeschäfte, Briefe pp alles doch ungestört ihren Gang gehen musten.      ein Großes Glük war die Anwesenheit des guten Triole deßen treffliche Seele, ein heller Stern für mich war. dabey dachte ich so viel möglich an meine Cantate und arbeitete an der Schluß fuge mit Rath und That des guten Hansels*, nachdem ich abermals gesehen und gelesen hatte daß der Marpurg ein Esel sey*.      d: 29t muste ich eine Ariette in den trav: Aeneas comp: /: NB: du must bedenken daß alle Tage von 10 auch oft 9 Uhr bis 1-2 Uhr Probe, und alle andern Tage OpernVorstellung ist :/.      d: 3t 8ber reißte mein Bruder Fritz wieder ab, nachdem er abermals ohne den geringsten Grund wie ein Bombe hieher gefallen war*.      das was ich für Tilgung meiner Schuld für dich bestimmt hatte, muste ich ihm als Reisegeld geben*, und verzeihe also dem unrichtigen Zahler, wenn er dich noch ein paar Wochen warten läßt. ich nehme erst Ende Februar wieder Conv: Geld ein, denn mit den Scheinen kann man kaum lebenT.

Die Proben von Meyerb: Alimelek giengen nun ihren Gang und machten mir gar viele Freude.      d: 5t 8b hielt ich mit Gänsbacher das traurige Henkermahl und d: 6t reißte er ab, begleitet von meinen herzlichsten Wünschen, und aller Freude die ich hier noch zu hoffen hatte.

d: 7t erhielt ich ein[en] langen Brief von Beer aus Paris, worin er viel von großen Arbeiten spricht, ohne zu sagen in was sie bestehen, es sieht immer so aus als fürchte er sich man möchte ihm einen guten Gedanken wegschnappen. übrigens sehr warm und herzlich scheint er endlich thätig in die Welt eingreiffen zu wollen. auch Roek hatte einige Zeilen beygelegt und seinen Eifer für den Verein erneut ausgedrükt. nun muste ich über Hals und Kopf 2 Gesänge für Gubitz in Berlin und für uns, zu einem GelegenheitsStük des JahresTages der Schlacht von Leipzig componiren. — Eine neue Idee auf das Publikum zu wirken trug ich schon lange mit mir herum, die herannahende Aufführung von Alimelek brachte sie zur Reife. ich schrieb die dramatisch musikalischen Notizen für die hiesige Zeitung die dir Gänsbacher zuschikken wird*, da ich nur wenig Ex: bekomen konnte. dieß Unternehmen hat viele Krittler und eselhafte Meynungen erzeugt, aber doch seine Nuzbarkeit bewährt, und ich sezze es seitdem bey jeder neuen Oper fortT. freylich eine Arbeit mehr; aber für das Gute zu wirken ist ja mein Zwekk.      d: 22t 8b also wurde zum 1t male Alimelek gegeben, und – das weitere vide Musik: Z: meinen Aufsaz. seitdem ist er 8-10 mal gegeben immer mit Beyfall.      Nun hatte ich alle Hände voll zu thun diesen Erfolg | Beer, seinen Eltern, Wohlbrük zu berichten, und auch dafür zu sorgen daß es die Welt erfahre. dabey war ich sehr oft unwohl und kaum fähig zu arbeiten. d: 11t 9ber erhielt ich deinen lieben Brief vom 4t konnte aber dann nicht gleich dazu komen ihn zu beantworten da ich d: 12t eine Ballade zu einem Trauerspiel von Reinbek comp: muste. d: 13t einen großen Aufsaz über den Stand unsrer Opern und was dafür geleistet worden seit 2 ½ Jahren.      dann Notizen für den Theater-Almanach in München.      Nun trafen sich die Umstände so daß ich den Entschluß faßte ein Jährliches Concert d: 22t December zu gebenT, und, wo möglich die Cantate dazu zu vollenden. ich arbeitete also außer allen Minuten die der Dienst mir am Tage übrig ließ vom 25t 9ber an alle Nächte bis 2-3 Uhr. wobey mir die Direction von 3 andern ConcertenT noch viele Zeit raubte*, und wurde endlich glüklich zur rechten Zeit fertig.      d: 6t December erhielt ich einen sehr innigen Brief von Beer voll Dank für das was ich für seinen Alimelek gethan.      d: 13t schrieb ich Aufsaz über die Oper von Weigl, die Jugend Peter des Großen.      d: 19t fiengen die Proben meiner Cantate an, und d: 22t endlich gab ich mein Concert. Allo: in E. Simph. von Mozart. dann Arie von Pär, ges:[ungen] von Mad: Grünbaum. dann spielte ich mein altes Concert aus C dur.

