Aufführungsbesprechung Darmstadt, Großherzogliches Hof-Opern-Theater: “Der Freischütz” von Carl Maria von Weber am 4., 7. und 11. August 1822

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Darmstadt, den 15. August, 1822.

Die mir selbst auferlegte Pflicht in das Magazin des Beobachters am Main und Rhein, welches für alles Gute, Schöne und Wahre eröffnet ist, Berichte niederzuschreiben über den Stand meiner lieben Vaterstadt gegen das übrige Deutschland in dem was Kunstsinn und Kunstschöpfungen betrifft, verbindet sich mit der wiederholten schmeichelhaften Aufforderung des Herrn Redakteurs dieses Blattes, aufs Neue mir die Feder zur Niederzeichnung meiner individuellen Ansicht und der allgemeinen des Publikums zugleich in die Hand zu drücken.

Der Freischütz von Carl Maria v. Weber komponirt und von Friedrich Kind gedichtet, ist nun hier bei jedesmal überfülltem Hause – unter jedesmaliger Zuströmung unzähliger Fremden aus den Nachbar-Städten, Aschaffenburg, Frankfurt, Hanau, Heidelberg, Mannheim, Offenbach und Wiesbaden den 4., 7., und 11. dieses Monats in dem Großherzoglichen Hof-Opern-Theater aufgeführt worden, und wird dem Vernehmen nach den 18. u. 25. August, den 1., 8., 15., 22., und 29., September wiederholt werden. Dieser von dem genialen von Weber so reichlich ausgestattette Freischütz, hat bekanntlich auf allen deutschen Bühnen, namentlich zu Berlin und Wien, Furore gemacht, und den Tankred wie die Elster, wo nicht todtgeschossen, doch schwer verwundet. Es wäre unbillig, der Musik diesen Triumph allein zuzuschreiben, die Dichtkunst hat auch ihren Theil daran, nicht nur wegen des endlich einmal poetischen Textes, sondern auch wegen der glücklichen Wahl des Stoffes, und dessen sinniger Anordnung zu einem dramatischen Ganzen. Es ist die zweite Oper, welche in neuerer Zeit von einem wahrhaften Dichter geliefert wurde und sie verdient in jeder Hinsicht das Glück, welches ihr allenthalben, insbesondere aber hier, im reichlichen Maaße zu Theil wurde. Einsender vermag den Eindruck, welchen Webers herrliche und seelenvolle Oper, diese geniale Schöpfung, auf das hiesige Publikum hervorgebracht, welche Theilnahme dasselbe bei jeder Wiederholung, dieses nimmer genug zu preisenden Meisterstücks deutscher ächt begeisternder Kunst, an den Tag gelegt hat, nicht zu beschreiben. Weber hat ein unsterbliches Werk zusammen gewebt, und sich von neuem als einen der größten lyrischen Tonkünstler bewährt.

Das Ganze durchweht ein ächt poetischer, von großer Kenntniß des dramatischen Effekts zeugender Geist.

Die glückliche Idee, ein beliebtes, altes böhmisches Volkmährchen – in dem 1n Band des von Apel, und Laun gemeinschaftlich herausgegebenen Gespensterbuches erzählt – zur Oper zu benutzen, ist dankenswerth, und von dem trefflichen Kind mit Begeisterung und großer dramatischer Wirkung aufgefaßt worden.

In dem Gespensterbuche ist das Mährchen tragischen Ausgangs, den Kind aber, heiteren Genien unterthan, in einem befriedigernden umschuf, und noch zwei episodische Personen und den Einsiedler einwebte. Es sey mir vergönnt, einige Worte über diese Oper, deren Dichtung und Komposition schon bei ihrem ersten Erscheinen auf Deutschlands Bühnen so großes, allgemeines und lebhaftes Interesse erweckte, und noch erweckt, aussprechen zu dürfen.

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Webers Tongemälde will ich nicht zergliedern. Wollte ich Einzelheiten hervorheben, so würden andere dadurch in Schatten treten, und solches verdient keine einzige Note in dieser Oper.

