Helmina von Chézy an Felix Mendelssohn Bartholdy
Wien, Montag, 8. Mai 1826

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Meine Freude und Ueberraschung über den lieben Brief des jungen Tonkünstlers, kann ich gar nicht ausdrücken, ich danke herzlich, theurer Felix! – vergeben Sie daß ich Sie mit diesem Namen anrede, mögen Sie in jedem Sinne immer Felix seyn, und seyn Sie es für mich. Ihr Brief hat umher geirrt, ich habe ihn erst heut bekommen, und eile, ihn der Post wegen, zu beantworten.

Das hiesige Orchester ist unübertrefflich, die Chöre sind es auch, Fleiß und Liebe sind auf seltner Höhe, das glauben Sie mir, aber, wiewol nun nach u nach die Sänger u Sängerinnen anlangen, wiewol nun entschieden ist, daß wir eine schöne deutsche Oper herbergen, ist die von Ihnen bezeichnete Besetzung doch zu reich, u ich zweifle daß sie hergestellt werden kann, auch könnte der Oper durch mittelmäßige zweite Besetzung, wenn nicht Alles im Einklang, geschadet werden, so müssen wir denn erst sehen, wie sich das Fernere gestaltet. Weber hat den für seine Kräffte sowol ersparenden als für die Möglichkeit der Aufführung auf einer Menge Theatern, festgestellten Grundsatz beobachtet, auf welchen ich auch die Oper, die ich Ihnen zusenden werde, gebaut habe. Ein Tenor, ein Bariton, einige Bässe, eine erste u zweite Sängerin u viel Chöre durch alle Farbentöne des Lebens hindurch. Für die reiche Besetzung von Berlin, u wahrscheinl. München u. v. a. Orte wird jener volle Reichthum der Zusammenwirkung gewiß entzückend seyn!

Duport hatte keinen Antheil u kein Vorwissen meines Wunsches der Mittheilung Ihrer Oper für Berlin wol aber war es auf seine Anregung daß ich Ihrer verehrten | Mutter jene Anfrage machte, die ich wiederhole. Wann meine Oper durch die Censur seyn wird, so soll sie mit einem Brief Dpts begleitet, zu Ihnen kommen, es kommt denn blos darauf an ob Sie Ihnen zusagt? Was die Oper für B. betrifft so habe ich ihm gesagt was ich Ihnen deshalb geschrieben, wofür er mir dankbar war, u wir erwarteten sie täglich, auf diese Gestaltung aber, u bei der jetzigen Besetzung müssen wir warten, bis die deutsche Oper hier, nach Duports Wunsch und Willen in Flor kommt. Zweimal hinter eineinander wurde gestern u vorgestern der Freyschütz gegeben, eine junge schöne Sängerin Franchetti erhielt stürmischen Beifall der wackere Tenor Schuster wurde herzlich applaudirt das artige Annchen M. Uetz fand Liebe u das Publikum war elektrisirt, das war Samstag. Gestern war das Haus nur halb gefüllt, das Publikum lau, wiewol die Vorstellung noch vortrefflicher sich abrundete u Orchester u Chöre sich selbst übertrafen. Was ist das nun? Ich weiß indeß, u dies aus vielen Gründen daß Ihre Anwesenheit u ein Werk von Ihnen hier den gewünschten Erfolg haben wird, es ist vor der Hand dazu nichts nöthig, als Schweigen und dann hervortreten. Ich selbst nenne mich erst nach der Hand u muß Sie, wenn überhaupt mein Werk so glücklich ist Sie zum Schaffen anzuregen, um die strengste Verschwiegenheit dringend ersuchen, von der Sie, so schwer es mir fallen wird von Etwas, was mir so lieb ist, nicht zu sprechen, vollkommen von meiner Seite überzeugt seyn können. Auch werden wir uns über die Aenderungen | gewiß recht schön verständigen. Ich durchschaue die Schwierigkeiten die das Wort oft bietet, u ehre den Genius zu sehr, um nicht gern jede Krafft aufzubieten dem Tondichter Genüge zu leisten.

