Carl Maria von Weber an Wolf Adolph von Lüttichau in Dresden (Entwurf)
Dresden, Donnerstag, 10. März 1825

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Vortrag an d: I: den H. Kammerherrn v. Lüttichau, die Nothwendigkeit eines neuen Kapelletats betreffend und Vorschläge dazu.

Unterzeichnete fühlen sich durch ihre Pflicht und die Lage der Dinge aufs dringendste veranlaßt E: H: folgenden Bericht über die K. Kapelle ergebenst vorzulegen. Er ist auf jahrelange Erfahrungen und Beobachtungen gegründet, und Unterzeichnete hegen die feste Ueberzeugung dadurch E: H: Wünsche und wahrhaften Wohlwollen für dieses Ihrer Obhut übergebenen Instituts zu begegnen. wenn

Jede Kunstanstalt hat ihre Blüthen und Verfallzeit, daß glückliche Zusammentreffen vorzüglicherer Talente bestimmt die erstern, und die leztere wird herbei geführt, wenn diese Talente anfangen stumpfer zu werden, durch jüngere noch nicht eben so gerechte ersezt werden müßen, und dadurch die ursprüngliche Einheit des Ganzen verlohren geht.

Eben so wechseln mit der Zeit und ihren Eigenthümlichkeiten, auch die Foderungen der Kunst, und des öffentlichen Lebens.

Was früher hinreichte schon einen recht brauchbaren Künstler zu bilden, genügt kaum mehr für alle; und eben so wenig sind die vor geraumer Zeit bestimmten Geldverhältnisse mehr dem jetzigen Leben genügend.

Es scheint daher unumgänglich nöthig von Zeit zu Zeit eine allgemeine Sichtung und neue Feststellung alles Ganzen vorzunehmen, soll es sich auf der ihm von der Welt einmal zugetrauten Höhe erhalten.

Der vor vielen Jahrzehenden festgestellte Gehalt mit welchem ein Musiker in die K. Kapelle tritt, ist in der jetzigen Zeit so unbedeutend geworden, daß er sogar mit dem Lohn der dienenden Klaße auf einer Linie steht, und ganz als der Würde eines Königl: Instituts unangemeßen erscheint.       Es folgt hieraus daß die Familien der gebildeten Mittelklaße Bedenken tragen Ihre Söhne zur Musik zu erziehen, und die Auswahl zur Ergänzung der Mitglieder der Kapelle beschränkt sich von Jahr zu Jahr mehr in Beziehung auf vorfindliche allgemeine Bildung und jenes anständige Benehmen daß von einem K. Kammer Musiker mit Recht zu erwarten steht.

Die Kleinheit der Besoldungen macht auch, daß Musiker die nicht noch hier in loco ihre Familie haben, und von ihren Eltern Unterstützung hoffen können, dem bittersten Mangel preißgegeben sind, kümmerlich mit Stunden geben ihr Leben fristen müßen, und so die schönste Zeit ihres Lebens verliehren müßen, in der sie sich nur einigermaßen freyer von Nahrungssorgen zu Künstlern des allerhöchsten Dienstes würdig hätten ausbilden können. Früher wurde den Musikern eigends von dem H. Maitre de plaisir untersagt, ihre Zeit mit Stunden geben zu verliehren, und alle der Vervollkommnung ihrer Kunst zu widmen, jezt werden sie auf den Erwerb durch Unterricht angewiesen, jezt, wo der wenigstens vereinfachte Dienst, ihnen nicht eine sichere freye Stunde sicher giebt.

Freunde kann man aus oben berührten Grunde nur mit bedeutend höherm Gehalt für uns gewinnen und ein jedes Ereigniß der Art, hat immer etwas schmerzliches für die Landeskinder, sei der Gewinn für die Kunst noch so sehr von ihnen erkannt.

