Rezension: “Sechs Lieder für vier Männerstimmen, ohne Begleitung, dem Herrn Justizrath Wollanck in Berlin zugeeignet”, Op. 68 von Carl Maria von Weber, Verlag A. M. Schlesinger
Musikalische Recension.
Es gereicht uns zum besondern Vergnügen, das Erscheinen eines neuen Gesanges-Werkes anzeigen zu können, womit der treffliche Carl Maria von Weber, der liedes-gewaltige Sänger, wie Fouqué ihn nennt, den Freunden der Tonkunst ein gewiß höchst willkommenes Geschenk gemacht hat, und das so eben in der Schlesingerschen Buch- und Musikhandlung erschienen ist. Wir meinen die
„Sechs Lieder für vier Männerstimmen, ohne Begleitung, dem Herrn Justizrath Wollanck in Berlin zugeeignet.“
Wer den, in diesem Genre unübertroffenen, Componisten der „wilden Jagd“, des „Schwertliedes“ und der übrigen in | Körner’s „Leier und Schwert“ enthaltenen Gedichte kennen lernte, wer da weiß wie sinnig er seine Texte zu wählen, und wie er durch seine charakteristischen Melodieen, durch die originellen, rhythmischen Wendungen den Sinn der Worte so treu und wahr wiederzugeben versteht, wie er an Kraft und Wahrheit des Ausdrucks nicht selten den Dichter überbietet, der wird alsdann gewiß die Ansprüche steigern, und die angezeigte Liedersammlung mit desto größeren Erwartungen zur Hand nehmen. Und siehe da, er wird sie nicht getäuscht, gar wohl noch übertroffen finden. Der erste der Gesänge: „das Turnierbankett“, von Bornemann, ist ein herrliches Effektstück, ganz dramatisch behandelt. Ein energischer Krieger-Chor, voll kekker Laune, hoher Begeisterung und dichterischen Schwunges, macht den Anfang; ein zweiter Chor fällt am Ende mit dem Siegesruf: „Vittoria!“ ein. Diesem folgt ein kräftigs Solo, einzeln von den Rittern gesungen, dem sich ein Uebliches und zart gehaltenes Duett der Minnesänger anreiht; der Chor repetirt zuletzt die Anfangszeilen. – In dem „Freiheitsliede“ (Nr. 3.) wohnt ganz die Glut, der Feuergeist, mit welchem dieses Hochgefühl jeden Busen schwellt; die Idee, eine Solostimme jeden Vers einzeln vorsingen und die übrigen im Tutti wiederholen zu lassen, ist hier von sehr guter Wirkung. – Das „Schlummerlied“ von Castelli (Nr. 4.) ist ein kleines Meisterstück, und dem Wiegenlied an die Seite zu setzen, das wir von C. M. v. Weber bereits kennen, und welches als ein Lieblingsstück schon lange in Jedermanns Munde heimisch ist. Die einfache, anziehende und sangbare Melodie (3/8 Takt) erhält einen eigenthümlichen, wiegenden Charakter durch die legirten Noten des ersten Basses, der sich in Sechszehntheilen bewegt, während die übrigen Stimmen im trochäischen Maaße, in Vierteln und Achteln daherschreiten. Der Gott der Ruhe müßte in der That unerbittlich sein, wenn er einer so einschmeichelnden, ihm andächtig und mit Ausdruck vorgetragenen Bitte nicht Erhörung schenken und mit dem Ausstreuen seiner Schlummerkörner lange zögern sollte.
Die übrigen drei Gesänge, die sich ebenfalls durch entschiedene Vorzüge auszeichnen, übergingen wir nicht, weil sie unbedeutend waren, sondern weil wir uns vorgenommen hatten, uns hier hauptsächlich mit demjenigen zu beschäftigen, was uns am meisten ansprach, und worin sich das große Talent des Tonsetzers am glänzendsten und schönsten verherrlicht.
Wahr mag es sein, daß die Ausführung der angezeigten Lieder tüchtige Stimmen von nicht alltäglicher Bildung bedingt, und das besonders der erste Tenor einem wackern Kämpfen zufallen muß. Allein da, wo diesen Anforderungen genügt werden kann, wird die Exekutierung dieser Gesänge gewiß einen hohen Kunstgenuß gewähren, weshalb wir sie allen Sing-Vereinen und Sänger-Chören recht angelegentlich empfehlen würden, wenn nicht schon der Name des beliebten Componisten eine solche Empfehlung überflüssig machte.
Editorial
Creation
–
Responsibilities
- Übertragung
- Amiryan-Stein, Aida
Tradition
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Text Source: Zeitung für Theater, Musik und bildende Künste zur Unterhaltung gebildeter, unbefangener Leser. Eine Begleiterin des Freimüthigen, vol. 3, Nr. 12 (22. März 1823), pp. 46–47