2t Theil Cantate. deren Text ich vorher declamiren ließ, und darauf unmittelbar anfangen. die Aufführung war höchst gelungen. Sänger und Orchester wahrhaft begeistert. und ich glaube mich in keinem Effekt verrechnet zu haben. die Wirkung im Publikum war so, wie man sie überhaupt von einem des Enthusiasmuß unfähigen, dem die ganze Begenheit Begebenheit nicht nahe genug lag, erwarten konnte. aber doch pakte es Sie gewaltig und zwang zuweilen den Gang des Ganzen zu unterbrechen. hiebey folgt ein Text*. deßen herrliche gedrängte, kraftvoll verständliche Sprache dich gewiß sehr erfreuen wird, und ein Aufsaz den ich vor einigen Tagen für dich, Beer, Rochliz pp schrieb. Stechen kann ich es nicht laßen weil es zu theuer würde und zu solchen Werken haben die Verleger keine Courage. ich schikke sie aber im Msc: an alle Souverains. vielleicht trägt es doch so etwas. Wenn du mit Simmrok, von dem ich gar nichts höre in Corresp: stehst, so frage ihn ob er nicht etwa Lust dazu hätte.

Die heiligen Tage mit Ihren Concerten für Arme, stürmten nun auf mich ein*. und d: 1t Januar kam Fränzl aus München hier an, wohnte bey mir, und gab d: 12[t] Concert. daß ich ihm alles arrangirte alle Visiten mit ihm machte, und mir so bis zu seiner Abreise d: 15t kein Augenblik für mich übrig blieb, kannst du denken.      Diese Folge von Anstrengungen hatte mich nun aber auch so abgespannt, daß ich beynah krank wurde, und eine Zeit gar nichts vornehmen konnte. nun endlich expedire ich alles rükständige, und natürlich bist du nicht der lezte an den ich denke. Nach diesem getreuen Referat schöpfe ich Athem, und beantworte dann an deinem Brief was zu beantworten ist. — |

Lieber Gottfried mit den Vorschlägen zu Verlängerung des Requiems ist es nichts. könnte man welche machen so hätten wir es gethan; es ist nun einmal so rund in sich abgeschloßen, und dabey muß es bleiben.

Habe Dank für deine freundlichen Worte über meine Lieder*. = in dem Klang der Lieder findet ihr mich wieder* =

Meine Anzeige von dem Frankenhauser Concert steht richtig in der M: Z: ich habe sie selbst erst vor ein paar Tagen bekommen. aber tausendsakkerment was habe ich mich geärgert. ich war so froh einmal ein paar Worte über dich sagen zu können, und — da streichen sie mir das beste weg. vide No: 39 vom 27t Sept: 1815.

bey mir heißt es. = Erfreulich ist es denn, von dem Geistreichen scharf und fest blikenden Gottf. W: in M: pp – zu sehen; und wahrlich sie werden in ihm den wieder erkennen, der mit eben dem Feuer und Kraft zu dem Herzen wie zu dem Geiste zu sprechen versteht. das Te Deum pp – erhalten. S: M: der K: von Pr: sprachen Ihre Anerkennung durch Uebersendung einer goldnen Denkmünze an den Comp: aus, der Verein der Musikfreunde des Oest: Kayserstaates, verlangte es nebst anderen Werken von dem Verfaßer; und hier auf dieser Stelle entspricht es nun besonders – in die Tendenz des Ganzen eingreiffend. – seiner den siegreichen Heeren Deutschl: gegebenen Zueignung ich kann bey dieser Geleg[enheit] ppp.       vergleiche nun.      ich werde Rochlitz mein Mißfallen darüber zu erkennen geben.      Zugleich muß ich dir aber sagen daß die Redact: sich anderweitig geäußert hat, als scheine ihr daß die Voglersche Schule deutlich darauf hinarbeite sich gegenseitig zu heben. – – –

also nimm es so hin und sey nicht böse über sie.      Mein Gott, wirken wir nicht für alles Gute? meine neuesten Arbeiten über Alimelek mögen neuerdings diesen Gedanken gewekt haben, aber die Folge soll beweisen, daß ich das für jedes gelungene Werk zu thun im Stande bin.

