Friedrich Wilhelm Jähns an Georg Goltermann in Frankfurt am Main
Berlin, Freitag, 27. Januar 1865

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Sehr geehrter Herr Musikdirector.

Was werden Sie sagen, wenn Sie Sich heut schon wieder durch ein Schreiben von mir belästigt sehen, wo ich noch nicht einmal berechtigt bin, zu hoffen, daß Sie mir auf meinen am 23. d. Mts. an Sie abgesendeten Brief zu antworten geneigt sein werden. Dennoch schreibe ich diese Zeilen im Vertrauen auf Ihre gütige Verzeihung, und um Ihnen, in dem Falle, daß Sie so freundlich sein würden, mir zu antworten, ein zweimaliges Schreiben zu ersparen.

Am heutigen Tage habe ich nemlich einen Fingerzeig in einer sehr verwickelten Sache, meine Weber-Arbeit betreffend, bekommen und da derselbe auf die Frankfurter Bühne weist, die mir schon zu verschiedenen Malen so äußerst hülfreich gewesen, und zwar durch Ihre gütige Vermittlung, so | so nehme ich getrost die Feder zur Hand und rufe nochmals Ihre gütige Hülfe an.

Ritornell u. Arie: Alles zusammen 58 Tacte, was für mich ich gütigst zu beachten bitte.

Obiges ist Ritornell und Anfang einer Arie, deren Original-Manuscript von Weber ich besitze und die C. M. v. Weber als Kapellmeister in Prag 1814 in das Singspiel: „Die Verwandlungen“ (componirt von Anton Fischer) „instrumentirte“ wie Webers Tagebuch sagt. Es sind aber allerlei Umstände vorhanden, die es grade nicht unwahrscheinlich machen, daß diese Arie nicht nur von Weber instrumentirt, sondern auch möglicherweise componirt sein könnte*. Jedenfalls wäre es mir von großer Wichtigkeit zu erfahren, von wem sie componirt sei, da ich dies in meinem Werk sehr ungern wegließe. Eine Einlage in die Oper ist es jedenfalls, das sagt die Prager Partitur der Fischerschen Oper deutlich. Die Arie wurde in Prag von Caroline Brandt Weber’s Nachmaliger Gattin, in der Parthie der Julie gesungen, die als Blumenmädchen dieselbe singt, wonach sie noch mehrfach im Verlauf des Stücks ihre Rolle wechselt, weshalb das Stück eben Die Verwandlungen heißt. Weigl hat denselben Text d. h. das ganze Singspiel „Die Verwandlungen“ mit diesem Namen ebenfalls componirt*. |

Als die Brandt im Jahre 1816 die Weigl’schen Verwandlungen in Berlin als Gastrolle gab*, legte sie dieselbe Arie ein, wofür ich die Beweise habe. Von wem die Arie aber sei, habe ich durch die Berliner Partitur* ebenfalls nicht erfahren können. — Heut nun erfuhr [ich] durch die jetzt alte, einst hochberühmte Sängerin Therese Grünbaum geborne Müller, daß die Brandt diese Parthie schon vor dem Prager Engagement also vor 1813 in Frankfurt a/M. gesungen habe*, ob in den Fischer’schen oder in den Weigl’schen Verwandlungen, wußte Frau Grünbaum nicht. — Meine Bitte an Sie, mein hochverehrter Herr College, geht nun dahin, jene hoffentlich bei Ihnen noch erhaltene Partitur der Verwandlungen (Fischer oder Weigl, oder beide) gütigst nachzusehen, ob schon darin auch diese Arie als eingelegt sich vorfindet, und ob vielleicht in dem Falle, daß sie sich findet, der Componist dabei bemerkt steht. — Ich habe mit diesem Dinge schon unglaubliche Mühe, Arbeit und Forschung u. Correspondenz gehabt — alles, alles vergeblich — sollte vielleicht der Zufall nicht umsonst die Erinnerung an Frankfurt der alten Dame in den Mund gelegt haben? Ich habe schon so manches ausgefunden u. erforscht, nachdem ich lange vergeblich gesucht — bis endlich unerwartet wie ein Blitz ein Licht aufleuchtete — und der Schatz gefunden war. Jedenfalls wollte ich es auch bei Ihnen versuchen, der mich schon so sehr bereicherte, denn durch Sie fand ich ja die verlorene Arie in der Silvana*, die spurlos verschwunden u. doch so wichtig war. — Also Verzeihung dem Dränger, dem zähen Frager! |

