Carl Maria von Weber an Hinrich Lichtenstein in Berlin
Dresden, Donnerstag, 14. Mai 1818

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Mein lieber Bruder!

Es ist lange her daß ich nicht brieflich mit dir geplaudert habe. aber es gieng nicht, und du weißt ja am besten auch wie das zugeht. Nun aber ein bischen Ruhe in mein Leben und Treiben getreten ist, in so fern nämlich als mich nichts peinigend drängt, so kann ich mir die Freude nicht versagen, dir altem treuen Gevattersmann und deiner lieblichen Hausfrau auch von meinem Glük zu reden, und Mancherley zu erzählen.      d: 22t 8ber 17. schrieb ich dir glaube ich zum leztenmale.      d: 29t wurde endlich Meine Cantate zur Vermählung der Prinzeßin Marianne aufgeführt, und der 30t sah mich schon im Wagen zu meinem Bräutlein eilend, das ich auch d: 31t 2 Meilen von Prag mir entgegen kommend fand. d: 4t 9ber war der wichtige Tag der uns beide zu einer neuen LebensBahn weihte. Unsre Trauung gieng auf höchst einfache und rührende Weise vor sich. ich hatte alle Musik pp verbeten, desto überraschender ergriff es mich als in dem Augenblik wo der sehr brave Geistliche eine treffliche Rede begann, ein feyerlicher Männer Chor von der Orgel herab schallte, und den Eindruk des Augenbliks ungemein erhöhte. Meine ehemaligen Choristen hatten sich diese Freude nicht nehmen laßen, und der Beweiß so fortdauernder Anhänglichkeit erfreute mich sehr. Ein fröhliches Mahl, mit wenigen Freunden beschloß den Tag, und d: 5t pakte ich schon Mutter und Tochter in den Wagen. die Reise über Karlsbad, Bamberg Würzburg pp nach Mannheim wo wir d: 10t ankamen, war sehr angenehm und heiter.      der Abschied von der Mutter mit mehr Faßung als ich hoffen durfte.      Sie lebt geliebt und gut bey ihrem Sohne. Von da giengs nach Darmstadt und Mainz*. das war der einzige bittere Punkt meiner Reise. mit dem liebevollsten Herzen wie ich es vor 6 Jahren von Mannheim mitnahm, kam ich nach Mainz zu Gottfried Weber, und fand leider nicht mehr ganz denselben, überhäufte Geschäfte, isolirt stehen, – hatten ihn in sich selbst befangen, und wir konnten nicht so aufthauen und die alte Zeit zurükrufen, wie ich es gehofft hatte.      Es that mir recht von Herzen wehe, ich hatte mich so sehr darauf gefreut. – – nach 6 verstimmt verlebten Tagen, gieng ich nach Darmstadt zurük*, wo ich nach mancherley überwundenen Hindernißen d: 1t December Concert mit Erfolg gabT.      Einer dringenden Auffoderung zu Folge reißte ich nach Gießen* und gab d: 5t da ConcertT. Ward sehr erfreulich aufgenommen, und unterhielt mich gut. Von da hatten wir heillose Wege bis Eisenach. wurden in der Nacht umgeworfen*, ohne, Gott sey Dank, den geringsten Schaden zu nehmen, und die Wartburg mit ihrer herrlichen Aussicht und Errinnerungen machte Alles wieder vergeßen.      In Gotha empfieng mich der Herzog mit gewohnter Freundlichkeit, und ich spielte bey HofeT. in Weimar sah ich ein schlechtes Trauerspiel Semiramis*, und in Weißenfels machte ich | die persönliche Bekanntschaft des TheaterNapoleons Müllner, bey dem ich einen sehr interreßanten Tag verlebte*.      Leipzig wurde nur durchflogen*, denn mein junges Weibchen hatte große Sehnsucht in ihr Haus, und d: 20t Xbr betraten wir es, zur freudigsten Ueberraschung meiner guten Lina, alles schon so vollkomen geordnet und eingerichtet zu finden. die Reise war etwas herrliches. Wir konnten uns vollkommen und ungestört aussprechen, ich ihr den künftigen Kreiß ihrer Bekannten ausführlichst so beschreiben, daß ihr nichts fremd erschien und Sie alle Verhältniße kannte.