Das im Oesterreichischen am meisten gelesene Blatt, ist der Sammler. eine Art Morgenblatt das in alles die Nase stekt. der Redakteur ist der bekannte Ritter von Seyfried in Wien, und schikt man ihm unter der Adresse, an die Redaction des Notizenblattes der Zeitschrift der Sammler in Wien.      es wäre gut wenn du dich damit in Verbindung seztest. ich habe noch aus localRüksichten keine Gelegenheit dazu gehabt. schreibe ihm etwas verbindliches über seine Compositionen und Uebersezzungen.      es sind zwar 2 Brüder aber das thut nichts, Komplimente nimmt jeder gerne für den andern.      auch will ich einen Aufsaz unter meinem Namen besorgen, wie du lieber willst.

Bey allen neuen Werken von mir werde ich die Chronometer Bez: beydrukken, so bald ich nehmlich mir eine gemacht habe.

Ja wohl tausend schwerenoth bey Bezwarzowsky Leyer und Schwert!!!!!!!! o !!!! Ochs !!!!!*

|

Eine Rez: deiner neuesten Lieder op: 19 habe ich in No: 45 der M: Z: gelesen*, und mich sehr über das eine gefreut. Es ist ein Jammer daß hier gar nichts zu haben ist. unsere Geld Verhältniße ziehen eine undurchdringliche Mauer in Litterarischer Hinsicht um uns.      hab auch deine Galanterie gegen den dikken NamensVetter in Berlin und gegen Wagner gelesen*. – an Dahm habe ich auch noch im Sept: 1815 geschrieben, aber seit dem nichts von ihm gehört.

Lieber Bruder wenn uns der Himmel nur wieder einmal zusamen führen wolte. ich gebe zwar die Hoffnung nicht auf, aber es ist noch verdammt weit aussehend. im Sept: a: c: lösen sich meine hiesigen Feßeln und Gott gebe daß ich bis dahin nicht aufs neue erlahme. aber ich habe mir fest vorgenommen viel zu thun und besonders auch viele Vorarbeiten zu meiner großen Reise. nur den Frieden erhalte uns Gott, sonst geht die Kunst ganz unter in den Herzen der Menschen.

Deine liebe brave Gustel grüße aufs innigste von mir, so wie auch alle die deinigen die sich meiner errinnern wollen. das Mainz sizt in einem so verdammten Erdwinkel wo man niemals durchreisen kann. und jezt seine Gedanken gen Frankreich zu wenden rathe ich Niemand, denn wo die Gemüther noch so wakkeln, wakkelt auch die Liebe zur Kunst. die will Ruhe.

Nun gute Nacht, mein vielgeliebter Bruder. Gott erhalte dich und die deinen froh und gesund, und gedenke so oft und so liebevoll als ich deines an dich, an deinen unveränderlich treusten
Bruder Melos.

Ich möchte von Galle des Teufels werden. So eben erhalte ich die Abschrift meines Aufsazzes, die so voll Fehler stekt, daß sie ganz unbrauchbar ist.      doch wil ich es versuchen zu corrigiren du wirst es doch vielleicht verstehen.

