Aufführungsbesprechung Mannheim: “Titus” von Wolfgang Amadeus Mozart am 21. März 1811 in Mannheim

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Hof- und National-Theater in Mannheim.

Donnerstag, den 21. März: Titus, ernsthafte Oper in 2 Aufzügen, Musik von Mozart.

Ein höchst erfreuliches Wiedersehen gewährte uns das Auftreten der Madame Schönberger als Titus, der Sängerin welche in unsern Mauern geboren, auf unserer Bühne ihre ersten Keime entfaltete, dann unter Crescentini’s warmen Sonnenblicken der Kunst in Wien schnell herangereift, sich jetzt der kleinen Schaar der Auserwählten glänzend zugesellt, und als Künstlerin des ersten Ranges überall wo sie auftritt ungemeßnen Beifall erntet. Nicht leicht mag je einer weiblichen Kehle eine schönere von Rundung und Fülle der Kraft strotzende und doch so melodisch-weiche und die Seele ansprechende Stimme verliehen seyn: recht eine Alt-Stimme im eigentlichen Sinne des Worts. Ihre Stimme ist groß und pathetisch, und die Töne schreiten nicht auf dem niedrigen Soccus, sondern auf dem tragischen Cothurn einher: ihr natürlicher Umfang ist etwa g bis c’’ d’’, durch Falsett setzt sie in der Höhe noch bedeutend zu, und durch Kunst gelingen ihr auch in der Tiefe wohl noch f und selbst es. Ihr Portament, ihre Sicherheit und Gewandtheit sind unverbesserlich, ihr Vortrag beinahe durchgängig voll Seele und Geschmack, ohne daß die Deutlichkeit und Vernehmlichkeit der Aussprache etwas dabei verlöre, welches leider so häufig bei großen Sängerinnen (und andern) der Fall ist.

Beim ersten Hervortreten begrüßte sie ein verdientes Willkommen der Anwesenden, und auch am Ende des Stücks wurde ihr das „Fora“ zu Theil.

Die heutige Darstellung gehört im Ganzen nicht unter ihre besten, und weit mehr waren ihr bei ihrer letzten hiesigen Anwesenheit vor etwa einem Jahre Tamino, Lynceus und Loredan* gelungen.

Ueberhaupt ist es aber wohl ein unschätzbarer Verlust für die Kunst, daß eine Sängerin welche so sehr vollendete Altistin ist, beinahe nie Alt sondern, besonders seit einiger Zeit, immer und ausschließlich Tenorrollen singt; Ref. bemerkt es weniger, daß ein weiblicher Titus mit schwarzem Backen- und Schnurrbart schon an sich etwas naturwidrig und nicht eben ästhetisch wahrscheinlich ist, – nein, die Hauptsache liegt in dem musikalischen Mißverhältnisse, in dem Eingreifen und Einzwängen in die Sphäre einer andern Stimmgattung, in welcher ihre Stimme sich unmöglich so frei und natürlich bewegen kann, als sie in ihrer eigenthümlichen es könnte. Frappant ist es freilich, und Bewunderung verdient gewiß die Fähigkeit, die Grenzen des Gewöhnlichen mit so vieler Sicherheit und so sehr und weit überschreiten zu sehen, als Mad. Schönberger hier zu thun vermag. Allein ist das schwerste und unnatürlichste auch das schönste? was würde man von einem Tenoristen sagen, welcher Altrollen zu singen vermöchte und in Weiberkleidern erste Liebhaberinnen sänge? Wer würde es nicht unnatürlich finden, wer es nicht für ein musikalisches Mißverhältniß taxiren? und doch müßte jener wenn er eben so guter Tenorist als Mad. Schönberger vortreffliche Altistin ist, auch eben so sehr frappiren und gefallen: denn das Ungewöhnliche ergreift die Menge, und wahr ist, was Vult seinem Bruder Walt sagt:

„Daß das Publikum z. B. einen Maler sehr gut bezahlt und recommandirt, der aber etwa mit dem linken Fuße pinselte, oder einen Hornisten, der aber mit der Nase bliese – – Ich gab einmal einem Fagottisten und einem Bratschisten, die zusammen reis’ten, den Rath, ihr Glück dadurch zu machen, daß der Fagottist sich auf dem Zettel anheischig machte, auf dem Fagott etwas Bratschen-gleiches zu geben, und der andere auf der Bratsche so etwas vom Fagott.“*

Es ist nicht zu läugnen, daß Mad. Schönberger einen großen Theil des Beifalles, welchen sie erntet, dem Auffallenden und Ungewöhnlichen zu danken hat; allein das ist es eben, was eine Sängerin ihres Ranges nicht bedarf, welche, in der ihr eigenthümlichen Sphäre, nicht verdienter bloß, sondern auch gewiß noch herrlicher glänzen und noch ungetheiltern Beifall ernten könnte.