Viele verhaltene Geschäfte, Visiten pp stürzten nun auf mich ein. Viel Verdruß wurde mir bereitet*, und ich war ein paar mal auf dem Punkt meinen Abschied zu fodern. Endlich war alles redlich durchgekämpft, und nun scheint es ruhiger zu sein. In diesem Gewirre drängte mich noch die Nothwendigkeit dem Könige eine Meße zu schreiben.      Eine Arbeit die ich mit Liebe begann, erfüllt von der Größe meines Gegenstandes, und im Bestreben in dieser Gattung nichts gewöhnliches oder mittelmäßiges zu liefern.      Anhaltende Anstrengung ließen mich diese Arbeit d: 1t März vollenden. die d: 8t zum 1t male und d: 24t zum 2t male gegeben wurde. die allgemeine Sensation und Theilnahme die sie erregte, war mir ein schöner Lohn. und der brillanten Ring den mir der König übergeben ließT, konnte mich deßhalb erfreuen weil vor mir kein in seinen Diensten stehender KapellMster sich einer ähnlichen Auszeichnung zu erfreuen hatte.

In dieser stürmischen und Arbeitsvollen Zeit konnte ich recht den Werth des häuslichen Glükes einsehen lernen, das der Himmel mir beschieden hat.      Ein stets fröhlicher heiterer Sinn der meine wunde Seele pflegte und aufrichtete, diese innige Theilnahme und mittragen von Freude und Schmerz, ist mit nichts zu vergleichen.      das Andenken an das Künstlerleben meiner Lina ist so in ihr erloschen, daß es uns beiden oft unbegreifflich scheint. die wahre Bestimmung des Weibes in seiner schönen Häuslichkeit tritt mit seinem vollsten Rechte hell hervor, und ich hätte es nie erwartet daß meine Lina in so kurzer Zeit, eine so thätige einsichtsvolle sparsamme Hausfrau werden würde, die Küche und Markt mit Lust und Liebe behandelt.

Diese innere Ruhe hat mir denn nun auch Gesundheit und heiteren Sinn gegeben, der mich manches bittere gerne und leicht ertragen läßt. und kein Tag vergeht an dem ich nicht den Entschluß seegne meine Lina dem Theater zu entreißen. Auch Sie gefällt sich hier sehr. Wir | leben in einem Kreise geistvoller und guter Menschen, haben bey gebührender Einschränkung unser Auskommen, und genießen freundliche Theilnahme der Königl: Familie.      Zu dem bleibt mir die schöne Hoffnung meine lieben entfernten Freunde auch zuweilen sehen zu können, und somit wäre es wohl Unrecht, nicht Manches unangenehme übersehen zu wollen, daß sich ja doch überall auch findet.       den schönsten Freuden sehe ich auch noch im Laufe dieses Jahres entgegen*, und die Gesundheit die meine gute Lina dabey genießt ist mir Trost und Beruhigung für Sie.      drum kommt und besucht bald einmal Eure Webersleute in dem freundlichen Naturbegabten Dresden. Eine Menge Gastspieler zur Rekrutirung meiner deutschen Oper beschäftigen mich jezt. Ende Juny aber gedenke [ich] nach Pillnitz aufs Land ziehen zu könen, und 5 – 6 Wochen blos meiner Erholung und Komposition leben zu dürfenT. Meine Oper die Jägersbraut, ist zur Hälfte entworfen und soll künftigen Winter in die Welt treten. hoffentlich führt dieses Ereigniß mich auch in deine Arme lieber Bruder. Unsre italienische Oper siecht an Alterschwäche, und es scheint nichts zu ihrer Verjüngung zu geschehen. die KirchenMusik ist feyerlich und grandios, obwohl wir an einige Gattungen gebunden sind.

Nun muß ich schließen mein lieber Alter. Gott schenke dir und deiner herzlieben Victoire Gesundheit mit dem kleinen Mariechen, an Zufriedenheit kanns Euch dann nicht fehlen. Grüßt herzlich das liebe Elterliche Haus, Lauska, Wollank Welpers ppp pp von uns beyden, und gedenkt freundlich
Eurer Euch innigst treu ergebenen Freunde Carl und Caroline Weber

Die Einlage sey so gütig zu besorgen.

Da fällt mir noch meine Kantate ein. Sey so gut sie mir nebst der Uebersezzung* durch die Koch zu schikken*, ich habe hier einige musikalische englische Freunde*.