Seit der Vereinigung des deutschen und italienischen Theaters, und überhaupt seit dem lezten Jahrzehend haben die Dienstleistungen der Kapelle sich zu einer höchst drükenden Last vermehrt, welche sowohl durch die Zahl der Dienstleistungen als durch das ermüdende derselben den neuern Musiken gemäß. der Aufwand von InstrumentalMaßen und der ermüdende alle menschliche Kräfte in Anspruch nehmende Gebrauch derselben in den / fast durchaus großen / neuen Opern, die zahllosen Melodramen, Schauspiele mit irgend einen Chor oder Tanz geschmükt, die Musik zu den gewöhnlichen Schauspielen selbst. Die Beschränktheit und der öftere Wechsel des Opernpersonales wodurch unzählige Proben nothwendig werden pp Dieß alles kann nur dadurch etwas ausgeglichen werden, daß die so sehr angestrengten Künstler, doch nun einigermaßen vor Nahrungssorgen geschützt werden wenn sie das Glük erhalten sich S. Majestät Diener nennen zu dürfen.

Unterzeichnete erlauben sich nach diesen allgemeinen Bemerkungen zu einer Darlegung des Zustandes jeder einzelnen Branche der Kapelle überzugehen, indem sie es wagen, ergebenst und unvorgreiflichst Vorschläge beizufügen, wie nach ihrer besten Ueberzeugung und reiflichen Erwägung der Talente, Dienstzeit und anderer zu berücksichtigenden Umstände der Individuen das Ganze gestaltet werden dürfte.

Sie gehen von dem Grundsazze aus daß unter einer Besoldung von 300 rh Niemand nur einigermaßen bestehen könne, und haben im Durchschnitt einen Maßstab angenommen der für den Augenblik vielleicht Manchen scheinbar zu schnell in Vortheil sezt, der aber auf die Berechnung eines gewißen Gleichgewichtes begründet, und auch dem Verhältniß andrer Königl: Kapellen angemeßen ist. Auch wird es nicht überflüssig sein zu bemerken nöthig, daß früher jederzeit die Ersten jedes Instruments 600 rh hatten, auch Besoldungen von – 800 – 1000 – 1200 rh, nichts ungewöhnliches waren, wie zu B: Besozzi, Prinz, Tricklir p p Besozzi*.

Der, den eigentlichen Stamm eines Orchesters bildende Theil, die Violinen und Bäße, ist gegenwärtig mit die schwächste Seite der K. Kapelle*.

Mancherley Individuen von höchst schwachem Talente sind hier durch Verhältniße eingedrungen, gegen die die Pflichtgemäßen Bitten und Protestation der KapellMst: unwirksam blieben.

Bei der großen Schwierigkeit der neuen Musik ist es daher natürlich, daß immer nur die Fähigern zu einem OpernOrchester ausgewählt werden, so daß fast der Ganze Dienst allein auf dem unten Bezeichneten, etwa der Hälfte des Ganzen, ruht, wodurch ein Mißverhältniß entsteht, über welches die Beteiligten mit Recht klagen, während die Dirigenten, wollen sie die Musiken zur Zufriedenheit des allerhöchsten Hofes ausgeführt wißen, nicht anders zu Werke gehen können.

Unterzeichnete haben es vorgezogen, die wahrhaft brauchbaren zu bezeichnen, um einer ermüdenden Liste des etwaigen Mangels an Fähigkeit, des Altersschwäche, oder Gesundheitsschwäche pp u. übrigen auszuweichen.

Editorial

Summary

setzt seinem Dienstherrn die finanziellen Bedingungen der Kapelle auseinander, geht auf die niedrige Besoldung der Musiker ein, Vermehrung der Dienstleitungen, nennt Mindestlöhne, die vorausgesetzt werden

Incipit

Unterzeichnete fühlen sich durch ihre Pflicht und die Lage der Dinge aufs dringendste veranlaßt

General Remark

Laut Tagebuch begann Weber mit dem Entwurf am 18./20. Januar, studierte am 27. Januar die entsprechenden Akten und setzte die Arbeiten vom 21. bis 23. Februar 1825 fort. Es folgte eine Besprechung mit F. Morlacchi am 1. März und die Absendung der Reinschrift (vgl. Tagebuch).