Auch die tiefste Weiberstimme, Alt oder Contra-Alt, erreicht nie die Tiefe der höchsten Männerstimme, des Tenors. Der natürliche Umfang beider ist ungefähr folgender:

Alt – – – g a h cdefgahc’’ d’’ e’’

Tenor: c d e f g a h cdefga

der Unterschied beträgt etwa 4–5 ganze Töne, welche der Tenor unten, der Alt oben, mehr hat: die höchsten Bravour-Töne des Tenors, welche Anstrengung erfordern und eben darum bei leidenschaftlichen Stellen zum Durchgreifen und Einschneiden vorzüglich benutzt werden, sind für den Alt die bequemsten Mitteltöne, und umgekehrt sind die bequemen und gelaßnen Mitteltöne des Tenors schon tiefe Bravourtöne für die Altistin, welche also, wenn sie Tenorrollen singt, (die, wie natürlich, sich doch größtentheils in den Tenormitteltönen aufhalten) im ganzen sich immer ausser ihrer natürlichen Mittel-Sphäre in den unbequemsten für sie tiefsten Regionen herumtreiben, und da, wo der Componist an keine Bravour dachte, in tiefen Bravourtönen wühlen muß. Dies letztere mag denn wohl der Grund seyn, warum meistens ein großer Theil der Zuhörer glaubt, Madame Schönberger singe tiefer als Tenor, weil nemlich das, was sie singt, für sie weit tiefer ist, als für den Tenoristen, für den es geschrieben ist, – das heißt wohl mit andern Worten, tiefer als es seyn sollte, und daß auch die Ungelehrtesten finden, daß es wenigstens anders klingt, als wenn es ein Tenorist sänge – folglich doch eigentlich nicht so wie es klingen sollte.

Referent verkennt nicht, daß wohl großentheils der Mangel an vorhandenen bedeutenden Altrollen in unsern gegenwärtigen Opern Mad. Schönberger genöthigt haben mag, ihre Zuflucht zu Tenor-Partieen zu nehmen; allein sollte sie dann nicht wenigstens sich die einzeln stehenden Arien um 2–3 Töne transponiren, und überhaupt ihre ganze Partie lieber, mit möglichster Beibehaltung des Charakters, etwas umschreiben lassen, welches immer noch besser wäre, als das erzwungene, ihrer Stimme frühes Verblühen bringende, und zuweilen doch ganz unmögliche Beibehalten der Tenor-Lage; – oder wäre es nicht vielleicht noch geeigneter, lieber junge Baßrollen zu übernehmen, und sie im Alt zu singen, welches ein weit geringerer Mißstand und wenigstens eben so natürlich wäre, als wenn eine Sopranistin Tenor-Arien singt, oder ein Tenorist Sopran-Arien; eben so natürlich, als wenn, wie wir täglich hören, Sargino*, welcher doch für Tenor geschrieben ist, von einer Sopranistin gesungen wird. Würden nicht z. B. Don Juan, – etwa der Herzog in Camilla, – Figaro* u. a. m. mit gehörig angebrachten geringen Abänderungen, ihrer Stimme günstiger seyn, als je eine Tenor Parthie es seyn und werden kann? – wie viel runder müßten hier ihre Coloraturen ausfallen, welche in der Tenorlage, es ist nicht zu läugnen! durch das unvermeidliche Drücken auf die Stimme, nicht selten holperig ausfallen, besonders die Mordenten, welche sie ohnedies wohl etwas zu verschwenderisch anbringt, auf letzten und vorletzten Silben.

Wie ganz anders war dies alles in dem Duette aus Ginevra*, in welchem sie, im Konzerte des folgenden Tages,* die Altpartie des Ariodante sang! wie leicht und natürlich war ihr hier alles was sie zu geben hatte, und wie unendlich mehr gelang ihr hier jede Roulade, jede Nüance, wie glänzend entwickelten sich da ihre wahren und eigenthümlichen Vorzüge, und – wie wurde sie bewundert! Nur Ein Wunsch blieb hier übrig, daß Mad. Schönberger, welche so sehr durch Portament zu glänzen vermag, von der unter den Sängern unserer Zeit wieder so sehr einreissenden Brodomanie* sich doch recht entfernt halten möge.