Das hiesige Personal kann ich Ihnen noch nicht schildern, denn es ist noch nicht vollständig beisammen. Ein großer Theil desjenigen Publikums was, auf gemeine Weise zu reden „den Kol fett macht“ muß für die deutsche Oper erst gewonnen werden, u lechzt nach Rossini u Consorten, die einem übrigens hier, in dieser Fülle u in diesem Einklang der Besetzung nicht unwerth erscheinen. Für die italienische Oper ist das Logen Abonnem[en]t um 900 fl. W. W. jährl erhöhet, u für die Plätze auch sehr hoch, 6 fl. W. W. 1 Sperrsitz dies ist bewilligt geworden, u die hiesigen Mitglieder Ihrer Familie haben viel dazu beitragen u mitgewirkt. Die deutsche Oper ist auf die alten Preise geblieben 6 fl. C. M. die Loge, 1 f. 36 x. C. M. der Sperrsitz, aber es giebt nur eine vierte Gallerie u eine 5te, die Erste ist theuer (1 fl. 36 x) u eben der große Theil des guten Publikums, das Vaterländische Musik liebt u unterstützen möchte, kann doch bei bleibendem Besuch des Theaters die hohen Ausgaben nicht erschwingen, u die Gallerieen sind Martersitze. Hier ist nun Barbajas Einfluß wirksam geblieben, denn D. denkt hierin billiger. Wie sehr aber die Masse – u wir ehren u lieben doch die Masse – ich meine die mäßig bemittelte Mehrzahl | des gebildeten Publikums die deutsche Oper liebt das beweist der Erfolg in der Josephstadt. Mit geringen Mitteln, aber mit unverkennbarer Anstrengung u Liebe gab diesen Winter u Früling die Josephstadt die Zauberflöte, den Freyschütz u. a. Opern, stets bei zum Ersticken gefüllten Hause, weil – die Preise mäßig, weil der Hausvater mit den Seinigen hinein konnte, ohne sich anzugreifen, das sollte u müßte beachtet werden! Ich selbst, die mit Gütigkeiten von der Direkt. überschüttet wird habe keinen Grund darüber zu klagen, u bitte Sie auch davon, weil es nun einmal nichts zu ändern steht, nicht zu sprechen. Vielleicht werden die Galerien des 3 Ranges zu mäßigen Preisen noch hergestellt, u dann ist Alles gewonnen, wenigstens werde ich alles darüber sagen was sich ohne die mir so gütigen Freunde zu verletzen, sagen läßt.

Wilhelm und Max sind noch immer seit 4 Wochen in Oberöstreich beim Kreishauptmann Grafen von Wickenburg* u auf seiner Herrschafften zum Besuch u höchst vergnügt, sie werden Ihren lieben Gruß vorfinden, u sich innig freuen beide sind sehr wacker geworden, u recht fleißig. Welch ein Glück wenn sie Sie einmal wiedersehn, u wenn ich bald die Freude erleben sollte, daß dies noch in Wien selbst wäre.

Noch eins fällt mir ein, wenn die Oper durch die Censur werde ich sie Ihnen schnell zuschicken, u erst wenn sie Ihnen zusagt – was Sie noch immer nicht zum Satz verpflichtet – werde ich sie Ihnen mit Dts Einladung senden, weil es ihm einen übeln Eindruck machen würde, wenn sie zurückkäme. Sie vergeben mir wol diese kleine Vorsicht, das Schimpfen auf den Text der Euryanthe macht sie nöthig, u die Cabalen hier zu Land. Mögen Ihnen stets solche Dornen fremd bleiben! Mit der wahrsten Hochachtung      Ihre Helmina von Chezy.

Apparat

Zusammenfassung

berichtet über die Aufführungsbedingungen in Wien, die vorgestellte Besetzung wäre zu groß; erläutert Webers Grundsätze hinsichtlich der Opern-Besetzung, nach der die Euryanthe angelegt ist; bietet ihm ein Opernbuch an und hofft, dass es ihm zusagt; über die Theaterpreise in Wien

Incipit

Meine Freude und Ueberraschung über den lieben Brief des jungen Tonkünstlers,

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Schreiter, Solveig

Überlieferung

  • Textzeuge: Berlin (D), Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (D-Bbbaw)
    Signatur: NL H. von Chézy 824

    Quellenbeschreibung

    • 1 DBl. (4 b. S. o. Adr.)

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • Till Gerrit Waidelich, „Wer zog gleich aus der Manteltasche ein Opernsujet?“ Helmina von Chézys gescheiterte Libretto-Projekte für Felix Mendelssohn Bartholdy, in: Mendelssohn Studien. Beiträge zur neueren deutschen Kultur- und Wirtschaftsgeschichte, Bd. 12 (2001), S. 158–160

Textkonstitution

  • „herbergen“unsichere Lesung
  • „ersparenden“über der Zeile hinzugefügt
  • „Ihnen“über der Zeile hinzugefügt
  • „eineinander“sic!
  • „jährl“über der Zeile hinzugefügt
  • „6 fl. W. W. 1 Sperrsitz“über der Zeile hinzugefügt
  • „… auf den Text der Euryanthe“der Rest auf Bl. 2v am linken Rand quer

Einzelstellenerläuterung

  • „… beim Kreishauptmann Grafen von Wickenburg“Minister Mathias Constantin Graf von Wickenburg (1797–1880).

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