Editorial

Summary

berichtet über seine Tätigkeit seit September 1815; betr. Tilgung seiner Schulden; berichtet über Aufführung des Alimelek in Prag; erwähnt verschiedene Kompositionen sowie eine Reihe von publizistischen Arbeiten; berichtet über Vollendung und Aufführung von Kampf und Sieg; betr. Harmonischen Verein; bittet Gottfried, mit der Redaktion des Sammler in Wien Kontakt aufzunehmen; teilt mit, dass er allen neuen Werken Chronometer-Bezeichnungen beidrucken wolle

Incipit

Habe ein mal lange wieder nicht mit Dir auf dem Papier

Responsibilities

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Tradition

  • Text Source: New Haven (US), Yale University, Beinecke Rare Book and Manuscript Library (US-NHub), Frederick R. Koch Foundation

    Physical Description

    • 1 DBl. (4 b. S. o. Adr.)
    • am rechten oberen Rand Bl. 1r Vermerk Gottfried Webers: erh. 9t | Febr | Beantw. 5t May
    • am unteren Rand Bl.2v Notiz von Gottfried Weber (Tinte): “ | Voglers | req. od. T. D.[Requiem oder Te Deum] | (Blei): Schule

    Corresponding sources

    • Bollert/Lemke 1972, S. 71–74

Text Constitution

  • 5“3” overwritten with “5
  • “Begenheit”crossed out
  • “deines”crossed out

Commentary

  • “… und That des guten Hansels”Vgl. die Tagebuchnotiz vom 18. September 1815 sowie Gänsbachers Denkwürdigkeiten, S. 79.
  • “… der Marpurg ein Esel sey”Bezogen auf die Kritik an Marpurgs Abhandlung von der Fuge nach den Grundsätzen und Exempeln der besten deutschen und ausländischen Meister, Berlin 1753, die bereits im Brief vom 16. September dargelegt ist.
  • “… ein Bombe hieher gefallen war”Ankunft Fridolin von Webers in Prag am 13. September 1815; vgl. die Tagebuchnotiz vom Folgetag.
  • “… ich ihm als Reisegeld geben”Zur Abreise nach Halle/Saale und der Höhe der finanziellen Unterstützung vgl. die Tagebuchnotiz vom 3. Oktober 1815.
  • “… die dir Gänsbacher zuschikken wird”Vgl. die entsprechende Aufforderung im Brief an Gänsbacher vom 20. Januar 1816.
  • “… Concerten noch viele Zeit raubte”Es waren die Konzerte am 30. November 1815 von F. Siebert, am 8. Dezember von M. Czegka und am 15. Dezember von M. Janusch und J. Sellner.
  • “… unterbrechen. hiebey folgt ein Text”Gemeint ist der Textdruck: „Kampf und Sieg. | Kantate | zur | Feyer der Vernichtung des Feindes | im Juny 1815 | bei Belle-Alliance und Waterloo. | Gedichtet | von | Wohlbrück. | In Musik gesetzt | von | Carl Maria von Weber. | Prag 1815“ (4 Blatt,8°).
  • “… stürmten nun auf mich ein”Zum Konzert der Tonkünstler-Societät zur Unterstützung von Witwen und Waisen am 25. Dezember 1815 vgl. T.
  • “… freundlichen Worte über meine Lieder”Vermutlich hatte sich Gottfried Weber in seinem Brief positiv über Carl Maria von Webers Vertonungen aus Leyer und Schwert geäußert.
  • “… Lieder findet ihr mich wieder”Letzte Zeile des von Alexander von Dusch gedichteten Liedtextes anlässlich von Webers Abschied von Mannheim, komponiert von diesem am 8. Dezember 1810 unter dem Titel: Des Künstlers Abschied „Auf die stürm’sche See hinaus“ für 1 Sgst. u. Git.od. Pfte, erschienen 1819 als Nr. 6 der bei Schlesinger veröffentlichten Gesänge 0p. 71.
  • “… Schwert!!!!!!!! o !!!! Ochs !!!!!”Anton Beczwarzowsky, Leyer und Schwerdt für Singstimme und Klavier, 3 Hefte: Teil 1 im Selbstverlag 1815, Teil 2 im Selbstverlag sowie bei Schlesinger, Berlin (VN: 167) 1815, nachfolgend noch Teil 3 bei Schlesinger (VN: 507) 1817.
  • “… 45 der M: Z: gelesen”AmZ, Jg. 17, Nr. 45 (8. November 1815), Sp. 750–756.
  • “… Berlin und gegen Wagner gelesen”Vgl. die Rezensionen von Gottfried Weber in AmZ, Jg. 15, Nr. 32 (9. August 1815), Sp. 543f. sowie Nr. 39 (27. September 1815), Sp. 656–658.
  • a: c:abbreviation of “anni currentis”.

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