Mit dem Wunsche, daß Euer Wohlgeboren gelegentlich unnachsichtlich gegen mich Repressalien üben zu wollen die Freundlichkeit haben möchten, wodurch ich mich nicht nur sehr geehrt, sondern auch herzlich erfreut fühlen würde, habe ich die Ehre, mich in ausgezeichnetster Hochschätzung zu nennenEuer Wohlgeboren
jederzeit dankbar
ergebensten
F.W. Jähns.
Königl: Musik-Direktor
in Berlin
Krausen Str. 62.

Apparat

Zusammenfassung

Anfrage zum Komponisten der Einlage-Arie der Julie in Die Verwandlungen von Anton Fischer

Incipit

Was werden Sie sagen, wenn Sie Sich heut

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Frank Ziegler Eveline Bartlitz

Überlieferung

  • Textzeuge: New York (US), Pierpont Morgan Library (US-NYpm), Mary Flagler Cary Music Collection
    Signatur: MFC J25.X

    Quellenbeschreibung

    • 1 DBl (4 b. S. ohne Adr)
    • auf der letzten Briefseite Ergänzungen (vermutlich des Empfängers) zur Frankfurter Erstaufführung von Fischers Verwandlungen (mit Tinte: „z. 1 Male 16 Aug. 1810“) sowie mit Bleistift das Datum „20 Juni 1815.“ und Notizen zum Frankfurter Aufführungsmaterial (D-F, Mus Hs Opern 201): „1. Arie F dur Die Weiber, ach lieben gar selten | 2. Terzett Sie müssen mich verlassen | 2 ½ Arie eingelegt | 3. Arie G dur 4/4 Tact | 4 Duett b dur | 5. Quartett | 6. Schlußgesang“
    • auf der ersten Briefseite oben mit Bleistift „Jähns“, am Briefende unten mit Bleistift vor der Signatur: „JÄHNS, Friedrich Wilhelm, 1809–1888“

    Provenienz

    • Joseph Baer & Co. Frankfurt/M, Lagerkatalog 566 (ca 1909), Nr. 582

Textkonstitution

  • „so“sic!
  • „von Weberüber der Zeile hinzugefügt
  • „ebenfalls“über der Zeile hinzugefügt
  • „in Berlinüber der Zeile hinzugefügt
  • S„s“ überschrieben mit „S
  • „nur“über der Zeile hinzugefügt

Einzelstellenerläuterung

  • „… auch möglicherweise componirt sein könnte“Später wurde bekannt, dass die Arie aus der Parallelvertonung des Librettos von Julius Miller stammt.
  • „… mit diesem Namen ebenfalls componirt“Eine Vertonung des Librettos durch Weigl existierte nie, vielmehr wurde Fischers Oper ab 1808 in Hamburg (zwecks Aufwertung) unter Weigls Namen gespielt und kam ab 1810 auch in Berlin mit dieser Fehlzuschreibung auf die Bühne; vgl. WeGA, Bd. VIII/12, S. 203 (und Aufführungsnachweise auf S. 199f.).
  • „… in Berlin als Gastrolle gab“Am 9. November 1816; vgl. die Tagebuchnotizen.
  • „… ich durch die Berliner Partitur“D-B, Mus. ms. 22935.
  • „… in Frankfurt a/M. gesungen habe“Hier irrte Therese Grünbaum; Fischers Verwandlungen standen zwar während Caroline Brandts Frankfurter Engagement auf dem dortigen Spielplan, allerdings war sie nicht besetzt. Die Rolle der Julie gab dort Margarethe Lang.
  • „… verlorene Arie in der Silvana“Die erste Version der Arie Nr. 10 der Mechtilde entdeckte Jähns nach langer Suche in der Frankfurter Partitur (D-F, Mus Hs Opern 609 (1)), aus ihr stammt das Thema der Silvana-Variationen sowie des ersten Satzes der Nr. 5 der Sonates progressives.

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