Auch von Seiten des Spiels ist Mad. Schönberger zu loben. Sie besitzt sehr viel Anstand, und es ist zu verwundern, wie leicht und ungezwungen sie sich in der ihr fremden Kleidung bewegt, so daß man dadurch gar nicht an das Weib erinnert wird. Ihre Stellungen sind meistens malerisch schön; man erkennt darin fleißiges Studium der Antiken unter der verständigen Leitung ihres Gatten. Ihre Deklamation, wiewohl oft unrichtig, brillirt sehr; denn sie spricht mit einer Bestimmtheit und Assurance, daß man im ersten Augenblick glauben sollte es müßte so seyn. Ref. bemerkt noch mit Vergnügen die Ungezwungenheit, mit welcher sie bei der ersten Arie* aus dem Gespräch in den Gesang rasch übergieng, so daß, wie es auch eigentlich seyn soll, die Arie blos als potenzirte Fortsetzung ihrer Rede erschien; dergleichen Züge zeugen von Verstand und Gefühl, und lehren uns, Mad. Schönberger nicht als Sängerin blos sondern als Künstlerin schätzen.

Mlle. Müller übertraf alle Erwartung in der Rolle des Sesto, welche sie an der Stelle der Mad. Gervais binnen kurzer Zeit einstudiren mußte. An sich ist freilich Sextus eine zu schwere Aufgabe für eine Anfängerin: eben darum war es verständig und klug gethan, manche ihre Kräfte übersteigende Tirade lieber ganz zu unterlassen als sie schülerhaft zu gurgeln. Durch diese weise Oekonomie, durch angenehme Stimme, schon ziemliche Ausbildung derselben unter der Leitung der Mad. Eisenmenger, durch reine Intonation und anständiges Spiel, gab sie ein recht angenehmes Ganzes. Besonders möchte Ref. ihr empfehlen, den schönen Vorzug deutlicher Aussprache sich recht sorgfältig zu erhalten.

Von dem Reste der Aufführung ist besonders viel Lobenswerthes eben nicht zu sagen. Mehrere Tempi wurden unleidlich geschleppt und dadurch z. B. der Scene beim Capitolsbrande* alle Wirkung benommen, mehrere totale Seißmen, (z. B. beim Aufzuge des Kaisers*) durch Vor- Ein- und Durchgeigen, nachdem sie vorgefallen waren, mit vieler Bravour wieder unmerklich redressirt, das Ganze des Stückes durch häufiges Auslassen und Einlegen verstümmelt und entstellt. Unendlich widerlich war es im Final des ersten Akts, auf den Chor in Es*, den Tusch der Trompeten und Pauken hinter der Szene in D dur blasen zu hören, worauf dann der Chor in es sich wieder anschloß!! Besonders lächerlich aber war es in den Zimmern des kaiserlichen Pallastes* ein – Tintenfaß mit geschnittenen Gänsekielen auf dem Tische zu erblicken! So viel Ref. weiß, waren doch die Römer unter Titus noch nicht so undankbar, den Retterinnen des Capitols die Federn auszurupfen.

G. Giusto.

Editorial

General Remark

Zuschreibung: Sigle

Kommentar: G. Weber publizierte den Text, in dem er erstmals Überlegungen zur Stimme von Marianne Schönberger anstellte, später in einer erweiterten Form im Morgenblatt (1811-V-76), nachdem es zu einer öffentlichen Diskussion über Stimme und Repertoire von Marianne Schönberger gekommen war. Im Badischen Magazin, Jg. 1, Nr. 53 (2. Mai 1811), S. 210, war ein ungezeichnetes Schreiben an den Herausgeber aus Darmstadt erschienen, in dem an Gottfried Webers Kritik die strenge Wahrheitsliebe, in Vereinigung mit tiefem gründlichen Kunstsinn und Geschmack gelobt wurde. Die eigentliche Diskussion wurde dann ausgelöst durch eine Bemerkung in dem Bericht aus Mannheim in: Morgenblatt für gebildete Stände, Jg. 5, Nr. 142 (14. Juni 1811), S. 568, in der der Autor (vermutlich Karl Friedrich August Christoph Freiherr von Wächter) G. Webers Vorschlag, Marianne Schönberger solle lieber Baß- als Tenorrollen singen, dahingehend verabsolutierte, daß er forderte, sie müsse sich auf Musik beschränken, welche für eine Baßstimme oder, noch richtiger, für einen Bariton gesetzt ist. Zu den Reaktionen auf Wächters Bemerkung vgl. 1811-V-34 und 1811-V-72. Zu weiteren Berichten über die Sängerin aus dem Kreis des Harmonischen Vereins vgl. Kom. 1811-V-76.

Creation

Tradition

  • Text Source: Badisches Magazin, Jg. 1, Nr. 22 (24. März 1811), pp. 86–88

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