Die Komposition ist ein Ganzes, daher auch nur vom Ganzen die Rede seyn kann. Kraft und Lieblichkeit, Originalität, Fülle und Einfachheit, Charakteristik und musikalische Malereien, Alles wirkt hier zusammen, um dieses Kunstwerk zu einem der bedeutendsten unserer Zeit zu erheben, und es ist gewiß nicht zu viel behauptet, wenn ich sage, daß seit Mozarts Tode kaum eine ansprechendere Oper, im deutschen Vaterlande erschienen ist. Webers ganze Originalität und Tiefe zeigt sich in dieser Komposition, besonders ist die Ouvertüre ein Meisterstück von ausgezeichneter Tonsetzung, gleichsam die Inhaltsanzeige des ganzen Stücks, ganz das, was eine gute Ouvertüre seyn soll. Sie beginnt idyllenartig, und ist ein so trefflich liebliches Instrumental-Stück, daß sie bei jedesmaligem Anhören nur größere Bewunderung erregen muß.

Sie bereitet herrlich auf das Romantische der Oper vor, indem sie selbst romantisch ist. Süße, wonnevolle Schauer beleben die Seele bei ihrer Anhörung, Harmonie und Melodie gehen Hand in Hand, keine von beiden ist, wie in Rossinis Stücken, der andern aufgeopfert. Besonders herrlich aber zeigt sich Webers Genie in den Chören, sie sind ohne Ausnahme vortrefflich und originell.

Die Darstellung der so reich ausgestatteten Oper gehört ohne Wiederspruch zu den gelungensten der hiesigen Bühne.

Das brave Orchester hatte sich durch fleißige und höchstgelungene Ausführung aller Meisterstücke, unter Leitung des dermaligen Interims-Dirigenten, des verdienten Herrn Kammermusikus Appold, mit Ruhm bedeckt, und eine schwre Aufgabe so leicht als erfreulich geleistet.

Die Szenerie war von dem wackern Theater- und Maschinenmeister Herrn Dorn* auf das Glänzendste ausgestattet. Dekorationen und Garderobe so geschmackvoll als prächtig, angemessen und passend.

Die Sänger und Sängerinnen, so wie das Chor-Personal führten alle Singstücke mit sichtbarer großer Liebe und vollkommen gelungen aus.

Herr Wild zeichnete sich als Max in des 1ten Aktes großer Tenor-Arie (eine der schwersten, die je geschrieben wurden) rühmlichst aus, und seine reine, schöne Stimme erzeugte allgemeines Vergnügen.

Seine Mitwirkung in dem Terzette zwischen ihm, Agathe und Annchen, am Schlusse des zweiten Akts, war meisterhaft.

Herr Steck führte die Rolle des Kaspar vollendet in vortrefflichem Geberdespiel aus.

Madame Krüger übertraf sich in der Rolle Agathens in Spiel und Gesang selbst, ihre Leistungen besonders in der Arie:
„Wie nahte mir der Schlummer“
wurden durch rauschenden Beifall gekrönt.

Madame Louise Gran verlieh der etwas untergeordneten Rolle von Annchen, durch ihre außerordentliche Gewandtheit, durch ihr liebliches, schalkhaftes Gesicht, großen Werth, viele Annehmlichkeit.

A-Z.

Editorial

Summary

Aufführungsbesprechung Darmstadt, Großherzogliches Hof-Opern-Theater: “Der Freischütz” von Carl Maria von Weber am 4., 7. und 11. August 1822

Creation

Responsibilities

Übertragung
Fukerider, Andreas

Tradition

  • Text Source: Charis. Rheinische Morgenzeitung für gebildete Leser, Jg. 2, Nr. 15 (4. September 1822), pp. 2

    Commentary

    • schwrerecte “schwere”.
    • “… Theater- und Maschinenmeister Herrn Dorn”Ignatz Dorn (geb. 1782), von Mai 1811 bis zur Pensionierung 1849 Maschinen- und Theatermeister am Hoftheater in Darmstadt, starb dort am 5. Juni 1856.

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