Editorial

Summary

berichtet über Erlebtes ab 22.Okt. 1817, Heirat und Hochzeitsreise, Besuch bei Gottfried Weber; Konzerte unterwegs; über seine Geschäfte nach der Rückkehr, Messkomposition; über die “Bestimmung seines Weibes”; Gastpiele, Komposition der Jägersbraut; erwähnt engl. Übersetzung der Kantate (JV 190)

Incipit

Es ist lange her daß ich nicht brieflich mit dir

Responsibilities

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Tradition

  • Text Source: Leipzig (D), Leipziger Stadtbibliothek – Musikbibliothek (D-LEm)
    Shelf mark: PB 37, Nr. 25

    Physical Description

    • 1 DBl. (3 b. S. o. Adr.)

    Corresponding sources

    • La Mara, Musikerbriefe aus fünf Jahrhunderten. Nach den Urhandschriften erstmalig herausgegeben. Bd. 2, Leipzig 1886, S. 83–87 (nach einer Kopie in D-B, Weberiana Cl. II B)
    • Rudorff: Westermanns illustrierte deutsche Monats-Hefte, 44. Jg. (1899), 87. Bd., S. 170–171
    • Rudorff 1900, S. 82–87

Text Constitution

  • “so”crossed out

Commentary

  • “… giengs nach Darmstadt und Mainz”Aufenthalte vom 15. bis 19. (Darmstadt) bzw. 19. bis 25. November 1817 (Mainz); vgl. Tagebuch.
  • “… gieng ich nach Darmstadt zurük”Erneuter Aufenthalt laut Tagebuch vom 25. November bis 3. Dezember 1817.
  • “… Folge reißte ich nach Gießen”Aufenthalt laut Tagebuch vom 4. bis 6. Dezember 1817.
  • “… wurden in der Nacht umgeworfen”Vgl. den Tagebucheintrag vom 7. Dezember 1817.
  • “… ich ein schlechtes Trauerspiel Semiramis”Am 13. Dezember 1817 sah Weber in Weimar die EA des Trauerspiels Semiramis in 5 Akten nach Voltaire von Friedrich Peucer (1779–1849), vgl. TB.
  • “… einen sehr interreßanten Tag verlebte”Nach Aufenthalten in Gotha (8. bis 12. Dezember) und Weimar (12. bis 15. Dezember) Besuch in Weißenfels vom 15. bis 17. Dezember 1817; vgl. Tagebuch.
  • “… . Leipzig wurde nur durchflogen”Aufenthalt vom 17. bis 19. Dezember 1817; vgl. Tagebuch.
  • “… Viel Verdruß wurde mir bereitet”Vgl. die Briefe vom 23. Januar 1818.
  • “… im Laufe dieses Jahres entgegen”Das erste Kind, die Tochter Auguste, wurde am 22. Dezember 1818 geboren.
  • “… sie mir nebst der Uebersezzung”Die englische Übersetzung der Kantate „Kampf und Sieg“ hatte Weber am 1. Juli 1816 bei Benjamin Beresford in Auftrag gegeben (vgl. Tagebuch).
  • “… durch die Koch zu schikken”Friederike Koch besuchte im Sommer 1818 mehrere Wochen Webers in Dresden.
  • “… hier einige musikalische englische Freunde”Barham Livius und Washington Irving hatten bei ihrem Dresden-Aufenthalt 1822/23 Kontakte zu einem größeren Kreis von Briten, die in der sächsischen Residenz lebten, darunter der Diplomat John Philip Morier, der von 1816 bis 1825 in Dresden akkreditiert war, und dessen Bruder William, der Legationssekretär Francis Peter Werry, die Familie von Amelia Foster (seit 1820 ein Zentrum der englischen community in Dresden), Capt. Archibald Trotter, Capt. Boyd und Capt. Butler; vgl. Kirby 1950, S. 136 sowie Irvings Tagebücher (Journals and Notebooks, hg. von Walter A. Reichart, Bd. 3, 1970, S. 94ff.). Möglicherweise gab es zwischen deren Bekannten und den von Weber 1818 genannten (bislang nicht nachweisbaren) „englischen Freunden“ personelle Überschneidungen; nachweislich traf er im April 1823 mit Boyd und Trotter zusammen; vgl. Tagebuch.

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