Responsibilities

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Tradition

  • Text Source: Draft: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Shelf mark: Mus. ms. autogr. theor. C. M. v. Weber WFN 6 (VI), Bl. 49r u. v

    Physical Description

    • auf dem Ms. links neben Textbeginn Titel: “Vortrag an d: I: den H. Kammerherrn v. Lüttichau, die Nothwendigkeit eines neuen Kapelletats betreffend und Vorschläge dazu.”
    • Incipit: “Unterzeichnete fühlen sich durch ihre Pflicht und die Lage der Dinge”
    • keine Datierung in A (vgl. Generalvermerk)
    • 1 Bl. r und v, Format 33,1x20,6 cm, WZ: DRESDEN, Kettlinien ca. 2,5–2,7 cm; im Entwurf von Weber auf Bl. 49v durch Nummerierung Umstellung der Textabschnitte; beiliegend Kopie (Übertragung des Textes) von fremder Hand; 2 DBl. m. 6 b. S.; in handschriftlichen Schriften-Verzeichnis von Jähns ohne Datum an der Stelle

Text Constitution

  • dadurch“Hochdenselben” crossed out and replaced with “dadurch
  • “wenn”crossed out
  • “… vor geraumer Zeit bestimmten Geldverhältnisse”Satzbau von Weber durch Markierung nach dem Schreiben geändert
  • Höhe“Kunst” crossed out and replaced with “Höhe
  • “mit”added above
  • auf einer Linie steht“oft gewiß gleich kommt” crossed out and replaced with “auf einer Linie steht
  • “gewiß”uncertain transcription
  • “als”added in the margin
  • “vorfindliche”added in the margin
  • “von”added above
  • macht“nöthigte” crossed out and replaced with “macht
  • “noch”crossed out
  • “müßen”crossed out
  • “Früher wurde den … Stunde sicher giebt.”added in the margin
  • “sichere”crossed out
  • oben berührten“diesem” crossed out and replaced with “oben berührten
  • “uns”sic!
  • haben“sind” overwritten with “haben
  • “sich”added in the margin
  • “welche sowohl durch … neuern Musiken gemäß.”added in the margin
  • “welche”crossed out
  • “ermüdende”crossed out
  • “alle menschliche Kräfte in Anspruch nehmende”added in the margin
  • “die Musik zu … gewöhnlichen Schauspielen selbst”added in the margin
  • etwas“einigermaßen” crossed out and replaced with “etwas
  • werden“sind” overwritten with “werden
  • “der Talente, Dienstzeit … Umstände der Individuen”added in the margin
  • zu berücksichtigenden Umstände“Rücksichten zur” crossed out and replaced with “zu berücksichtigenden Umstände
  • “… ”Der folgende Abschnitt (bis Besozzi) befindet sich im Entwurf am Schluß des Antrags und wurde von Weber durch Markierung mittels Nummerierung der Abschnitte vorgezogen.
  • wird es nicht überflüssig sein“scheint” crossed out and replaced with “wird es nicht überflüssig sein
  • “nöthig”crossed out
  • “Besozzi”crossed out
  • Besozziadded inline
  • ist“sind” overwritten with “ist
  • “mit”added above
  • Verhältniße“Protektion” crossed out and replaced with “Verhältniße
  • “etwa der Hälfte des Ganzen”added in the margin
  • s“S” overwritten with “s
  • “einer”added above
  • ermüdenden“zu vermeidenden” crossed out and replaced with “ermüdenden
  • “des”added above
  • “schwäche”crossed out
  • “u. übrigen”crossed out
  • auszuweichen“zu vermeiden” crossed out and replaced with “auszuweichen

Commentary

  • “… , Tricklir p p Besozzi”Gemeint ist wohl der Oboist Carlo Besozzi (1766–1810), der Vater des unter Weber tätigen Kontrabassisten Joseph Besozzi.
  • “… schwächste Seite der K. Kapelle”Bereits am 9. September 1824 hatte Weber im Tagebuch ein Probespiel von sechs Geigern notiert, bei dem zwei zur Aufstockung der Hofkapelle (zunächst wohl noch ohne formale Anstellung) ausgewählt wurden: Johann Samuel Pfeiffer und Joseph Töpler. Auch die am 28. Oktober 1825 im Tagebuch notierte „Probe der Geiger“ könnte einem ähnlichen Zweck gedient haben.

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